Früher war alles besser
Ein rücksichtsloser Rückblick
Von Henryk M. Broder, Josef Joffe, Dirk Maxeiner und Michael Miersch
Albrecht Knaus Verlag
224 Seiten
EUR 16,99
Ab Montag 6. September im Buchhandel erhältlich
Als Vorgeschmack für Achgut-Leser vier Stichworte unter E:
Ehehygiene
Ist ein Begriff aus der Zeit, als Frauen nicht schwanger, sondern „in anderen Umständen“ waren und diese durch wallende, Burka-artige Gewänder zu verhüllen versuchten, als ob sie sich schämen würden, dass sie vom Pfad der Tugend abgewichen waren. Über > Sex wurde nicht einmal unter Eheleuten gesprochen, alles spielte sich im Dunkel tiefgekühlter Schlafzimmer aus, die morgens und abends gründlich gelüftet wurden. Wer etwas über den Zusammenhang von Geschlechtsverkehr und Fortpflanzung erfahren wollte, war auf die wenigen Aufklärungsbücher angewiesen, die sich vor allem mit dem Paarungsverhalten von Bienen, Barschen und Quallen beschäftigten. Der erste echte Aufklärungsfilm, der in Deutschland öffentlich gezeigt werden durfte, kam 1967 in die Kinos und war eine Auftragsproduktion des Bundesgesundheitsministeriums: „Helga – Vom Werden des menschlichen Lebens“, 77 Minuten lang und so stimulierend wie eine Heidi-Geschichte von Johanna Spyri: „Die sexuell unerfahrene und unaufgeklärte Helga möchte heiraten. Eine Frauenärztin klärt sie über Geschlechtsverkehr und Geburtenkontrolle auf. Bald ist Helga schwanger und besucht einen Kurs für werdende Mütter, wo sie ausführlich über die bevorstehende Geburt informiert wird. Die Geburt selbst wird im Film in allen Einzelheiten gezeigt. Bald danach ist Helga eine glückliche Mutter, die noch drei weiteren Kindern das Leben schenkt.“ (Wikipedia)
Ob Helga dabei jemals zum Orgasmus gekommen ist, ob es ein vaginaler oder klitoraler Höhepunkt war, ob er durch ein manuelles Vorspiel vorbereitet wurde, geht weder aus der Inhaltsangabe noch aus dem Film hervor. Unklar ist auch, ob der Film aufklären oder abschrecken wollte; ein kurzer Blick auf die weibliche Mitte wurde mit der erzwungenen Teilnahme an einer Geburt abgestraft. Es war, als würde man einen Gast, der in einem Restaurant ein Schnitzel bestellt, nötigen, sich erst einmal einen Film anzusehen, der in einem Schlachthof gedreht wurde. Denn Empfängnis, Geburt und alles Drumherum waren vor allem Fragen der Ehegygiene, die im „Gesundheitslexikon“ folgendermaßen definiert wurde:
„Die Ehehygiene betrifft Mann und Frau in gleicher Weise. Sie verlangt von beiden gegenseitiges Rücksichtnehmen und Verstehen. Von der Güte der geschlechtlichen Hygiene hängt das ganze Eheleben und das Schicksal der Nachkommen ab. Die Körperpflege der Geschlechtsregion verlangt in der Ehe Diskretion und Abstand. Nachlässigkeit und Schamlosigkeit können sehr leicht auf den Partner abstoßend wirken. Die tägliche Reinigung der Geschlechtsorgane mit Wasser und Seife sollte eine Selbstverständlichkeit sein; ebenso die Reinigung nach jedem Geschlechtsverkehr und Stuhlgang.“
So kam es zu der Ansicht, in einer guten Ehe komme es vor allem auf regelmäßiges Baden und Duschen an, allein und nicht zu zweit, dann das könnte bereits „abstoßend“ wirken. Und wenn ein Ehepaar gemeinsam nach Bad Nauheim oder Bad Wörrishofen fuhr, dann geschah das nicht, um ein Leiden zu kurieren, sondern um die Verbindung ehehygienisch auf den neuesten Stand zu bringen. hmb
Ehre
Heute hauptsächlich in zusammengesetzten Wörtern zu finden wie „Ehrenmord“ oder „Ganovenehre“, also im Sinne von „schändlich“, was das Gegenteil von „ehrenhaft“ ist. In den Jugendjahren war „Ehrenwort“ (das nie durch gekreuzte Finger hinter dem Rücken abgeleitet werden durfte) so heilig wie die Pflicht zur ausgestreckten Hand, wenn der Gegner bei einer Prügelei blutete oder am Boden lag. Womit wir schon beim Kern der Ehre sind: den Vorteil nicht bis zum Letzten ausnutzen, Großzügigkeit üben, das Wort halten, der Gemeinheit widerstehen. Eng verwandt mit dem Begriff des Charakters, des Edelmuts und der Ehrlichkeit, in dem das Wörtchen „Ehre“ steckt.
Heute nur noch im Western zu finden, in dem auch fünfzig Jahre nach „Zwölf Uhr mittags“ ein strenger Ehrenkodex herrscht: den Unbewaffneten nicht erschießen, dem Unrecht widerstehen, die Schwächeren beschützen, die Frauen ehren, die Pflicht erfüllen: „A man has got to do what a man has to got do.“ Auch wenn’s dem eigenen Vorteil schadet. Insofern ist der Begriff „Cowboy-Mentalität“ (im Sinne von ungezügelter Gewalttätigkeit) echt ehrabschneidend.
Weibliche Ehre hatte einst mit dem Gebot der Keuschheit zu tun, das zwar repressiv war und männliche Vorrechte absicherte, aber uns große Werke der Weltliteratur verschafft hat: Madame Bovary, Anna Karenina, Effie Briest, Der scharlachrote Buchstabe (The Scarlet Letter). Heute ersetzt durch die auftrumpfenden Sexbeichten einer Catherine Millet. Der Sprachgebrauch widerspiegelt den Werte- und Kulturwandel. „Ehre, wem Ehre gebührt“ ist ironisch gemeint, der „ehrbare Kaufmann“ ist verschwunden. Dafür gilt: „Das darf man nicht so eng sehen.“ Oder: „Das musst du doch verstehen.“ Ein paar archaische Überbleibsel müssen noch beseitigt werden. Das eine ist die Brief-Anrede: „Sehr geehrter Herr…“, die von „Hallo, Herr…“ verdrängt wird. Das andere sind die Paragraphen aus dem StGB, die „Straftaten gegen die Ehre“ wie Beleidigung oder üble Nachrede definieren. Die sind reaktionär. Stattdessen wird Sensibilitätstraining verhängt. jj
Englische Autos
Die britische Automobilindustrie war einst mächtig und stolz. Rolls-Roye und Jaguar, Rover und Triumph galten als ebenso edle wie schicke Fahrzeuge für den anglophilen Automobilisten. Der fand sich auf der ganzen Welt und auch in Deutschland demonstrierte eine kleine Gruppe von Tweed-Trägern mit der Wahl eines britischen Fahrzeuges erlesenen Geschmack und Individualität. Doch bedauerlicherweise wurde die Fahrt häufig von irgendwelchen Defekten unterbrochen. Der britische Lichtmaschinen-Hersteller „Lucas“ erhielt deshalb schon früh den Namen „Inventor of Darkness“. Anstatt mit der Qualität ihrer Erzeugnisse beschäftigten sich die englischen Hersteller, deren Erzeugnisse zunehmend gemieden wurden, mit immer neuen Fusionen, Auf¬lösungen und Neugrün¬dungen. Den Rest besorgten über 100 bri¬tische Einzel-Ge¬werkschaften. Die Fabriken litten unter bis zu 100 Streiks pro Jahr. Ent¬sprechend motiviert war die Beleg¬schaft. Klappergeräusche durch eine in der Türfüllung zurückge¬lassene Tee¬tasse galten als leichtes Vergehen, eine Whiskeyflasche als mittelschwerer Fall.
Bei Verbraucher¬schützern er¬langte das englische Au¬tomobil so rasch den Ruf einer ideellen Ge¬samtzitrone. Die waidwunden Hersteller fanden sich schließlich auf einem großen Modell¬friedhof zusammen: Der British Ley¬land Motor Corpo¬ration (BLMC).1975 war sie Pleite und landete end¬gültig im Staatsbesitz. Ge¬niales Er¬gebnis: Der britische Bürger bezahlte fortan mit sei¬nen Steuern Autos, die er freiwillig nicht mehr kau¬fen wollte. Dazu gehörten Fahrzeuge mit wohlklingenden Namen aber lausigen Eigenschaften wie „Morris Marina“ oder „Austin Prin¬cess“. Sie ähnelten auch formal zunehmend Produkten des sozialistischen Autobaus, etwa dem russischen Lada oder dem rumänischen Dacia. Die Modelle aus der Spätzeit des britischen Automobilbaus werden als abschreckende Beispiele in die Automobilgeschichte eingehen: So etwas kommt raus, wenn der Staat Autos baut. Die er¬schütterte Kundschaft sollte mit der vater¬ländischen Auffor¬derung „Buy british!“ zurück ge¬wonnen wer¬den. Der Slogan kann den Verantwort¬lichen jedoch nur beim Besuch des örtlichen Sado-Maso Clubs eingefallen sein.
Der regierungsamtliche „Rettungsplan“, der aus „nationalem Interesse“ aufgelegt wurde, umfasste im ersten Schritt eine Bürgschaft von 50 Millionen Pfund. Die Annahmen über zukünftige Verkaufszahlen, die dem Sanierungskonzept zugrunde gelegt worden waren, galten Branchenkennern allerdings von Anfang an als „exzessiv optimistisch“. Im Laufe der nächsten acht Jahre flossen schließlich fast zwei Milliarden Pfund in die BLMC-Fabriken. Das Ergebnis ist bekannt: Von dem Geld blieb nichts übrig und von BLMC auch nichts. Die staatlichen Zuwendungen erfolgten durch einen Einfüllstutzen, an dessen Ende leider der Tank vergessen worden war. max
Englische Krimis
Britische Mörder gehörten in der Regel dem Landadel oder dessen Personal an. Sie mischten Gift in den Tee oder setzten einen sauberen Schuss mit dem Jagdgewehr. Ihre Motive waren Geldgier, Eifersucht oder Rache. Geniale Detektive klärten die schändliche Tat zügig auf.
Die Mörder von heute sind skandinavische Psychopaten, die den Tatort hinterlassen als hätte Hermann Nitsch eine Blutorgie veranstaltet. Und die Kommissare kommen vor lauter Scheidungsproblemen, Alkohol und Depressionen kaum zum Ermitteln. Bis der Fall endlich abgeschlossen ist muss die Leserin doppelt so viele Buchseiten umblättern wie bei den alten Briten, und sich mit ausführlichen Beschreibungen der tristen nordischen Sozialhölle herumquälen, die offenbar Hunderte von Serienkillern und Krimiautoren hervorbringt. Von wegen Mord ist Mord. mm