Volker Seitz / 26.03.2024 / 12:00 / Foto: Imago / 9 / Seite ausdrucken

Friedlicher Machtwechsel im Senegal

Senegal ist wirtschaftlich gut aufgestellt und gilt als Demokratie – ein Vorbild für andere afrikanische Länder.

Betrachtet man die gesamte westafrikanische Region, ist Senegal seit der Unabhängigkeit 1960 von Frankreich ein politisch stabiles Land, das stolz auf seine demokratische Tradition ist. Senegal ist eine Präsidialdemokratie, deren Verfassung und Rechtsordnung sich am französischen System orientiert. Abgesehen von Autonomiebestrebungen einzelner Gruppen im Süden des Landes ist Senegal politisch stabil und sicher. Die demokratischen Institutionen sind gefestigt. Der Rechtsstaat funktioniert vergleichsweise gut. Senegal gilt heute als Demokratie und könnte daher für andere afrikanische Staaten ein Vorbild sein.

Es gab in der Geschichte Senegals seit 1960 noch keinen Putsch, aber mehrere friedliche Machtwechsel, und dies in Westafrika, das mehr Militärumstürze erlebt hat als jede andere Region in der Welt.

Senegal ist bislang von Terror verschont geblieben, Ethnien und Religionen leben weitgehend friedlich miteinander. Senegalesen setzen sich aktiv gegen Intoleranz ein und haben das friedliche Zusammenleben von Christen und Muslimen im Land befördert. Über 90 Prozent der Bevölkerung gehören dem Islam an.

Schaden durch versuchte Wahlverschiebung

Am Sonntag, den 24. März 2024, hat eine weitere Präsidentschaftswahl stattgefunden. Präsident Macky Sall, der seit 2012 regiert, wird sein Amt abgeben. Sall hatte im Juli 2023 erklärt, dass er sich entsprechend der Verfassung nicht erneut zur Wahl stellen wird.

Sein Vorhaben, die Wahlen auf Dezember 2024 zu verschieben, wurde vom Verfassungsrat (Conseil constitutionnel) Mitte Februar 2024 verhindert. Der Versuch, die Wahlen zu verschieben, hat der Regierungspartei schwer geschadet. 

Die besten Chancen wurden dennoch dem Kandidaten der Regierungskoalition und bis vor kurzem Premierminister Amadou Ba (62) und dem 44-jährigen Oppositionskandidaten Bassirou Diomaye Faye in Vertretung von Ousmane Sonko eingeräumt. Ba und Sonko waren früher Beamte bei der staatlichen Finanz- und Bodenbehörde und Ba war von 2005 bis 2016 Vorgesetzter von Ousmane Sonko.

Die Wirtschaft wächst

Der eigentliche Oppositionsführer Ousmane Sonko (49), Bürgermeister der Stadt Ziguinchor (Casamance), durfte nicht antreten. 2021 gab es nie aufgeklärte Vorwürfe wegen Vergewaltigung gegen ihn. Verurteilt wurde er wegen Verleumdung eines Ministers und er saß bis vor kurzem im Gefängnis, ehe er durch ein Amnestiegesetz wenige Wochen vor der Wahl freigelassen wurde. Nun sollte der bis dahin nahezu unbekannte Bassirou Diomaye Faye (44) für ihn die Wahl gewinnen.

Senegals politische Stabilität zieht mehr und mehr Investoren an. Direkte ausländische Investitionen haben sich seit dem Amtsantritt von Macky Sall 2012 verachtfacht. Das Staatsdefizit konnte verringert werden.

Salls Regierung hat große Infrastrukturprojekte wie Autobahnen, ein Eisenbahnprojekt in der Hauptstadtregion sowie Universitäten und Krankenhäuser auf den Weg gebracht. In diesem Jahr wird die Förderung von Öl und Gas beginnen. Die Wirtschaft Senegals ist in den letzten Jahren kontinuierlich gewachsen. Diese Bilanz konnte die junge Wählerschaft jedoch nicht überzeugen.

Frankreich wird verantwortlich gemacht

Es sind vor allem die jungen Senegalesen, die sich wegen der hohen Jugendarbeitslosigkeit einen politischen Wandel wünschten. Arbeitslosigkeit war folglich ein Schwerpunkt des Wahlkampfes des neuen Präsidenten. (Fast fünf Millionen Wähler der etwa 7,3 Millionen Wahlberechtigten sind unter 30 Jahre alt.)

Erstmals wurde im Senegal ein Präsident bereits in der ersten Runde gewählt. Die Wahl verlief friedlich. Laut Wahlbeobachtern der EU verlief die Wahl „ruhig, effizient und geordnet“. Noch vor Verkündung des offiziellen Wahlergebnisses gratulierte der Regierungskandidat Amadou Ba seinem Kontrahenten gestern zum Sieg. Eine Seltenheit in Afrika. Sall wird voraussichtlich am 2. April 2024 die Regierungsgeschäfte an seinen Nachfolger übergeben.

Große Teile der Bevölkerung machen Frankreich für ihre persönliche Misere verantwortlich. Der neue Präsident hat im Wahlkampf deshalb auch Stimmung gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich gemacht. Der Senegal brauche eine eigene Währung und keinen FCFA, der an den Euro gekoppelt ist. (Eine riskante Entscheidung für die Wirtschaft Senegals. Die senegalesische Volkswirtschaft profitiert in hohem Maße von der Stabilität des CFA, die er bietet. Die stabile Währung macht die CFA-Franc-Länder für Investoren attraktiv. Paris, das 50 Prozent der CFA-Franc-Einlagen hält, garantiert auch die Konvertierbarkeit in den Euro. (Vgl. Armut im frankophonen Afrika: Ist die Währung schuld? Achse 24.09.2019)

Antifranzösische Stimmung in der Jugend

Französische Supermärkte und Tankstellen seien überflüssig. Außerdem sollten Verträge im Bergbau- und Energiesektor neu verhandelt werden. Ob eine solche Politik bei den Hunderttausenden Senegalesen, die in Frankreich leben und auch im Senegal investieren, gut ankommt, wird sich zeigen. 

Die Aversionen gegen Frankreich kenne ich auch aus Benin und Kamerun. Allerdings wurden Eltern wütend, wenn die Botschaft ein Visum für Schüler oder Studenten ablehnte, weil sie meinen, dass ihr Sohn oder ihre Tochter ein Recht habe, dort die Schule zu besuchen oder in Frankreich zu studieren. Für Kameruner ist es z.B. verboten, eine zweite Staatsbürgerschaft anzunehmen. Dennoch kannte ich einige Minister und Beamte, die sehr wohl auch französische Staatsbürger waren und damit auch ohne Probleme ihre Kinder nach Frankreich schicken konnten. 

Die noch starke Präsenz Frankreichs in ehemaligen Kolonien wie z.B. im Senegal führt zu einer antifranzösischen Stimmung vor allem in der Jugend, auch weil sich Frankreich günstige Handelsvereinbarungen, Zugang zu Ressourcen und Stützpunkte für militärische Operationen gesichert hat.

 

Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“ dtv, 11. Auflage (2021)

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Volker Seitz / 26.03.2024

@Rudi Hoffmann Wie uns die Geschichte auch andernorts lehrt, bleibe ich - aus Erfahrung -  vorsichtig und habe “gilt als Demokratie” gewählt.  Im Vergleich mit anderen afrikanischen Staaten wäre heute für den Senegal auch ” i s t eine Demokratie” angebracht.

Volker Seitz / 26.03.2024

@L. Luhmann Ja, über 90 Prozent der Bevölkerung gehören dem Islam an. Aber sie hängen in einer überwältigenden Mehrheit den vier Sufi-Bruderschaften an, die einen toleranten Islam vertreten. Im Sufismus zeigt sich ein Islam, der den Koran nicht immer wörtlich nimmt. Im Senegal hat der Einfluss der mächtigen Sufi-Bruderschaften segensreiche Wirkung. Es gibt einheimische und importierte Bruderschaften. Die Layene und die Mouriden (ein Drittel der Muslime gehören dieser Bruderschaft an) stammen aus dem Senegal selbst, die Tijaniyya (etwa die Hälfte) wurde im 18. Jahrhundert von einem Berber gegründet, und die Qadiriyya entstand bereits im 12. Jahrhundert in Bagdad. Die Bruderschaften kämpfen gegen extremistische Strömungen und predigen Frieden und Toleranz, sorgen für Stabilität und sozialen Zusammenhalt. Sie bieten auch Wirtschaftsnetzwerke und soziale Absicherung. Die Layene sind die Poeten des Sufismus. Die Mouriden sind die politisch und ökonomisch Einflussreichsten im Senegal. Sie sind sehr geschäftstüchtig und besitzen zahlreiche Einkaufszentren und Marktstände. Sie organisieren das Import-Export-Geschäft. Geschäfte unter Glaubensbrüdern werden ohne Vertrag und per Handschlag gemacht. Touba ist die heilige Stadt der Mouriden. Angeblich schickt jeder Mouride Woche für Woche eine Spende an den Marabou nach Touba. Serigne Cheikh Abdou Karim Mbacke gilt als einer der reichsten und mächtigsten Männer des Landes. Vor Wahlen pilgern alle Kandidaten zu den geschäftstüchtigen Glaubensfürsten, um sich ihr Wohlwollen zu sichern.

Karsten Dörre / 26.03.2024

“Senegal gilt heute als Demokratie und könnte daher für andere afrikanische Staaten ein Vorbild sein.” - Dieser Konjunktiv ist edel gemeint vom Verfasser. Schauen Sie ins moderne Deutschland, was es unter Demokratie versteht. Oder nach Russland, was dort unter Demokratie verstanden wird.

Christian Feider / 26.03.2024

die Rolle Frankreichs und seine “Interessen-Umsetzung” wird hier doch seeeeehr diplomatisch umschrieben… was die “Toleranz” der Religionsgruppen angeht,bei 90% Muslim-Anteil wird es so sein,wie bei den Kopten in Egypt..die haben auch defakto nichts zu melden

L. Luhmann / 26.03.2024

Über 90% Mohammedaner und weniger als 10% Christen? Nun, dann sollte man sich nicht wundern, wenn eines Tages genau das passieren wird, was passieren muss ...

Torsten Hopp / 26.03.2024

Immer wieder interessante Beiträge von Dr. Seitz über Länder, die Abseits des Interesses stehen. Danke.

L. Bauer / 26.03.2024

Herr Seitz, warum nur die halbe Wahrheit zum CFA? Es ist immer noch die verdeckte Kolonialmacht Frankreich, die diese Länder, sechzehn aktuell glaube ich, ausbeutet. 400 Milliarden im Jahr kassieren die Franzosen, da kann man auch etwas eher in Rente gehen. Waren Sie als Botschafter auch in Afrika? Auch wenn nicht, müssen Sie das doch wissen. Die afrikanischen Länder die am CFA hängen sind den Franzosen gnadenlos ausgeliefert. Ihre Staatsreserven müssen sie in Frankreich lagern, quasi als Sicherheit, kommen aber ohne die Franzosen nicht ran. Die haben auch vertraglich das erste Zugriffsrecht auf die Bodenschätze der Länder. Mali mit seinem Uran lässt die französischen Atomkraftwerke jetzt etwas leer zurück. Und zum Zehntel des Marktpreises versteht sich. Alle großen Firmen die damit zusammenhängen, eben auch Tankstellen und so, sind in französischer Hand, mit französischem Führungspersonal. Gewinne gehen wohin? Richtig, a France. Diese Firmen, die Regierung und die öffentliche Verwaltung, müssen alle Dinge die sie brauchen in Frankreich kaufen. Und genau in diesen Ländern werden die Regierungen von den Franzosen mitbestimmt. Erfundene Vergewaltigungen gegen Oppositionelle sind da noch harmlos. Normalerweise sieht man die nie wieder. Deswegen erheben sich gerade viele afrikanische Länder, um diesem französischen Kolonialsystem zu entkommen, weil es eben nicht vorwärts geht. Und arrogante Franzosen kann dort niemand mehr sehen. Suchen Sie die Informationen im Netz! Die sind zwar schön versteckt und wenig, aber man findet sie. Beste Grüße.

Gerhard Schmidt / 26.03.2024

Ein “stabiles” und dennoch mehrheitlich moslemisches Land - Sehr selten.

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