Unter Präsident Paul Kagame hat sich Ruanda seit dem Völkermord wirtschaftlich und gesellschaftlich relativ gut entwickelt.
Vor 30 Jahren, am 7. April 1994, begann mit dem bis heute ungeklärten Mord am ruandischen Hutu-Präsidenten Habyarimana in Ruanda ein Völkermord. In knapp einhundert Tagen wurden im „Land der Tausend Hügel“ über 800 000 Menschen ermordet. Der Völkermord wurde unter Anleitung der Armee von radikalen Hutu-Milizen und von großen Teilen der Hutu Bevölkerung an der in Ruanda lebendenden Tutsi- Minderheit und oppositionellen Hutu begangen. Hauptwaffen waren Macheten, die unmittelbar vor dem Völkermord verteilt wurden. Der Genozid wurde durch Propaganda vorbereitet, z.B. durch den staatlichen Radiosender Radio Television Libre des Mille Collins (RTML), der die Tutsi beschimpfte und forderte, dass das Land sich von ihnen befreien müsse. Es wurde täglich zur Beteiligung am Töten aufgerufen, indem Namen und Anschriften von Ruandern verlesen wurden, die in das Feindbild des Senders passten.
Wie man heute weiß, verdoppelte sich bereits ab Januar 1993 der Import von Macheten nach Ruanda. Ein Jahr später veröffentlichte die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch einen Bericht, der weitere Importe von Waffen nach Ruanda genau dokumentierte. Als vier Monate vor Beginn des Mordens der in Ruanda stationierten UN-Truppe (UNAMIR) ein Offizier vertraulich über die intensive Vorbereitung von Mordkommandos Bericht erstattete, stieß diese Nachricht in den Büros der Vereinten Nationen in New York auf taube Ohren. Auch der kanadische General Roméo Dallaire hatte als hochrangiger Militär der UN rechtzeitig vergeblich vor den Gefahren einer Katastrophe gewarnt. Die Anweisung zum Nichtstun kam vom damaligen Untergeneralsekretär für UNO-Friedenseinsätze, Kofi Annan.
Beendet wurde der Genozid durch den Einmarsch der Rwandan Patriotic Front (RPF). Gründer und starker Mann der RPF war Paul Kagame. Die Rebellenarmee nahm nach Wochen blutiger Kämpfe die Hauptstadt Kigali ein und beendete so die Gewalt. Im Jahre 2000 übernahm er auch offiziell die Macht in Kigali. Die Regierung von Paul Kagame besteht zu mehr als der Hälfte aus Hutus. Hutu und Tutsi sind heute wieder Nachbarn. Unter den Überlebenden des Genozids gibt es offenbar kaum Hass und keine Rachegefühle. Verantwortliche wurden bestraft und Opfer erhielten materielle und symbolische Entschädigungen. Die Unterscheidung zwischen den Volksgruppen Hutu und Tutsi, die nie eine ethnische, sondern eine Frage des sozialen Status war, darf öffentlich nicht mehr thematisiert werden. In Artikel 11 der Verfassung steht: „Alle Ruander sind gleich geboren und bleiben gleich in Rechten und Pflichten“ („Tous les Rwandais naissent et demeurent libres et égaux en droits et en devoirs“.). Alle sind schlicht und einfach Ruander.
Vorzeigebeispiel in Afrika
Heute, dreißig Jahre nach dem Völkermord, bietet Ruanda seinen Bürgern Frieden, eine florierende Wirtschaft mit wenig Arbeitslosigkeit und Gleichberechtigung. Ruanda entspricht ganz und gar nicht dem Klischee des hoffnungslosen Kontinents. Die Hauptstadt Kigali gilt heute als sicherste und sauberste Stadt Afrikas. Plastiktüten hat die Regierung schon vor Jahren verbannt. Es wurde unter der Führung von Paul Kagame zu einem Vorzeigebeispiel für ein Land in Afrika, das vorankommt, ein rarer Lichtblick. Gute Regierungsführung hat sich zum Nutzen der Bevölkerung ausgezahlt. Die Wirtschaft der jungen Nation boomt und die Lebenserwartung hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten verdoppelt. Der Anteil der Bevölkerung, die unterhalb der Armutsgrenze lebt, konnte erheblich gesenkt werden.
Afrikaner, die ich kenne, betrachten Kagame als vorbildlichen Modernisierer und Versöhner. Sie bezeichnen ihn in Anlehnung an Singapur als „aufgeklärten Autokraten“. Er ist beim Volk als Garant von Stabilität, bescheidenem Wohlstand und Wirtschaftswachstum beliebt. Bevor eine westliche Demokratie in Ruanda entstehen kann, müssen erst einmal lebenswerte Bedingungen geschaffen werden. Unter der Führung Kagames ist Ruanda eines der wenigen Länder Afrikas, das die vorgegebenen Ziele des Armutsabbaus erreicht hat. Größter Devisenbringer ist der Tourismus, weil die Regierung früh den Wert von Wildtier-Tourismus in den unberührten Wäldern erkannt hat und Reisen zu den Berggorillas geschickt vermarktet. Kigali ist nach Kapstadt und Marrakesch auch ein wichtiges Ziel für Geschäftstourismus.
Nicht weniger als 41 Prozent der nationalen Ausgaben fließen in Gesundheit und Bildung. Die Führung des Landes hat verstanden, wie stark Wohlstand und Lebensqualität eines Landes von der Bildung abhängen. Der Zugang zu primärer Schulbildung ist für Jungen und Mädchen gewährleistet. Ruanda hat eine Einschulungsrate von nahezu 100 Prozent. Die Anstrengungen lohnen sich. Das Bildungsniveau ist ein zuverlässiger Gradmesser für die langfristige Wohlstandsentwicklung und Stabilität des Landes. Es spielt eine Vorreiterrolle bei gutem Regierungsmanagement. Es hat eine qualitativ hohe Bildungsinfrastruktur. Ausstattung wie auch Qualitätssicherung sind sehr gut und die Bevölkerung profitiert davon. Paul Kagame sieht in Singapur sein Vorbild. All die Erfolge, die sich Singapur zugutehält – die fehlende Korruption, effiziente Bürokratie und Wirtschaft, Schutz der Umwelt – gehören auch zu den Zielen der Regierung Ruandas.
Das Gemeinwohl steht im Vordergrund
Der Präsident schuf eine Leistungsgesellschaft, eine funktionierende Verwaltung und damit eine höhere Lebensqualität. Er reist immer wieder durch die Provinzen und hört sich die Anliegen der Bewohner an. Jeder Bürgermeister ist dem Präsidenten persönlich verpflichtet, Probleme in seinem Bezirk innerhalb eines Jahres zu lösen. Die Bürger werden über ihre Rechte und Gesetze informiert, welche staatlichen Dienstleistungen ihnen zustehen, und wo sie sie bekommen können.
Ruanda wird straff regiert, aber seine Führung ist dank einer verantwortungsvollen Politik, die das Gemeinwohl in den Vordergrund stellt, wichtiger Reformen, kluger Verwendung ausländischen Kapitals und der Entwicklungshilfe ein Ansporn für den Kontinent. Es ist ein autoritäres System, das soziale Reformen in Gang gesetzt und den Lebensstandard der Massen substantiell verbessert hat. Es ist eines der wenigen Länder Afrikas, wo Homosexualität als Privatangelegenheit angesehen wird.
Das Wirtschaftswachstum betrug im vergangenen Jahrzehnt durchschnittlich acht Prozent. Und die ruandische Regierung versucht, Investoren ins Land zu locken. Wer mehr als 10 Millionen Dollar investiert, zahlt keine Unternehmenssteuern, die Firmengründung ist vergleichsweise unkompliziert. Außerdem gilt das Land als relativ sicher. Kagames Regierung ist darauf bedacht, dass Management-Positionen vornehmlich mit Einheimischen besetzt werden. In Kigali wurde eine Sonderwirtschaftszone eingerichtet. Wer Produkte hier herstellt und ins Ausland exportieren will, zahlt keine Zölle.
Großer Einfluss der Frauen
Paul Kagame wird von westlichen Beobachtern gerne als „umstritten“ bezeichnet. Aber die positiven Resultate seiner Politik zieht kaum jemand in Zweifel. Ruanda hat sich unter seiner Führung in den vergangenen zwei Jahrzehnten schneller entwickelt als jedes andere afrikanische Land. Leute, die den Präsidenten ablehnen, seien schwerer zu finden als solche, die ihn feiern, schreibt die Schweizer Journalistin Barbara Achermann in ihrem rundum lesenswerten Buch „Frauenwunderland“, Reclam 2018. Die Kindersterblichkeit hat sich in diesem Zeitraum halbiert, die Zahl der Grundschüler verdreifacht.
In nur wenigen anderen Ländern weltweit haben Frauen mehr Einfluss als in Ruanda. Sie stellen 64 Prozent der Delegierten im Parlament, besetzen 40 Prozent der Ministerposten, stellen die Hälfte der Richter am Obersten Gerichtshof. Die Chefsessel des Außenamts, der Fluglinie Air Ruanda und der größten Bank, der Bank of Kigali, besetzen Frauen. Eine Quote schreibt einen Anteil von 30 Prozent Frauen der Angestellten auf allen Verwaltungsebenen vor. Die ebenbürtige Bezahlung von Mann und Frau ist in Ruanda kein Thema. Laut Weltwirtschaftsforum liegt Ruanda in Bezug auf die Gleichstellung der Geschlechter auf Platz fünf, noch vor Deutschland auf Platz zwölf. Start-ups werden gefördert und finden, auch mit der Hilfe ausländischer Stiftungen, für sie zugeschnittene Büroräumlichkeiten und finanzielle Förderer für vielversprechende Projekte.
Mehr als 4.500 Kilometer Glasfaserkabel durchziehen das Land, das vollkommen auf E-Governance und Effizienz setzt. Auch die Abwanderung von ausgebildeten Ärzten oder Krankenschwestern ist in Ruanda offenbar die Ausnahme. Die medizinischen Berufe sind in Ruanda nicht nur geachtet, sie werden auch überdurchschnittlich gut bezahlt. Bisher hat Ruanda jährlich 300 Krankenschwestern ausgebildet. Die Zahl der Ausbildungsplätze an den Krankenpflegerschulen ist gerade verdoppelt worden. Und auch an den Universitäten ist die Zahl der Medizinstudienplätze stark erhöht worden.
Kaum Auswanderungswillige
Immer wieder versuchen einige notorisch-besserwisserische Kolumnisten die Politik des „aufgeklärten Autokraten“ Paul Kagame international herabzuwürdigen und relativieren die wirtschaftlichen und sozialen Erfolge in Ruanda. Aber die Stabilität kommt allen Nachbarstaaten zugute. Es fehlen grundlegende Freiheiten wie Presse- oder Versammlungsfreiheit. Auch gibt es keine offizielle Opposition. Aber das Positive überwiegt doch gewaltig, insbesondere wenn man die Lage in den weitaus reicheren Ländern, etwa in Nigeria, Kenia, Kamerun, Angola, Mosambik, Gabun und in den beiden Kongos betrachtet.
Ruanda wurde von der UN-Flüchtlingskommission als beispielhaft im Umgang mit Flüchtlingen anerkannt. Fast 135.000 Flüchtlinge leben derzeit in Ruanda. Die meisten kommen aus den Nachbarländern Burundi und dem Kongo (Kinshasa). In Ruanda müssen sie - wie andernorts - nicht in Lagern wohnen, können sich frei bewegen, dürfen arbeiten und Unternehmen gründen. Dennoch hat der britische Supreme Court Bedenken wegen des ruandischen Asylverfahrens geltend gemacht. Eine Mustereinrichtung für aus Großbritannien eingeflogene Flüchtlinge wurde von Kigali eingerichtet. Aber umgesetzt wurde wegen des Gerichtsverfahrens noch nichts.
In Ruanda gibt es keine Oligarchie, die alle Einkommensquellen des Staates kontrolliert und in die eigene Tasche wirtschaftet. Die Lebensqualität ist gestiegen, Auswanderungswillige sind deshalb rar. Deshalb hält sich die Kritik an der Regierung von Paul Kagame im Land und in Afrika in Grenzen. Afrikaner anderer Staaten, die ich kenne, sehnen sie sich nach politischer wie ökonomischer Stabilität und wären bereit, dafür auf einen Teil ihrer Freiheit zu verzichten. Für viele Afrikaner, so zumindest mein Eindruck, wird der autoritäre Führungsstil durch den wirtschaftlichen Aufschwung legitimiert. In den Flüchtlingsbooten, die übers Mittelmeer nach Europa kommen, sitzen keine Ruander. Sie fliegen mit dem Flugzeug in die entgegengesetzte Richtung.
Volker Seitz, Botschafter a.D. und Autor des Bestsellers „Afrika wird armregiert“, dtv 11. Auflage 2021