Gastautor / 31.01.2014 / 10:41 / 3 / Seite ausdrucken

«Die Barbaren», eine mörderische Gang der Banlieues, verkörpern den Albtraum Frankreichs

Eugen Sorg

Am Morgen des 13. Februar 2006 machte ein Spaziergänger auf einem Grundstück südlich von Paris eine fürchterliche Entdeckung. Ein nackter Mann war mit Seilen an einen Baum gebunden, die Hände in Handschellen, Körper und Gesicht mit Wunden, Blutergüssen und verbrannter Haut überzogen, mehrere Knochen gebrochen, ein Ohr und ein Zeh fehlten, die Hoden waren aufgeschwollen wie «geschwärzte Orangen». Der Mann lebte noch, starb aber auf dem Weg ins Spital.

Bald gab die Polizei mehr Einzelheiten bekannt. Das Opfer war ein 23-jähriger Telefonverkäufer namens Ilan Halimi, der vor über drei Wochen, am 20. Januar, entführt worden war. Eine attraktive 17-Jährige, die aus Iran stammende Yalda, hatte Halimi in eine Wohnung gelockt, wo ihn junge Männer erwarteten, die ihn an einen Stuhl fesselten, seinen Kopf mit Klebeband einwickelten und nur beim Mund eine Öffnung frei liessen, damit er sprechen und atmen, Nahrung in Form von Vitamintabletten aufnehmen konnte.

Während endlosen 24 Tagen sollte er in dieser Position bleiben, in der Wohnung, später im Keller desselben Blocks einer Pariser Vorortsiedlung, ausgeliefert den Peinigungen der Entführer.

Halimi war in die Hände einer Gang gefallen, die sich «Die Barbaren» nannte, eine Bande junger Banlieue-Bewohner vor allem afrikanischer, karibischer oder nordafrikanischer Herkunft. Ihr Chef war Youssouf Fofana, 26-jähriger Franzose ivorischer Abstammung mit solidem kriminellem Leistungsausweis.

Die Barbaren hatten schon früher Kidnappingversuche unternommen. Ziel waren wie Ilan Halimi oft Juden. Die Bande teilte die in den muslimischen Migrantenmilieus verbreitete Überzeugung, dass «hinter jedem Problem, etwa dem Elend der Welt, ein Jude steckt», wie Fofana später vor Gericht sagen sollte, und sie war überzeugt, dass alle Juden viel Geld haben.

Auch solche wie Halimi, dessen Eltern aus Marokko nach Frankreich eingewandert waren und wie er in einfachen Verhältnissen lebten. In den 700 Telefongesprächen mit dem Vater von Halimi über das Lösegeld wies Fofana diesen stets an, die Summe von anfänglich 450 000 Euro bei den «reichen Juden» und bei Rabbinern aufzutreiben.

Um die Erpressung nachhaltiger zu machen, wurden die Schmerzensschreie des mit Fäusten, Stöcken, Messern, Feuerzeugen, glühenden Zigaretten, brennender Säure malträtierten Halimi übertragen und dazu Koran-Suren vorgelesen. Geldgier war der Motor, religiös verbrämter Antisemitismus salbte die sadistische Orgie.

Neben der Abscheulichkeit der Tat erschreckte noch etwas anderes. 27 Gangmitglieder und Helfer wurden vor Gericht gestellt. Auf irgendeine Weise involviert waren aber viel mehr. Verwandte und Nachbarn nahmen zeitweise an den Quälereien teil oder schauten zu; auch wer nicht selber Hand anlegte oder Gaffer war, wusste Bescheid. In der Wohnung im dritten Stock des Wohnsilos in Bagneux war ein Kommen und Gehen, Schreie und Stöhnen waren auch im Treppenhaus unüberhörbar. Fofana reiste in der Zeit dreimal in die Elfenbeinküste, in sein Ursprungsland, doch niemand informierte die Polizei, auch nicht anonym.

Die angeklagten Helfershelfer behaupteten vor Gericht, sie hätten nicht gewusst, dass der Mann auf dem Stuhl eine jüdische Geisel gewesen sei. Sie hätten gedacht, es ginge um Abrechnung in einem Drogengeschäft. Als ob dies die Folterungen rechtfertigen würde.

Das Gesetz der Siedlung ist das Gesetz des Schweigens. Die Affäre erinnerte die Franzosen für einen Moment wieder daran, dass ihre Metropolen längst von Zonen der Unkontrollierbarkeit umschlossen sind. Von den Sozialsiedlungen der Banlieues, den wilden, binnenkolonialen Territorien, in die sich die Repräsentanten des Staates nur noch als hochgerüstete Truppe hineinwagen und wo sie einem unberechenbaren Feind gegenüberstehen, dessen krude Weltanschauung aus Faustrecht, Voodoo und Islamo-Fundamentalismus den kartesianischen Rationalismus der Republik mit jeder Faser verhöhnt.

Barbarenboss Fofana, der zu lebenslanger Haft verurteilt wurde und keine Reue zeigte, war die Verkörperung dieses Albtraums. Lächelnd hatte er den Gerichtssaal betreten, gerufen, «Allah wird siegen», und auf die Frage nach Namen und Geburtsdatum ebenso abstrus wie machttrunken geantwortet: «Ich heisse Araber, wütender Afrikaner, Barbaren-Armee, Salafist, und ich bin am 13. Februar 2006 in Sainte-Geneviève-des-Bois geboren.» Letztere das Datum und der Ort, wo der sterbende Halimi gefunden wurde.

Nach dem Schock und der klaren Verurteilung des antisemitisch motivierten Mordes durch die politische Elite (Sarkozy: «Der Antisemitismus bedarf keiner klugen Erklärungen. Er wird bekämpft.»), geriet die Affäre in Vergessenheit.

Auf die toxische Energie aus den Banlieues wurde das Land wieder aufmerksam, als 2012 der 23-jährige Mohamed Merah drei französische Soldaten und in einer jüdischen Schule in Toulouse einen Lehrer und drei Kinder aus nächster Nähe erschoss. Der Kleinkriminelle sah sich als muslimischer Gotteskrieger. Auf seinem Motorradhelm hatte er eine Kamera installiert. Er wollte die Tötungen ins Netz stellen: globales Dokument seiner Frömmigkeit, Fanal für alle zögerlichen Glaubensbrüder.

Unfähig, von der Gnade des Vergessens zu profitieren, war die Familie Halimi. Sie war während der Entführung durch die Hölle gegangen; auch danach verging kein Tag, an dem sie nicht von Bildern des sterbenden Ilan heimgesucht worden wäre. Mutter Ruth wirft der Polizei vor, die Lage falsch eingeschätzt zu haben. Man habe geglaubt, es mit gewöhnlichen Kriminellen zu tun zu haben und nicht mit antisemitisch aufgeladenen Gewalttätern, die von Anfang an bereit waren, bis zum Äussersten zu gehen. Ruth Halimi hat darüber ein Buch geschrieben, «24 Jours: La Vérité sur la Mort d’Ilan Halimi» (2009).

Das Buch ist auch die Vorlage für einen Film des französischen Regisseurs Alexandre Arcady, der im April dieses Jahres in die Kinos kommen soll. Er wird nicht nur das Drama der jüdischen Familie Halimi nochmals aufleben lassen, sondern auch den verstörenden muslimischen Antisemitismus ins Bewusstsein rufen, der sich in den herunter gekommenen Vorstädten Frankreichs wie eine Krankheit ausbreitet. 

Zuerst erschienen in der Basler Zeitung vom 31.1.14

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Leserpost

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Axel Wahlder / 31.01.2014

Ich glaube, dass Fofana oder Merah früher oder später den Staatspräsidenten Frankreichs stellen wird. Denn sie zeigen in der Tat viel mehr Profil und Leidenschaft als alle Sarkozys Europas.

Marc Jenal / 31.01.2014

Die tief verwurzelte Weltanschauung dieser Gesellschaften (Ein ganzes Quartier wusste darüber Bescheid und duldete dies oder nahm sogar aktiv daran teil.) erinnert an vergangene, schlimmste Vorgänge im Nationalsozialismus in Europa, die man hinter sich glaubte. Es wäre wichtig laut, oft und überall zu informieren was hier wieder entsteht, nicht zu vergessen, nicht zu schweigen, nicht zu verharmlosen, nicht weiterzumachen, nicht sich zu ducken, nicht zu relativieren! Am schlimmsten finde ich nicht einmal die grauenvolle Tat, sondern die Gleichgültigkeit (auch Toleranz genannt) mit der wir solche Weltanschauungen importieren und akzeptieren! Es überrascht uns nicht mehr, wir haben uns sogar bereits an die Einstellung dieser Leute gewöhnt, solange es nicht uns selbst trifft, schweigen wir, machen in unserem Alltag weiter, es ist ein ganzes Quartier, also was soll man schon tun? Diese armen Menschen haben halt eine andere Weltanschauung als wir, sie wurden vielleicht selbst unterdrückt, also verstehen wir das… Was muss passieren? Was lassen wir alles zu? Sagen wir eigentlich irgendwann stopp? Oder ist es uns egal, weil es ja die anderen trifft?

Pavel Hoffmann / 31.01.2014

Es ist bis zu gewissen Punkt die pure Bösartigkeit der Islamisten, die Menschen vor dem Hinschauen bewahrt. Es ist unangenehm sie zu betrachten. Wir wenden uns instinktiv ab, so wie wir es immer tun, wenn wir mit einer monströsen Deformation konfrontiert sind. Nichts ist furchteinflößender und schwerer anzuschauen als ein Mensch, der völlig aus dem Rahmen gefallen ist. Die moralische Deformation ist aber mit Abstand furchterregendste Verunstaltung überhaupt Als Beispiel kann man die Rede des syrischen Verteidigungsministers vor dem eigenen Parlament hier aufführen: Der syrische Verteidigungsminister Mustafa Tals schilderte im Dezember 1973 vor der syrischen Nationalversammlung das folgende Beispiel für die „höchste Tapferkeit“ der syrischen Truppen wörtlich: “Es handelt sich um den Fall eines Rekruten aus Aleppo, der ganz allein 28 jüdische Soldaten ermordet hat. Er hat sie hingemetzelt wie Schafe. Seine bewaffneten Kameraden waren Zeugen. Drei von Ihnen schlachtete er mit der Axt ab und enthauptete sie Mit einem von ihnen geriet er in den Nahkampf. Dem brach er mit einem Axthieb das Genick und verschlang vor den Augen seinen Kameraden sein Fleisch. Dieser Fall ist ein ganz besonderes Beispiel für Heldenmut; der Mann verdient Medaille der Republik. Ich werde diese Medaille jedem Soldaten verleihen, dem es gelingt 28 Juden zu töten, und werde ihn für seinen Mut mit Anerkennung und Ehren überhäufen“ Zitat Ende

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