Gauland ist zwar nicht mein Typ, aber dumm ist er nicht. Er wird sich schon darüber klar gewesen sein, daß er die Osteuropäer brüskiert. Das ist Raffinesse, er wollte eine Empörung anschieben, die schließlich die Tatsachen auf den Tisch legen muß. Er wollte eine Debatte über Stalins Paradies und das Denunziantentum. / Hinter einer Singularität kann man sich prima verstecken. Ich glaube nicht, daß es in der Sowjetunion unter Stalin besser gewesen ist als unter Hitler. Wäre die Sowjetunion nicht hinter einem eisernen Vorhang versteckt worden, hätten wir sicher keine Linkspartei, keine Antifa und kein neues Denunziantentum. Die meisten Bücher über die Sowjetunion sind aus dem Verkehr gezogen worden. Sicher nicht ohne Hintergedanken.
Bevor ich mich zur Rede Gaulands äußere, möchte ich mehrere allgemeine Anmerkungen loswerden: (1) Ich halte Herrn Gauland für einen klugen und gebildeten Menschen. Deshalb versuche ich - soweit zeitlich und technisch möglich - JEDE seiner Bundestagsreden nachzuhören. Meist höre ich seine Reden mit Gewinn, oft lerne ich dazu. (2) Die Achse verweist durch Links auf die kritisierte Rede und (auch nochmals) auf den Wortlaut der ‘Vogelschiß-Rede’. So geht guter und unabhägiger Journalismus, der selten geworden ist. Danke! (3) Die Länder Osteuropas sind in den letzten 20 Jahren gleichermaßen zum Hinterhof und Katzentisch des Brüsseler Rats- (russisch Sowjet!) Imperiums geworden. Gerade Polen hat in Deutschland wenige ECHTE Freunde. Der gewöhnliche Klimahüpfer und Vergangenheitsbewältiger interessiert sich für Polen nur dann, wenn er das Leid der Polen gegen das Leid der Vertriebenen und Leid von ca. 2 Millionen vergewaltigter Frauen ausspielen und dann mit pharisäerhaftem Dünkel gegen alle Seiten austeilen kann (Kaczynski, Steinbach, kath. Kirche usw.) kann. Inkarnation dieser ‘falschen Freunde’ Osteuropas ist Genossin Barley, über deren schandbares Brüsseler Wirken die Achse uns regelmäßig berichtet. Ich habe keinen Zweifel daran, dass es sich bei den Unterzeichnern um ‘echte’ Freunde Polen und Osteuropas handelt. Insbesondere, die von mir verehrte, Freya Klier hat ihr lang gegen das große Vergessen angeschrieben und an die Schicksale, die Leistungen und die Würde der Opfer erinnert. Zu Gaulands Rede: Die Rede beginnt mit einem - für die Partei der (angeblich) Unberührbaren - knappen und klaren Statement: Hitlers Krieg im Osten war ein (mit der ‘Rassentheorie’ begründeter) Angriffs- und Vernichtungskrieg. Gauland nennt und verurteilt die Ausmordung des jüdischen Volkes, den Kommissarbefehl, das bewußte Verhungern-lassen von 1-2 Millionen Kriegsgefangenen. Da hätten die Fraktionen ‘der Guten’ doch mal zu klatschen können.
Seit es Nazivergleiche gibt, wissen wir, dass diese immer nach hinten losgehen. Immer! Gauland hat anscheinend ein Vergangenheitsbewältigungsproblem. Keine Ahnung, warum der ständig in der Geschichte herumschnüffelt, aber es wäre vielleicht besser, nicht nur für ihn, sondern für die gesamte AfD, wenn sie sich, statt mit der Vergangenheit, lieber mit Gegenwart und Zukunft beschäftigt. Die Vergangenheit ist tot, und sie lässt sich nicht mehr ändern. Wir brauchen stattdessen Politiker, die im Hier und Jetzt leben, und sich darum Gedanken machen.
Die Debatten"kultur” der meisten deutschen Medien gleicht sich der der DDR bzw. der Sowjetunion: man wartet die Verkündigung der Parteilinie schön geduldig ab, bevor man die eigene Stellung bezieht. Die gleiche, natürlich.
Ganz unabhängig von besagten Äusserungen und Entgegnungen ist der Hitler-Stalin-Pakt als solches überaus interessant. Wie konnte es sein, dass sich - zumindest offiziell - derart spinnefeinde Ideologien so innig verbündeten? Galten nicht z.B. Hitler die Kommunisten (Bolschwisten) als vermeintliche Verbündete jüdischer Weltrevolutionäre? Und wurde dies nicht auch ständig so kommuniziert? War dies nicht einer der unbedingten Pfeiler der nationalsozialistischen Weltsicht? Selbst wenn man unterstellt, dass Hitler den Pakt ausschliesslich aus opportunen Gründen abschloss, um ihn bei nächstbester Gelegenheit zu brechen, bleiben etlichen Fragen offen. Ist es nicht erstaunlich, dass das deutsche Volk diesen Pakt vor dem eben Gesagten offenbar wie selbstverständlich hinnahm? Selbst in einem totalitären Regime werden die naheliegenden Widersprüche doch aufgefallen sein. Und umgekehrt, auf sowjetischer Seite, doch das prinzipiell Gleiche, nicht wahr? Und: man stelle sich vor, Hitler hätte den Pakt eben nicht gebrochen - was hätte dies für den Ausgang von WWII bedeutet?
Ich muss leider N. Borger zustimmen, lieber Achgut.
Geschichtliche Betrachtungen sollten möglichst im Zusammenhang, also in dem eines Ursache-Wirkungs-Prinzips, betrachtet werden. Willkürlich einen Eintrittspunkt in die Geschichte zulassen, verzerrt das Gesamtbild. An welcher Stelle nun in die Deutsch-Polnisch-Russische (Sowjetische) Geschichte eintreten? Allein diese Begriffsbildung kann in ihrer Verkürzung als eine solche interpretiert werden. Beginnt man nun mit Polen im Zentrum (grob skizziert) bei den Polnischen Herzögen oder dem Großfürstentum, den Türken- und Schwedenkriegen, bei Polen unter August dem Starken, den Drei Polnischen Teilungen, Kongreßpolen, der Gründung Polens 1916 oder 18, den polnischen Annexionen im Baltikum, Weißrußland oder der Ukraine, dem Frieden von Riga, der Diskriminierung von Minderheiten im neu entstandenem Polen (darunter 2,5Mio Deutsche) unter Berücksichtigung deutscher Gebietsabtrennungen (Versailles), der Verwaltungshoheit (unter Völkerbundaufsicht) im 95%-ig deutschen Danzig, Vereinnahmung von Oderberg 1938 (Hultschiner Ländchen), Einfall der Sowjetarmee September 1939 in Ostpolen, Westverschiebung nach 1945 (Stichwort: Vertreibung - Lager Lambsdorf), Oder-Neiße-Grenze usw. Alles wirklich ganz oberflächlich skizziert, dabei nichts relativierend (Auschwitz) oder einseitig interpretieren wollend. Um sich eine Meinung zu bilden, stets das Davor und Danach und Zusammenhänge beachtet werden sollten, Historiker und Zeitzeugen jeder und “neutraler” Seite, Systems, Alters und Epoche berücksichtigt werden sollten, um wenigstens etwas den wahren Geschehnissen nahe zu kommen. Von einem Urteil ganz zu schweigen. Insofern Reden, Offene Briefe und Geschichtsbücher stets nur ein “Vogelschiß” an Möglichkeit von vielen Darstellungen und Interpretationen sein können.
Zwei skrupellose Machtmenschen und Massenmörder teilen sich heimlich Osteuropa wie einen Geburtstagskuchen auf. Dem Volk wird etwas anderes erzählt. Diese Märchen sollte man allerdings heute nicht mehr glauben.
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