Sehr geehrter Herr Müller, da der Volksmund weiß, daß kaum zwei separate Dinge einander so sehr gleichen können wie zwei Eier, und da dem Ei, wie’s heißt, alles entstiegen ist - vielleicht ja sogar die Eierköpfe dieser Welt -, lassen Sie mich meinen Beitrag ebenfalls dort beginnen. Es ist schon Jahrzehnte her, daß ein Streitgespräch darüber, ob zu den Kegelschnitten nebst der Hyperbel und der Parabel nicht auch noch eine Eiform gehören müßte, mit dem Verweis auf ein Lehrbuch und dem Ausspruch endete: “Dann irrt sich eben das Buch…”(es irrte nicht). Seither ist dieses Zitat in unserer Familie zum geflügelten Wort avanciert, das sich ebenso gut zur spaßigen Versöhnung wie zum Weitergranteln eignet. Wahrscheinlich könnten Historiker, Zoologen und Gastwirte trefflich darüber debattieren, ob die Eiform im allgemeinen und das 3-Minuten-Ei im besonderen über alle Zeiten eine Konstante, also gewissermaßen zeitlos seien. Denn sollte das im Falle des Frühstückseis einmal nicht so sein, wissen wir ja, wer schuld ist. Mir hat Ihre oratio horribilem in aestum amoris blitzartig die gesammelten Werke derer von Bülow in Erinnerung gerufen. Von jenen zu lernen, heißt, verstehen zu lernen: Es muss an der Gefühlswelt der Frau liegen, die das Ei zubereitet hat. Unterschiede in der Siedetemperatur der Kochsalzlösung, der Betriebsspannung an den Heizleitern der Herdplatte usw. sind alle zu abseitig, und die Tatsache, daß das misslungene Ei zuvor zwei Wochen mehr im Kühlschrank verbracht hat, klammern wir aus. Nicht wahr? Sie jedenfalls stehen vor dem Phänomen junge SVP und sind irritiert, daß nicht das drin ist, was für Sie draufsteht. Könnte es eine reine Zeiterscheinung sein? Oder müssen die Mitglieder der jungen SVP wirr im Kopf sein, Anian Liebrand zu ihrem Vorsitzenden zu machen? Der Brückenschlag zum Antisemitismusvorwurf über die Logik, nach der die Feinde meiner Feinde meine Freunde sein müssen, ist doch bestimmt auch für Sie zu plump. Und die andere Sache, die mit dem 9/11 Commission Report? Wissen Sie: Dort irrt sich nun wirklich „das Buch“. Oder meinen Sie etwa nicht? Haben Sie’s gelesen? Würden Sie seinen Inhalt auch verteidigen, wenn Sie davon ausgehen müßten, daß das Ihrer Karriere schadet? Daß es „crap“ ist, sagen ja sogar seine Autoren. Außer Philipp Zelikow, der Volksmythologe, der hält wahrscheinlich immer noch jedes Wort darin für verbindlich. Dünn für eine Kriegsgrundlage. Und dann gibt es da noch die 28-seitige Passage, die bisher nicht veröffentlicht werden sollte, die aber Haarsträubendes über die Verwicklungen einer oder mehrerer ausländischer Regierungsinstitutionen in die Vorbereitung der Anschläge enthält – und enthüllt. „Komplett offenlegen!“, rufen die einen. „Exemplarisch auf dem dort dokumentierten Schuldanteil der Saudis rumhacken“, rufen die anderen. Alles eine Frage der politischen Reife? Halten wir fest: Die jungen Leute von heutzutage glauben, sie könnten dereinst in politischen Parteien aktiv sein, die dazu beitragen, daß die Gesellschaft ihre Lebenslügen abschüttelt, und nicht dazu, daß neue Lügengebäude aufgebaut werden. Und wenn einer kommt und sagt: „Vergeßt das Links-Rechts-Paradigma, seid und wählt bodenständig und verläßlich - der Wahrheit zugewandt! Ich werde mich für diese Hoffnung starkmachen“, dann werden Sie unsicher und teilen schon mal vorsorglich aus. Schade, aber absehbar. Es war für mich nur eine Frage der Zeit, bis der erste an Herrn Liebrand rummäkelt, nur weil der eine Untersuchung der Anschläge vom 11. September nach forensischen Maßstäben fordert. Die Frage, warum ein Journalist des 21. Jahrhunderts mit eisernen Bandagen gegen Aufklärung kämpft, bleibt interessant.
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