Ein Herz für die Psychiatrie

Von Pauline Schwarz. 

Jeder kennt sie: Ungepflegte Menschen mit einer gruseligen Körperhaltung laufen murmelnd durch die Straßen. Manche riecht man schon, bevor man sie sieht; andere hört man noch drei Straßenecken weiter schreien. Ich bin in Berlin-Kreuzberg geboren und aufgewachsen – Gestalten wie diese kenne ich also nur zu gut. Einige besonders kuriose Existenzen liefen mir so regelmäßig über den Weg, dass ich ihnen aufgrund ihrer Eigenheiten Namen gab.

Über mehrere Monate hinweg sah ich so zum Beispiel fast täglich einen Mann, den ich „Rückwärts Rudy“ taufte. Auf den ersten Blick war Rudy eine dieser typischen zwielichtigen Gestalten, um die man reflexartig einen großen Bogen macht. Das Faszinierende an ihm war aber, dass er immer rückwärts lief. Er machte dabei weder Ausnahmen noch Pausen – zumindest sah ich ihn nie anders. Erstaunlicherweise lief er nie gegen einen Straßenmast oder stolperte. Er aß rückwärtsgehend und schimpfte rückwärtsgehend über imaginäre Personen, so als hätte er nie anders gelebt.

Eine andere wirklich spezielle Persönlichkeit begegnete mir in Gestalt der „Tücherfrau“. Stellen Sie sich eine kleine dünne Frau vor, die ihren ganzen Körper mit Decken umwickelt hat – und das durchaus stilbewusst. Sie besorgte sich bei „Kik“ dünne, bunte Fleecedecken, zerschnitt sie dann in aller Ruhe unter der Hochbahn und wickelte sich die einzelnen Teile um den Körper: einen Teil um den Kopf wie einen Turban und viele kleine Teile um den Rumpf und die Extremitäten. Diese Frau war eine Erscheinung und nicht nur das, sie erschien mir wie ein Geist immer wieder überall in Berlin.

Irgendwann verschwanden diese beiden sonderbaren Gestalten aus meinem Kiez. Eine dritte hingegen, die ich „den Veteranen“ nenne, sehe ich an warmen und sonnigen Tagen noch heute fast täglich. Würden Sie ihn sehen, wüssten Sie sofort, wie er zu seinem Namen gekommen ist: Ein alter dünner Mann mit langem weißem Bart, stets in einer Art Uniform gekleidet und mit einem strengen Blick. Er sitzt jeden Tag in einem der Cafés am Görlitzer Park und schnitzt große kunstvolle Hölzer, während er sich einen Joint nach dem anderen einpfeift.

Je nach Gemütsverfassung nickt er mir an manchen Tagen mit völlig emotionslosem Gesicht zu – wohl eine Geste nachbarschaftlicher Anerkennung. Ich kann mich nicht bewusst daran erinnern, ihn je reden gehört zu haben, und doch hat er immer wieder Besuch an seinem Tisch. Anscheinend fiel er nicht nur mir auf und erreichte so einen gewissen Bekanntheitsgrad in unserem Kiez – er schaffte es sogar in das Musikvideo eines bekannten Berliner Rappers. Vor kurzem munkelte man außerdem, er sei in echt einer der größten Berliner Drogendealer – ganz überzeugt bin ich davon allerdings nicht. Würde ein Berliner El Chapo hinter den Bänken eines Restaurants schlafen und den Gehweg fegen? Wer weiß das schon – in Berlin ist bekanntlich alles möglich.

Wie Sie sehen, war ich stets geneigt, die meisten der ungewöhnlichen Existenzen in meiner Wohngegend mit Humor zu betrachten. Das änderte sich jedoch vor etwas mehr als vier Jahren, als ich nach der Schule begann, in einem Betreuungsbüro zu arbeiten.

„Ein Betreuungsbüro? Ach, du pflegst alte Menschen!“ 

Neben dieser Hypothese führt die Bezeichnung Berufsbetreuer meist zu einem langen: „Aha...“, begleitet von zögerlichem Kopfnicken. Der Beruf des rechtlichen Betreuers ist kaum jemandem geläufig. Zu fragen, worum es dabei geht, kommt für die meisten aber auch nicht in die Tüte. Ich habe mir deshalb angewöhnt, mich direkt zu erklären.

Die rechtlichen Betreuer, für die ich arbeite, sind im Prinzip Vormünder für psychisch kranke, behinderte oder demente Menschen. Kurz gesagt: für Personen, die sich nicht mehr um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern können. Je nachdem wie ausgeprägt und folgenschwer das Krankheitsbild ist, desto mehr Aufgabenbereiche werden dem Betreuer übertragen. Sie können unter anderem die postalischen Angelegenheiten, die Gesundheitssorge, die Behördenangelegenheiten und auch Vermögenssorge umfassen.

Einige Betreuungen werden durch die Sozialarbeiter in Krankenhäusern angeregt. Die Polizei bringt die schreienden, teils um sich schlagenden Personen in die psychiatrischen Abteilungen der Krankenhäuser, nachdem diese randalierten, jemanden angriffen und/oder orientierungslos und unpassend gekleidet aufgefunden wurden. Sie werden wegen eigen- und fremdgefährdenden Verhaltens vorläufig nach PsychKG (Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten) zwangsuntergebracht und teilweise auch zwangsmedikamentiert. Sobald die Betreuung angeregt wurde, gerät unser riesiger Verwaltungsapparat ins Rattern. Das anlaufende Betreuungsverfahren verlangt zunächst nach einem umfangreichen psychiatrischen Gutachten zur Feststellung der Betreuungsbedürftigkeit, einem passenden Berufsbetreuer und in den allermeisten Fällen natürlich nach jeder Menge Steuergeldern, um das Ganze zu finanzieren.

Ich habe im Laufe der Jahre einiges mitbekommen – ich las Gutachten, war bei Gericht, in Heimen oder im Knastkrankenhaus und erlebte die Betreuten in Person. Das Lachen ist mir seither zwar noch nicht ganz vergangen, aber es wird von Skepsis und vor allem von Vorsicht überlagert.

„Die tun doch gar nichts.“

Stellen Sie sich ein Gerichtsverfahren vor, bei dem es um versuchten Totschlag geht. Der Fall: Die Stimmen im Kopf eines psychisch kranken Mannes befehlen ihm, jemanden zu töten. Eine Frau kreuzt zufällig seinen Weg und wird als Opfer auserkoren. Nur durch ihre schnelle Reaktion entgeht sie dem Messerangriff mit leichten Verletzungen. 

Was würden Sie erwarten? Ich habe mir die Situation wie folgt vorgestellt: Die Atmosphäre ist kühl – man spürt die Anspannung im Raum. Der Richter blickt mit strengem Blick von seinem Pult, neben ihm der Staatsanwalt mit angespannter Miene. Ernste Gesichter bei allen Anwesenden. Meine Vorstellung hatte mit der Realität aber leider wenig zu tun:

Die Verhandlung begann mit der Anhörung eines Psychiaters. Es galt festzustellen, ob der an Schizophrenie leidende Angeklagte schuldfähig ist. Trotz Bemühen des Staatsanwaltes war schnell klar, dass er es natürlich nicht war – wenig überraschend. Die Anhörung des Angeklagten durch den Richter war das eigentlich Schockierende: Der Richter war so unglaublich freundlich und verständnisvoll, als würden sich alte Freunde bei Kaffee und Kuchen wiedersehen. Der Mann, der vor ihm saß, war aber kein alter Freund – er hatte versucht, einer Frau ein Messer in den Hals zu stoßen. Ein Gefühl von Ekel und Wut stieg in mir hoch, als mein Blick durch den Raum schweifte und auf das traumatisierte Opfer traf. Weitere Empörung stieg in mir auf nachdem das Urteil verkündet wurde. Mein Chef hatte mir bereits prophezeit, wie das Verfahren ausgehen würde: Ein Aufenthalt in einer speziellen Einrichtung mit strenger Medikamentenkontrolle und 24-Stundenbetreuung. Er sagte mir auch, was das letzten Endes bedeutet: Er ist fast umgehend wieder auf freiem Fuß.

Dass psychisch Kranke während einer Episode (einem starken Ausbruch der Symptomatik, häufig ausgelöst durch Drogen) gewalttätig werden, ist keine Seltenheit. Bei einigen ist die Anzahl der Strafverfahren so enorm und unübersichtlich, dass wir lange Excel-Tabellen anlegen müssen, um irgendwie den Überblick zu behalten. Trotz etlicher, teils schwerer Gewalttaten kommt es nur in den seltensten Fällen zu mehr als einer Geldstrafe. Für die Justiz gilt wohl in erster Linie: Wer nicht schuldfähig ist, wird nicht bestraft. Konsequenzen darüber hinaus? Nur in ganz besonders schweren Fällen wie versuchter Totschlag, dann kommen sie vorläufig in das Krankenhaus des Maßregelvollzuges (= Knastkrankenhaus).

Bevor also nicht jemand fast umgebracht wurde, lassen wir die psychotischen Personen einfach weiter frei herumlaufen und riskieren, dass sie unschuldige Passanten angreifen. Dieses Risiko ist sehr hoch. Wir haben in der Zeit, in der ich im Betreuungsbüro arbeite, etwa 100 Fälle von schweren Psychotikern bearbeitet. Davon habe ich allein in unserem Büro vier Fälle versuchten Totschlags und einen erfolgreichen mitbekommen. Hinzu kommen mehrere Fälle von erfolgter oder versuchter Vergewaltigung und unzählige Delikte wegen Körperverletzung. 

„Solche Leute gehören doch in die Psychiatrie!“, werden Sie nun denken. Richtige geschlossene Psychiatrien gibt es aber nicht mehr. In den 70/80er Jahren wurde die Forderung, den Menschen aus den Fängen der Psychiatrie zu befreien, immer lauter. Mitte der 80er wurde die Kritik dann offizielle Politik. Berlin als Speerspitze und Zugpferd der Nation baute im Zuge der Enthospitalisierung in den 90er Jahren sukzessive die geschlossenen Betten in den Krankenhäusern und Einrichtungen ab. Heute gibt es in Berlin kein einziges geschlossenes Heim mehr.

Es gibt zwar noch geschlossene psychiatrische Abteilungen in Krankenhäusern, diese dienen aber nur kurzfristigen Aufenthalten. Hinzu kommt, dass das, was wir heute geschlossen nennen, nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Leute wirklich nicht hinaus kommen. Sie kennen vielleicht die Meldungen „Person XY ist aus dem Krankenhaus entlaufen“, aber wenn Sie dann noch die Vorgeschichte der Betroffenen kennen würden, würden Sie ab sofort einmal mehr über Ihre Schulter schauen.

Den rechtlichen Betreuern sind folglich die Hände gebunden. Wenn ein Betreuter langfristig geschlossen untergebracht werden muss, weil er jederzeit zu einer Gefahr für sich und Andere werden könnte, gibt es nur drei Handlungsmöglichkeiten:

1. Man versucht, die Betreuten in einem geschlossenen Altersheim für Demenzerkrankte unterzubringen. Da die Demenzkranken häufig eine sogenannte Weglauftendenz haben, sind dies die einzig wirklich geschlossenen Einrichtungen (mit Ausnahme vom Krankenhaus des Maßregelvollzugs). Die Betroffenen sind aber häufig noch relativ jung und passen folglich weder vom Krankheitsbild noch vom Klientel in diese Art der Einrichtung.

2. Sie schieben die besonders schweren Fälle nach Bayern oder Baden-Württemberg ab. Dort gibt es noch geschlossene Heime für psychisch kranke Menschen.

3. Wenn die erste und zweite Möglichkeit – wie in den allermeisten Fällen – ausgeschlossen ist, können die Betreuer gar nichts tun. Die Betreuten landen letztlich wieder auf der Straße.

„Nicht der Mensch ist krank, sondern die Gesellschaft!“

Als ich mich nach langem Hin und Her entschloss, Psychologie zu studieren und nach noch längerem Hin und Her schließlich einen Studienplatz bekam, folgte schnell der Schock: Psychiatriekritik. Sobald man das Institut für Psychologie betritt, schreit sie einem förmlich ins Gesicht. Sie denken, Sie können sich wenigstens auf der Damentoilette in Ruhe Ihr Näschen pudern? Pustekuchen. Auf mehreren übereinander geklebten A4-Seiten erklären einem die Psychiatriegegner, wie grausam und unmenschlich diese ekelhafte Form der Freiheitsberaubung sei. Natürlich liefern sie auch gleich den Schuldigen: die Gesellschaft. 

Ich kenne den Spruch „Nicht der Mensch ist krank, sondern die Gesellschaft!“ natürlich schon lange – ein üblicher linker Propagandaspruch. Mir wurde auch schnell klar, dass die Psychologiestudenten noch linker als der Durchschnitt der Berliner Studenten sind. Spätestens nachdem die trotzkistische Gruppe IYSSE meine Statistikvorlesung nutzte, um uns über die sozialistische Perspektive gegen Krieg und Faschismus aufzuklären, war das nicht mehr zu leugnen. Mein Professor ließ die sozialistische Gruppe nicht nur gewähren, er schien genauso begeistert wie die Studenten. 

Neben den bunten Haaren, den Gesichtstattoos und den Bad-Taste-Partyklamotten zeigt auch das allgemeine Verhalten der Studenten, dass sie ein besonderes Völkchen sind. Aber trotzdem hätte ich an diesem einen Punkt mehr Realismus und weniger ideologische Verblendung erwartet. Man würde meinen, die Studenten wissen, wovon sie sprechen.

Leider ein Wunschtraum, denn viele haben überhaupt noch keine Arbeitserfahrung. Die Älteren schon, aber die sind in der Regel als Sozialarbeiter oder Ähnliches tätig gewesen und haben sich mit schwierigen Kindern oder Behinderten beschäftigt. Wirklich in Kontakt mit schwer psychisch kranken Personen scheint noch kaum jemand gewesen zu sein.

Falls doch, erklärt sich ihr Verhalten nur durch Verleugnung. Dieses Phänomen ist mir aus Kreuzberg, insbesondere von jungen Frauen, wohlbekannt. Vielleicht haben Sie von den Zuständen rund um den Görlitzer Park schon mal in der Zeitung gelesen. Ich fasse es kurz zusammen: An guten Tagen stehen an einigen Straßenecken 10 bis 20 afrikanische Drogendealer, im Park kommen die verfeindeten arabischen Dealer hinzu, rumänische Familien schicken ihre Kinder in den Straßen betteln und stehlen und dann liegen da noch in allen Ecken Obdachlose – ab und zu auch mal mitten auf der Straße. Als junge Frau haben Sie sehr schnell unerwünschte Gesellschaft, die wenig Bedenken hat, ungefragt Körperkontakt mit Ihnen aufzunehmen. Sie denken, diese Missstände kann man doch gar nicht verleugnen? Dann lassen Sie sich diese Aussage mal auf der Zunge zergehen: „Dass es hier wirklich so schlimm ist, glaube ich nicht. Sowas ist mir noch nie passiert! ... Außer einmal, da hat mich ein Mann mit seinem Sperma bespritzt.“ 

Ich kenne keine einzige junge Frau, die hier lebt, ohne schon sexuell belästigt worden zu sein. Trotzdem werden Sie händeringend suchen müssen, um eine zu finden, die den Zustand hier kritisiert. Für mich ist das immer wieder unbegreiflich. Manchmal frage ich mich, ob sich zu der offensichtlichen Verleugnung eine Form des Stockholm-Syndroms bei den Kreuzbergerinnen zeigt.

„Aber das ist doch Freiheitsberaubung!“

Zurück zu unserem Thema: Sicher ist es nicht schön, Menschen gegen ihren Willen einzusperren. Ich bin liberal und überzeugt, dass jeder Mensch ein Recht auf Freiheit von Zwang und der Willkür anderer hat. Die Freiheit des Einzelnen ist für mich ein hohes Gut, in diesen Fällen bedroht sie aber klar die Freiheit aller anderen. Die psychisch Kranken stellen eine Gefahr für ihre Umwelt dar. Sie bedrohen das Leben eines jeden, der sich zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort befindet. Denken Sie nur an die junge Berlinerin, die vor etwas mehr als einem Jahr vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen wurde. Sie war nicht der erste Fall willkürlicher Gewalt, die zum Tod des Opfers führte, und sie wird auch nicht der letzte sein.

Durch meine Arbeit bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Unterbringung der Kranken nicht nur das Beste für die Allgemeinheit ist, sondern auch für sie selbst. Auf der Straße leben sie in den menschenunwürdigsten Zuständen. Viele leiden an infektiösen Krankheiten, die durch den ganzen Schmutz, den Alkohol und die Drogen verschlimmert werden. Sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen, bedeutet in einigen Fällen ihren Tod. Die vermeintliche Freiheitsberaubung ist genau die Hilfe, die sie brauchen. In einer Einrichtung bekommen sie ausreichend Nahrung, Kleidung, Medikamente sowie eine ärztliche und psychologische Betreuung. 

In einigen Fällen hat die Zwangsunterbringung zu einer so positiven Entwicklung geführt, dass die Betroffenen heute ein relativ selbstständiges Leben führen können. Das hätte ohne die längere Stabilisierungsphase in der Unterbringung nie funktioniert. Nachdem sie wieder in einem klaren Zustand waren, zeigten sie sich durchaus einsichtig und dankbar. Eine Betreute brachte sogar Blumen und Geschenke zu uns ins Büro – und das immer wieder, obwohl sie wusste, dass wir die Geschenke nicht annehmen dürfen.

Solch positive Entwicklungen sind leider eine absolute Seltenheit. Das liegt vor allem daran, dass die Unterbringung nach dem Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) sofort beendet wird, sobald der akute Ausbruch beendet ist und Unterbringungsanträge nach BGB zum Zwecke der Heilbehandlung meist abgelehnt werden. Wenn sie genehmigt werden, sind sie nur von relativ kurzer Dauer. 

Sobald die Leute aus den Krankenhäusern entlassen werden, verfallen sie einem Teufelskreis: Angekommen in ihrem alten Umfeld, fangen sie sofort an, exzessiv zu trinken oder nehmen Drogen und landen früher oder später wieder in der Unterbringung. Dieses System funktioniert also einfach nicht und fordert zusätzlich immer wieder unbeteiligte Opfer. Deshalb muß die Gesetzeslage rund um das Betreuungswesen dringend reformiert werden. Wir brauchen geschlossene Heime, in denen die schwerkranken Fälle langfristig untergebracht werden können. Anders kann eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes nicht erreicht werden, und anders ist es nicht möglich, die Bevölkerung vor Angriffen zu schützen. 

Pauline Schwarz, 23 ist Berlinerin, studiert Psychologie und arbeitet in einem Betreuungsbüro.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts  "Achgut U25: Heute schreibt hier die Jugend" in Zusammenarbeit mit der Friedrich A. von Hayek Gesellschaft und dem Schülerblog „Apollo-News“ entstanden. 

Foto: Tim Maxeiner

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Wilfried Paffendorf / 10.03.2019

Sehr geehrte Frau Schwarz. Ich stimme Ihnen in vielen Punkten, die Sie beschreiben zu. Ich habe hinreichende, langjährige Erfahrungen mit psychisch Kranken allgemein und psychisch kranken Straftätern, die nach § 63 StGB und § 64 StGB in der “forensischen Psychiatrie” untergebracht sind, i, Besonderen.  Ebenso habe ich tiefe Einblicke in das “Betreuer-Wesen” in Deutschland, über private Kontakte zu psychisch Kranken und zu Betreuern gewonnen. Ihrer Darstellung entnehme ich, dass auch Sie sehr wohl den Unterschied zwischen der Unterbringung eines psychisch Kranken nach dem PsychKG und den Bestimmungen des StGB kennen, und als Betreuerin kennen Sie sicherlich auch den Instanzenweg, der zu einer Betreuung. führt. Es gibt viele Formen und Abstufungen von Betreuung psychisch Kranker, und nicht alle Betreuten sind psychisch krank; letztere kommen einfach nur nicht mehr mit der Bewältigung ihres Alltags zurecht. Ich kenne auch Menschen, die selbständig für sich eine gesetzliche Betreuung beim Betreuungsgericht/Amtsgericht beantragt haben, weil sie zu der Erkenntnis kamen, dass sie Unterstützung in verschiedenen Lebenslagen benötigen - etwa beim Umgang mit Behörden, dem richtigen Umgang mit ihren Finanzen usw.  Was den “Beruf” des Betreuers für psych. Kranke betrifft, so vermisse ich da eine eindeutige gesetzliche Regelung (nicht hinsichtlich der Befugnisse, die ein Betreuer gegenüber seinen Klienten hat, denn diese Befugnisse werden ja vom Betreuungsgericht definiert), wer als Betreuer arbeiten darf. Faktisch kann jeder eine Betreuung für einen Menschen übernehmen, unabhängig von seiner beruflichen Qualifikation. Die Zugangsbedingungen zu einer Betreuertätigkeit sollten grundsätzlich m.E. auf solche Personen beschränkt werden, die ein abgeschlossenes Studium der Sozialpädagogik oder Psychologie oder eine diesem Berufsbild nahe verwandte Ausbildung vorweisen können. Was die von Ihnen angedeutete “Drehtür-Psychiatrie” angeht, so liegt da in der Tat einiges im Argen.

G. Müller / 10.03.2019

Es fehlt allerdings noch der Hinweis, warum die geschlossenen Psychiatrien abgelehnt wurden:  Weil Leute früher z. T. ohne schweres Störungsbild jahrelang dort festgehalten wurden. Gerade wer sich normal verhielt, galt als verdächtig.  Wer sagte, dass er zu Unrecht drinn saß, war in “Abwehrhaltung” und nicht therapiefähig usw.  Solche Bewertungen kann man auch in offenen psychiatrischen Einrichtungen finden, also dass prinzipiell ausschließlich das Personal Recht haben darf und Patienten keine Fragen stellen sollen (Stichworte “Ärztenarzissmus” und “Betriebsblindheit”). Zu dem Justizopfer Gustl Mollath wurden mehrfach falsche bzw. gefakte Gutachten erstellt, bis endlich ein sachliches Gutachten erstellt wurde. Er hatte ewig zu Unrecht im Maßregelvollzug bzw. in Zwangsunterbringung in der Psychiatrie gesessen. Das Thema, wie sehr der Bürger auf der Straße z. B. durch akut an Schizophrenie Erkrankte gefährdet sein kann, wird politisch wirklich stark ignoriert. Andersherum kann man als heftige politische Überreaktion bewerten, als Bayern 2018 ausgerechnet die Depressiven meldepflichtig machen wollte, als ob die eine besondere “Gefährdergruppe” wären.

Rosa Wissmann / 10.03.2019

Vielen Dank für diesen klugen, informativen und einfühlsamen Artikel und herzlichen Glückwunsch zur Veröffentlichung! Ich freue mich schon auf Nachschub von Ihnen und auch der anderen Jungautoren.

Gabriele Kremmel / 10.03.2019

Ein sehr guter Artikel zu einem diffizilen Thema. Der Schutz der Menschen vor Freiheitsentzug und Psychiatrisierung ist durchaus eine wichtige Angelegenheit, zumal es in früheren Zeiten (und auch heute noch, siehe den Fall Mollath) diesbezüglich Willkür und Missbrauch gegeben hat. Ich habe jedoch selbst Fälle kennen gelernt, wo nicht einmal die Angehörigen eine dringend benötigte Behandlung akuter Psychosen mit gefährdendem Verhalten durchsetzen konnten, solange keine konkrete Gefährdung anderer oder Selbstgefährdung vorgewiesen werden konnte. In einem solchen Stadium ist der Erkrankte gar nicht in der Lage, seine Behandlungsbedürftigkeit zu erkennen, nicht einmal zu seinem Besten. Leider habe ich auch erlebt, wie leichtfertig ein unwissendes und verunsichertes Umfeld (Nachbarschaft, Passanten) Personen, die lediglich ein auffälliges, aber keineswegs übergriffiges oder gefährdendes Verhalten an den Tag legen einsperren lassen würden. Insgesamt ein schwieriges Thema, das ich in Bayern jedoch einigermaßen gut gelöst sehe. Hier wird die Freiheit und Selbstbestimmung des Betreuten sehr hoch eingeschätzt, dennoch gibt es die genannten Einrichtungen für psychisch Kranke, die eine Unterbringung und Akutbehandlung benötigen. Die Abschaffung solcher Möglichkeiten und Einrichtungen empfinde ich als Ignoranz gegenüber den Erkrankten, denen man so die notwendige Hilfe verwehrt und sie an der Wiedererlangung ihrer Selbstbestimmung hindert. Denn von Zwängen und psychotischem Wahn getriebene Menschen sind nicht selbstbestimmt und werden in verantwortungsloser Weise der Verwahrlosung oder der krankheitsbedingten, Lächerlichkeit und Selbstentwürdigung preis gegeben. Nicht umsonst gibt es eine Regel gegenüber schizoid Erkrankten: Man darf sie niemals damit konfrontieren, wie sie sich in wahnhaften Phasen verhalten haben.

Andreas Rochow / 10.03.2019

Zu beklagen ist der Trend, bei sozial abweichendem Verhalten in Kombination mit Drogenkriminalität, Alkoholsucht, Eigentums- und Gewaltdelikten primär auf die Zuständigkeit psychiatrischer Krankenhäuser zu verweisen. Die Sozialarbeiter haben sich dankbar auf die neue Klientel der Immigranten gestürzt, in der sich zweifelsfrei ein signifikant hoher Anteil - mir fehlen die politisch korrekten Worte! - sozial schwacher, ungebildeter und kulturell überforderter Integrationsverweigerer befindet. Die Marotte der Integrations-Aktivisten, jedes sozial abweichende Verhalten mit oder ohne Straftaten voreilig als Hinweis auf eine posttraumatische Belastungsstörung zu werten und nach dem Psychiater zu rufen, stellt eine enorme Belastung der diesbezüglichen Behandlungskapazitäten dar. Nicht berücksichtigt wird dabei, dass es auch einen Akt der Antipsychiatrie darstellt, psychiatrische Institutionen mit Aufgaben zu überfrachten, die eigentlich in die Zuständigkeit der Rechtspflege gehören. Aber psychiatrische Krankenhäuser sind trotz Pflegenotstand und Ärztemangel gern bereit, diese Aufgaben zu übernehmen, soweit ein halbwegs kostendeckender Finanzierungsmodus ausgehandelt wurde. Die “atmosphärischen” Nachteile die sich daraus für eine psychiatrische Akutstation ergeben, schaden dem Ruf der modernen Psychiatrie und machen die psychiatrische Diagnose wieder zu einem Stigma.

R. Nicolaisen / 10.03.2019

Die Bestimmer von heute sind fast samt und sonders Menschen ohne p r a k t i s c h e Lebenserfahrung, dafür aber ungeheurer Arroganz, sind also im engeren Sinne noch gar keine Menschen geworden. -\\ Schön, daß Sie, Frau Schwarz, zu den wenigen Psychologen gehören werden, die vom Menschen wissen aus eigener Erfahrung. Ich bin begeistert. Für Ihr Leben wünschen ich Ihnen eine gehörige Portion von “gleichviel, was solls” und “je nun”, um gut zu überleben und darüberhinaus zu leben.

Andreas Rochow / 10.03.2019

Zu den Spielarten der Antipsychiatrie gehört auch jene, die von ideologisierten Psychologen betrieben wird. Die Beobachtung trifft nicht nur für den hauptstädtischen sozialen Brennpunkt zu; sie gilt auch für Deutschland allgemein. Als Psychiater im Krankenhaus habe ich immer wieder mit jungen Psychologie-Absolventen zusammenarbeiten dürfen, die in ihrem Studium krass antipsychiatrisch indoktriniert worden waren und sich nur mit großen Bemühungen als klinische Psychologen eigneten. Das war vorauszusehen, weil seit über zwei Jahrzehnten Stipendiaten mit einer politischen Agenda die Atmosphäre an den Unis vergiften, so dass selbst Dozenten und Hochschulleitungen es ängstlich vermeiden, diesen Spuk zu unterbinden. Es verwundert also nicht, dass die gleichen Hochschulen dann Professoren in die Studios des öffentlich-rechtlichen Rundfunks entsenden, wo sie als “Experten für politische Psychologie” Regierungskritiker oder die einzige Oppositionspartei “wissenschaftlich” stigmatisieren. Die politisch-aktivistische Antipsychiatrie, die betont, dass es ihr um die Freiheitsrechte des Menschen mit sozial abweichendem Verhalten gehe, lehnt auch den Freiheitsentzug im Strafrecht grundlegend ab. Der Ersatz des Vormundschafts- durch das Betreuungsrecht diente auch der euphemistischen Begriffskosmetik, indem das schöne deutsche Wort “Betreuung” von der Legislative zu einem semantischen Schwindelpaket verbogen wurde. Geschlossene Abteilungen in psychiatrischen Krankenhäusern und Pflegeheimen werden sinnfrei zu “geschützten Abteilungen” umbenannt, obwohl dieser Betrug offenkundig ist, wenn Besucher und Konsiliardienste herein- und herausgeschlossen werden müssen. - Die von Pauline Schwarz so treffend beschriebenen Fehlentwicklungen sind Mosaiksteine einer von linksgrünen Ideologen herbeigeführten Krise der Rechtsstaatlichkeit, gegen die sich auch Universitätsleitungen, Psychiater und Psychologen vernehmbar zur Wehr setzen sollten.

Klaus Löffler / 10.03.2019

Sehr geehrte Frau Schwarz, Leider ist Ihr Artikel teils lückenhaft, teils inkorrekt. Ich bin forensischer Psychiater und habe im Maßregelvollzug mehr als 10 Jahre gearbeitet. Viele Patienten (die nebenbei bemerkt gemäß Paragraph 63 des Strafgesetzbuches und nicht gemäß Psych KG untergebracht sind) bleiben dort lebenslang. Leider erwirbt man im Psychologiestudium und auch nicht im Betreuungsbüro keine Kompetenzen in der Beurteilung psychotisch erkrankter Menschen, und schon gar nicht von psychotischen Straftätern, Sie haben offenbar keine Ahnung, was in an Schizophrenie erkrankten Menschen so vorgeht. Diese schwerkranken Menschen sind wirklich schuldunfähig, also ohne Schuld, und sind, wenn erfolgreich behandelt, nicht mehr gefährlich.  Warum dann einsperren? Ich rate dazu, sich erst sachkundig zu machen und sich erst dann öffentlich zu äußern. Mit freundlichen Grüßen

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