Ein Herz für die Psychiatrie

Von Pauline Schwarz. 

Jeder kennt sie: Ungepflegte Menschen mit einer gruseligen Körperhaltung laufen murmelnd durch die Straßen. Manche riecht man schon, bevor man sie sieht; andere hört man noch drei Straßenecken weiter schreien. Ich bin in Berlin-Kreuzberg geboren und aufgewachsen – Gestalten wie diese kenne ich also nur zu gut. Einige besonders kuriose Existenzen liefen mir so regelmäßig über den Weg, dass ich ihnen aufgrund ihrer Eigenheiten Namen gab.

Über mehrere Monate hinweg sah ich so zum Beispiel fast täglich einen Mann, den ich „Rückwärts Rudy“ taufte. Auf den ersten Blick war Rudy eine dieser typischen zwielichtigen Gestalten, um die man reflexartig einen großen Bogen macht. Das Faszinierende an ihm war aber, dass er immer rückwärts lief. Er machte dabei weder Ausnahmen noch Pausen – zumindest sah ich ihn nie anders. Erstaunlicherweise lief er nie gegen einen Straßenmast oder stolperte. Er aß rückwärtsgehend und schimpfte rückwärtsgehend über imaginäre Personen, so als hätte er nie anders gelebt.

Eine andere wirklich spezielle Persönlichkeit begegnete mir in Gestalt der „Tücherfrau“. Stellen Sie sich eine kleine dünne Frau vor, die ihren ganzen Körper mit Decken umwickelt hat – und das durchaus stilbewusst. Sie besorgte sich bei „Kik“ dünne, bunte Fleecedecken, zerschnitt sie dann in aller Ruhe unter der Hochbahn und wickelte sich die einzelnen Teile um den Körper: einen Teil um den Kopf wie einen Turban und viele kleine Teile um den Rumpf und die Extremitäten. Diese Frau war eine Erscheinung und nicht nur das, sie erschien mir wie ein Geist immer wieder überall in Berlin.

Irgendwann verschwanden diese beiden sonderbaren Gestalten aus meinem Kiez. Eine dritte hingegen, die ich „den Veteranen“ nenne, sehe ich an warmen und sonnigen Tagen noch heute fast täglich. Würden Sie ihn sehen, wüssten Sie sofort, wie er zu seinem Namen gekommen ist: Ein alter dünner Mann mit langem weißem Bart, stets in einer Art Uniform gekleidet und mit einem strengen Blick. Er sitzt jeden Tag in einem der Cafés am Görlitzer Park und schnitzt große kunstvolle Hölzer, während er sich einen Joint nach dem anderen einpfeift.

Je nach Gemütsverfassung nickt er mir an manchen Tagen mit völlig emotionslosem Gesicht zu – wohl eine Geste nachbarschaftlicher Anerkennung. Ich kann mich nicht bewusst daran erinnern, ihn je reden gehört zu haben, und doch hat er immer wieder Besuch an seinem Tisch. Anscheinend fiel er nicht nur mir auf und erreichte so einen gewissen Bekanntheitsgrad in unserem Kiez – er schaffte es sogar in das Musikvideo eines bekannten Berliner Rappers. Vor kurzem munkelte man außerdem, er sei in echt einer der größten Berliner Drogendealer – ganz überzeugt bin ich davon allerdings nicht. Würde ein Berliner El Chapo hinter den Bänken eines Restaurants schlafen und den Gehweg fegen? Wer weiß das schon – in Berlin ist bekanntlich alles möglich.

Wie Sie sehen, war ich stets geneigt, die meisten der ungewöhnlichen Existenzen in meiner Wohngegend mit Humor zu betrachten. Das änderte sich jedoch vor etwas mehr als vier Jahren, als ich nach der Schule begann, in einem Betreuungsbüro zu arbeiten.

„Ein Betreuungsbüro? Ach, du pflegst alte Menschen!“ 

Neben dieser Hypothese führt die Bezeichnung Berufsbetreuer meist zu einem langen: „Aha...“, begleitet von zögerlichem Kopfnicken. Der Beruf des rechtlichen Betreuers ist kaum jemandem geläufig. Zu fragen, worum es dabei geht, kommt für die meisten aber auch nicht in die Tüte. Ich habe mir deshalb angewöhnt, mich direkt zu erklären.

Die rechtlichen Betreuer, für die ich arbeite, sind im Prinzip Vormünder für psychisch kranke, behinderte oder demente Menschen. Kurz gesagt: für Personen, die sich nicht mehr um ihre eigenen Angelegenheiten kümmern können. Je nachdem wie ausgeprägt und folgenschwer das Krankheitsbild ist, desto mehr Aufgabenbereiche werden dem Betreuer übertragen. Sie können unter anderem die postalischen Angelegenheiten, die Gesundheitssorge, die Behördenangelegenheiten und auch Vermögenssorge umfassen.

Einige Betreuungen werden durch die Sozialarbeiter in Krankenhäusern angeregt. Die Polizei bringt die schreienden, teils um sich schlagenden Personen in die psychiatrischen Abteilungen der Krankenhäuser, nachdem diese randalierten, jemanden angriffen und/oder orientierungslos und unpassend gekleidet aufgefunden wurden. Sie werden wegen eigen- und fremdgefährdenden Verhaltens vorläufig nach PsychKG (Gesetz über Hilfen und Schutzmaßnahmen bei psychischen Krankheiten) zwangsuntergebracht und teilweise auch zwangsmedikamentiert. Sobald die Betreuung angeregt wurde, gerät unser riesiger Verwaltungsapparat ins Rattern. Das anlaufende Betreuungsverfahren verlangt zunächst nach einem umfangreichen psychiatrischen Gutachten zur Feststellung der Betreuungsbedürftigkeit, einem passenden Berufsbetreuer und in den allermeisten Fällen natürlich nach jeder Menge Steuergeldern, um das Ganze zu finanzieren.

Ich habe im Laufe der Jahre einiges mitbekommen – ich las Gutachten, war bei Gericht, in Heimen oder im Knastkrankenhaus und erlebte die Betreuten in Person. Das Lachen ist mir seither zwar noch nicht ganz vergangen, aber es wird von Skepsis und vor allem von Vorsicht überlagert.

„Die tun doch gar nichts.“

Stellen Sie sich ein Gerichtsverfahren vor, bei dem es um versuchten Totschlag geht. Der Fall: Die Stimmen im Kopf eines psychisch kranken Mannes befehlen ihm, jemanden zu töten. Eine Frau kreuzt zufällig seinen Weg und wird als Opfer auserkoren. Nur durch ihre schnelle Reaktion entgeht sie dem Messerangriff mit leichten Verletzungen. 

Was würden Sie erwarten? Ich habe mir die Situation wie folgt vorgestellt: Die Atmosphäre ist kühl – man spürt die Anspannung im Raum. Der Richter blickt mit strengem Blick von seinem Pult, neben ihm der Staatsanwalt mit angespannter Miene. Ernste Gesichter bei allen Anwesenden. Meine Vorstellung hatte mit der Realität aber leider wenig zu tun:

Die Verhandlung begann mit der Anhörung eines Psychiaters. Es galt festzustellen, ob der an Schizophrenie leidende Angeklagte schuldfähig ist. Trotz Bemühen des Staatsanwaltes war schnell klar, dass er es natürlich nicht war – wenig überraschend. Die Anhörung des Angeklagten durch den Richter war das eigentlich Schockierende: Der Richter war so unglaublich freundlich und verständnisvoll, als würden sich alte Freunde bei Kaffee und Kuchen wiedersehen. Der Mann, der vor ihm saß, war aber kein alter Freund – er hatte versucht, einer Frau ein Messer in den Hals zu stoßen. Ein Gefühl von Ekel und Wut stieg in mir hoch, als mein Blick durch den Raum schweifte und auf das traumatisierte Opfer traf. Weitere Empörung stieg in mir auf nachdem das Urteil verkündet wurde. Mein Chef hatte mir bereits prophezeit, wie das Verfahren ausgehen würde: Ein Aufenthalt in einer speziellen Einrichtung mit strenger Medikamentenkontrolle und 24-Stundenbetreuung. Er sagte mir auch, was das letzten Endes bedeutet: Er ist fast umgehend wieder auf freiem Fuß.

Dass psychisch Kranke während einer Episode (einem starken Ausbruch der Symptomatik, häufig ausgelöst durch Drogen) gewalttätig werden, ist keine Seltenheit. Bei einigen ist die Anzahl der Strafverfahren so enorm und unübersichtlich, dass wir lange Excel-Tabellen anlegen müssen, um irgendwie den Überblick zu behalten. Trotz etlicher, teils schwerer Gewalttaten kommt es nur in den seltensten Fällen zu mehr als einer Geldstrafe. Für die Justiz gilt wohl in erster Linie: Wer nicht schuldfähig ist, wird nicht bestraft. Konsequenzen darüber hinaus? Nur in ganz besonders schweren Fällen wie versuchter Totschlag, dann kommen sie vorläufig in das Krankenhaus des Maßregelvollzuges (= Knastkrankenhaus).

Bevor also nicht jemand fast umgebracht wurde, lassen wir die psychotischen Personen einfach weiter frei herumlaufen und riskieren, dass sie unschuldige Passanten angreifen. Dieses Risiko ist sehr hoch. Wir haben in der Zeit, in der ich im Betreuungsbüro arbeite, etwa 100 Fälle von schweren Psychotikern bearbeitet. Davon habe ich allein in unserem Büro vier Fälle versuchten Totschlags und einen erfolgreichen mitbekommen. Hinzu kommen mehrere Fälle von erfolgter oder versuchter Vergewaltigung und unzählige Delikte wegen Körperverletzung. 

„Solche Leute gehören doch in die Psychiatrie!“, werden Sie nun denken. Richtige geschlossene Psychiatrien gibt es aber nicht mehr. In den 70/80er Jahren wurde die Forderung, den Menschen aus den Fängen der Psychiatrie zu befreien, immer lauter. Mitte der 80er wurde die Kritik dann offizielle Politik. Berlin als Speerspitze und Zugpferd der Nation baute im Zuge der Enthospitalisierung in den 90er Jahren sukzessive die geschlossenen Betten in den Krankenhäusern und Einrichtungen ab. Heute gibt es in Berlin kein einziges geschlossenes Heim mehr.

Es gibt zwar noch geschlossene psychiatrische Abteilungen in Krankenhäusern, diese dienen aber nur kurzfristigen Aufenthalten. Hinzu kommt, dass das, was wir heute geschlossen nennen, nicht zwangsläufig bedeutet, dass die Leute wirklich nicht hinaus kommen. Sie kennen vielleicht die Meldungen „Person XY ist aus dem Krankenhaus entlaufen“, aber wenn Sie dann noch die Vorgeschichte der Betroffenen kennen würden, würden Sie ab sofort einmal mehr über Ihre Schulter schauen.

Den rechtlichen Betreuern sind folglich die Hände gebunden. Wenn ein Betreuter langfristig geschlossen untergebracht werden muss, weil er jederzeit zu einer Gefahr für sich und Andere werden könnte, gibt es nur drei Handlungsmöglichkeiten:

1. Man versucht, die Betreuten in einem geschlossenen Altersheim für Demenzerkrankte unterzubringen. Da die Demenzkranken häufig eine sogenannte Weglauftendenz haben, sind dies die einzig wirklich geschlossenen Einrichtungen (mit Ausnahme vom Krankenhaus des Maßregelvollzugs). Die Betroffenen sind aber häufig noch relativ jung und passen folglich weder vom Krankheitsbild noch vom Klientel in diese Art der Einrichtung.

2. Sie schieben die besonders schweren Fälle nach Bayern oder Baden-Württemberg ab. Dort gibt es noch geschlossene Heime für psychisch kranke Menschen.

3. Wenn die erste und zweite Möglichkeit – wie in den allermeisten Fällen – ausgeschlossen ist, können die Betreuer gar nichts tun. Die Betreuten landen letztlich wieder auf der Straße.

„Nicht der Mensch ist krank, sondern die Gesellschaft!“

Als ich mich nach langem Hin und Her entschloss, Psychologie zu studieren und nach noch längerem Hin und Her schließlich einen Studienplatz bekam, folgte schnell der Schock: Psychiatriekritik. Sobald man das Institut für Psychologie betritt, schreit sie einem förmlich ins Gesicht. Sie denken, Sie können sich wenigstens auf der Damentoilette in Ruhe Ihr Näschen pudern? Pustekuchen. Auf mehreren übereinander geklebten A4-Seiten erklären einem die Psychiatriegegner, wie grausam und unmenschlich diese ekelhafte Form der Freiheitsberaubung sei. Natürlich liefern sie auch gleich den Schuldigen: die Gesellschaft. 

Ich kenne den Spruch „Nicht der Mensch ist krank, sondern die Gesellschaft!“ natürlich schon lange – ein üblicher linker Propagandaspruch. Mir wurde auch schnell klar, dass die Psychologiestudenten noch linker als der Durchschnitt der Berliner Studenten sind. Spätestens nachdem die trotzkistische Gruppe IYSSE meine Statistikvorlesung nutzte, um uns über die sozialistische Perspektive gegen Krieg und Faschismus aufzuklären, war das nicht mehr zu leugnen. Mein Professor ließ die sozialistische Gruppe nicht nur gewähren, er schien genauso begeistert wie die Studenten. 

Neben den bunten Haaren, den Gesichtstattoos und den Bad-Taste-Partyklamotten zeigt auch das allgemeine Verhalten der Studenten, dass sie ein besonderes Völkchen sind. Aber trotzdem hätte ich an diesem einen Punkt mehr Realismus und weniger ideologische Verblendung erwartet. Man würde meinen, die Studenten wissen, wovon sie sprechen.

Leider ein Wunschtraum, denn viele haben überhaupt noch keine Arbeitserfahrung. Die Älteren schon, aber die sind in der Regel als Sozialarbeiter oder Ähnliches tätig gewesen und haben sich mit schwierigen Kindern oder Behinderten beschäftigt. Wirklich in Kontakt mit schwer psychisch kranken Personen scheint noch kaum jemand gewesen zu sein.

Falls doch, erklärt sich ihr Verhalten nur durch Verleugnung. Dieses Phänomen ist mir aus Kreuzberg, insbesondere von jungen Frauen, wohlbekannt. Vielleicht haben Sie von den Zuständen rund um den Görlitzer Park schon mal in der Zeitung gelesen. Ich fasse es kurz zusammen: An guten Tagen stehen an einigen Straßenecken 10 bis 20 afrikanische Drogendealer, im Park kommen die verfeindeten arabischen Dealer hinzu, rumänische Familien schicken ihre Kinder in den Straßen betteln und stehlen und dann liegen da noch in allen Ecken Obdachlose – ab und zu auch mal mitten auf der Straße. Als junge Frau haben Sie sehr schnell unerwünschte Gesellschaft, die wenig Bedenken hat, ungefragt Körperkontakt mit Ihnen aufzunehmen. Sie denken, diese Missstände kann man doch gar nicht verleugnen? Dann lassen Sie sich diese Aussage mal auf der Zunge zergehen: „Dass es hier wirklich so schlimm ist, glaube ich nicht. Sowas ist mir noch nie passiert! ... Außer einmal, da hat mich ein Mann mit seinem Sperma bespritzt.“ 

Ich kenne keine einzige junge Frau, die hier lebt, ohne schon sexuell belästigt worden zu sein. Trotzdem werden Sie händeringend suchen müssen, um eine zu finden, die den Zustand hier kritisiert. Für mich ist das immer wieder unbegreiflich. Manchmal frage ich mich, ob sich zu der offensichtlichen Verleugnung eine Form des Stockholm-Syndroms bei den Kreuzbergerinnen zeigt.

„Aber das ist doch Freiheitsberaubung!“

Zurück zu unserem Thema: Sicher ist es nicht schön, Menschen gegen ihren Willen einzusperren. Ich bin liberal und überzeugt, dass jeder Mensch ein Recht auf Freiheit von Zwang und der Willkür anderer hat. Die Freiheit des Einzelnen ist für mich ein hohes Gut, in diesen Fällen bedroht sie aber klar die Freiheit aller anderen. Die psychisch Kranken stellen eine Gefahr für ihre Umwelt dar. Sie bedrohen das Leben eines jeden, der sich zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort befindet. Denken Sie nur an die junge Berlinerin, die vor etwas mehr als einem Jahr vor eine einfahrende U-Bahn gestoßen wurde. Sie war nicht der erste Fall willkürlicher Gewalt, die zum Tod des Opfers führte, und sie wird auch nicht der letzte sein.

Durch meine Arbeit bin ich zu der Überzeugung gelangt, dass die Unterbringung der Kranken nicht nur das Beste für die Allgemeinheit ist, sondern auch für sie selbst. Auf der Straße leben sie in den menschenunwürdigsten Zuständen. Viele leiden an infektiösen Krankheiten, die durch den ganzen Schmutz, den Alkohol und die Drogen verschlimmert werden. Sie einfach ihrem Schicksal zu überlassen, bedeutet in einigen Fällen ihren Tod. Die vermeintliche Freiheitsberaubung ist genau die Hilfe, die sie brauchen. In einer Einrichtung bekommen sie ausreichend Nahrung, Kleidung, Medikamente sowie eine ärztliche und psychologische Betreuung. 

In einigen Fällen hat die Zwangsunterbringung zu einer so positiven Entwicklung geführt, dass die Betroffenen heute ein relativ selbstständiges Leben führen können. Das hätte ohne die längere Stabilisierungsphase in der Unterbringung nie funktioniert. Nachdem sie wieder in einem klaren Zustand waren, zeigten sie sich durchaus einsichtig und dankbar. Eine Betreute brachte sogar Blumen und Geschenke zu uns ins Büro – und das immer wieder, obwohl sie wusste, dass wir die Geschenke nicht annehmen dürfen.

Solch positive Entwicklungen sind leider eine absolute Seltenheit. Das liegt vor allem daran, dass die Unterbringung nach dem Gesetz für psychisch Kranke (PsychKG) sofort beendet wird, sobald der akute Ausbruch beendet ist und Unterbringungsanträge nach BGB zum Zwecke der Heilbehandlung meist abgelehnt werden. Wenn sie genehmigt werden, sind sie nur von relativ kurzer Dauer. 

Sobald die Leute aus den Krankenhäusern entlassen werden, verfallen sie einem Teufelskreis: Angekommen in ihrem alten Umfeld, fangen sie sofort an, exzessiv zu trinken oder nehmen Drogen und landen früher oder später wieder in der Unterbringung. Dieses System funktioniert also einfach nicht und fordert zusätzlich immer wieder unbeteiligte Opfer. Deshalb muß die Gesetzeslage rund um das Betreuungswesen dringend reformiert werden. Wir brauchen geschlossene Heime, in denen die schwerkranken Fälle langfristig untergebracht werden können. Anders kann eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes nicht erreicht werden, und anders ist es nicht möglich, die Bevölkerung vor Angriffen zu schützen. 

Pauline Schwarz, 23 ist Berlinerin, studiert Psychologie und arbeitet in einem Betreuungsbüro.

Dieser Artikel ist im Rahmen des Projekts  "Achgut U25: Heute schreibt hier die Jugend" in Zusammenarbeit mit der Friedrich A. von Hayek Gesellschaft und dem Schülerblog „Apollo-News“ entstanden. 

Foto: Tim Maxeiner

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Leserpost

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Helga Weiß / 10.03.2019

Liebe Frau Schwarz, ich bin beeindruckt von Ihrem mutigen Artikel. Auch ich bin der Meinung, dass es möglich sein muss, psychisch schwer erkrankte Menschen, die fremd oder eigengefährdend sind, auch längerfristig in einer geschlossenen Klinik unterzubringen. Es war mir nicht bewusst, dass dies in Berlin nicht geleistet werden kann. Dass es Ihnen nicht um ein leichtfertiges Wegsperren von unliebsamen Personen geht, sondern darum, die Gesellschaft vor Menschen zu schützen, die eine Gefahr für andere darstellen, haben Sie durchaus deutlich gemacht. Auch haben Sie interessante Einblicke in den Beruf des Betreuers gegeben. Vielen Dank dafür!

Anders Dairie / 10.03.2019

Es gibt die Elendsgestalten in der Öffentlichkeit als Verlorene, weil es die großen Familien nicht mehr gibt, die sie aufnehmen und auffangen.  Das Einsperren, also der Entzug der Freiheitsrechte, stellt sich als Problem nur deswegen, weil öffentliche Einrichtungen diese Versorgungslücke nicht zu füllen vermögen.  Für Richter stellt sich nur die Frage was höher steht:  Freiheits- oder irgendwelche Ordnungsrechte.  Wer in einer “Geschlossenen” die Behandlung ablehnt, zum Beispiel die Medikamenteneinnahme,  wir nicht einbehalten.  Freiheit heißt auch,  sich nach eigenen Mäßstäben zugrunde richten zu dürfen !  Sorry,  Frau SCHWARZ,  dass ich Ihnen (und ihren gewiss ehrlichen Absichten)  niemals zustimmen werde.  Oder:  Freiheit und Gerechtigkeit sind die Sehnsüchte unseres Lebens und unveräußerlich.

Melina Fleckenstein / 10.03.2019

Ich wundere mich doch sehr über die Kommentare einiger anderer Leser, die zum Teil auch noch bekennende Psychiater sind. Frau Schwarz stellt in ihrem Artikel doch recht deutlich dar, dass man nicht jeden psychisch kranken Menschen wegsperren muss, wohl aber diejenigen, die für sich selbst und ihre Umwelt eine Gefahr darstellen. Erst mit der Stabilisierung der Betroffenen ist es möglich sie in die Gesellschaft wieder zu integrieren. Ich kann mir vorstellen, dass es für einige Nicht-Berliner schlicht nicht vorstellbar ist, welche Zustände hier herrschen. Wir haben hier eine ganze Reihe tatsächlich gefährlicher Personen, die regelmäßig aus schlecht bewachten Stationen entlaufen. Ich hatte selbst bereits eine Begegnung mit einer Psychotikerin, die auf dem Gelände der Charité ausgebüchst war und daraufhin Studenten attackierte. Anderseits verelenden die Menschen auf den Straßen Berlins und es ist auch nichts anderes als falsches Gutmenschentum, dass sich niemand ihres Schicksal annimmt und ihnen die Hilfe zukommen lässt, die sie tatsächlich benötigen. Sei es in einer wirklich geschlossenen Einrichtung.

Dirk Jungnickel / 10.03.2019

Herzlichen Dank für diesen ziemlich schockierenden Beitrag.  Da Sie wohl vorwiegend von Psychosen sprechen, muß man anmerken, dass diese bekanntlich nicht heilbar aber medikamentös zu dämpfen sind.  Möglicherweise sind da Psychoanalytiker anderer Meinung, aber die halten ja auch den Freudschen Ödipuskomplex für wissenschaftlich. Mich wundert ein wenig, dass Sie einen entscheidenden Punkt nicht erwähnen. Nämlich: Nur ein Richter kann einen schwer Gestörten aus dem Verkehr ziehen.  Und da liegt doch der Hase im Pfeffer. Dabei ist er auf die Prognosen von Psychologen angewiesen.  Die Krux:  Psychologen wiederum sind mitverantwortlich, wenn aufgrund   falscher Prognosen potentielle Straftäter als geheilt wieder auf die Gesellschaft “losgelassen” werden.  Ein Schelm, wer vermutet, dass   Psychologen eben auch Erfolgserlebnisse benötigen, denn die entscheidenden Gutachten stammen von den behandelnden Psychologen .

Annegret Weiß / 10.03.2019

Im Großen und Ganzen halte ich den Artikel für plausibel und sinnvoll und stimme der Autorin in Vielem zu. Ein absolutes Unding dieses Textes sind jedoch die mehrfachen Verallgemeinerungen, die pauschal alle psychsich kranken Menschen für gefährlich erklären. Ein Beispiel: “Die psychisch Kranken stellen eine Gefahr für ihre Umwelt dar. Sie bedrohen das Leben eines jeden, der sich zufällig zur falschen Zeit am falschen Ort befindet.” Als Psychologiestudentin sollte Frau Schwarz klar sein, dass als “psychisch Kranke” alle Menschen bezeichnet werden, die unter irgendeiner irgendwie geartetet psych. Störung leiden, also z.B. auch Depressive, Menschen mit diversen Angst- oder Essstörungen etc. Sie müsste auch wissen, dass in D jährlich ca. 12% der Bevölkerung zw. 18 und 65 Jahren allein an Depressionen leiden, also diese Menschen definitiv “psychisch Kranke” sind. Mit ihrer verallgemeinernden Formulierung erklärt Frau Schwarz also Millionen von kranken und leidenden Menschen, die für ihre Mitmenschen völlig harmlos sind, für allgemeingefährlich. Ein weiteres Beispiel: “Sobald die Leute aus den Krankenhäusern entlassen werden, verfallen sie einem Teufelskreis.” Wirklich? All die Leute? Oder nicht wohl eher viele, häufig, oftmals? Ich erwarte von einer Studentin, egal welchen Faches, ein gewisses basales Differenzierungsvermögen, über das die Autorin anscheinend nicht verfügt bzw. offenbar nicht dazu in der Lage ist, dieses angemessen schriftlich auszudrücken. Stattdessen werden schlimme Vorurteile pauschal gegen psychisch kranke Menschen geschürt, die ohnehin bereits genau damit und außerdem mit diversen anderen Problemen zu kämpfen haben, sowie oftmals auf Grund der Symptomatik wehr- und kraftlos sind. Dies mag nicht beabsichtigt gewesen sein, ändert aber nichts an der Brisanz. Ich halte es übrigens auch für ein Armutszeugnis der Redaktion, dass diese Fehler nicht aufgefallen sind. Unprofessionell.

WOLF-D. SCHLEUNING / 10.03.2019

Liebe Pauline, ich stimme der 100% zu. Der Irrsinn begann mit dem Werk des Poststrukturalisten und Kommunisten Michel Foucault “Maladie et Déraisonnement” (1961), das von den 68-igern enthusiastisch konsumiert wurde. 1970 bildete sich in Heidelberg das Sozialistische Patientenkollektiv, mit tatkräftiger Unterstützung des Friedensapostels Horst-Werner Richter, das später in der RAF aufging. Der Widerstand gegen diese Ideologie erfordert viel Zivilcourage, weil Du Dir sicher sein kannst von Medien und Politik viel Gegenwind zu bekommen. Die Hoffnung ist, das mit Hilfe der Molekularbiologie die biologischen Ursachen psychischer Erkrankungen immer besser verstanden werden. Dann stehen die Vertreter der Antipsychiatrie genauso blöd da wie die Vitalisten nach den Arbeiten von Luis Pasteur

Detlef Fiedler / 10.03.2019

Liebe Frau Schwarz. Vielen Dank für den prima Artikel. Ich hoffe man hört hier nun öfter etwas von Ihnen! Ich möchte ergänzend etwas beisteuern: Eine Bekannte hatte eine Anstellung in der Verwaltung bei einem freien Träger (Eingliederung benachteiligter Personen) bekommen. Es wurde ein Getränkemarkt betrieben, wo die einzugliedernden Personen arbeiten konnten. Es kam dazu, nach ungefähr einem halben Jahr, dass diese Bekannte kurz vor der Ladenöffnungszeit mit einer dieser Personen allein im Markt war. Dieser Mann fiel plötzlich und völlig unvermittelt über die Frau hinterrücks mit einem Messer her und versuchte sie zu töten. Es kam zu einem heftigen Kampf und es gelang ihr, sich mit letzter Kraft in einem Büro einzuschliessen und telefonisch Hilfe zu holen. Ein Kripo-Beamter sagte später vor Gericht aus, dass es am Tatort “wie in einem Schlachthaus” ausgesehen hätte. Der Anwalt der Bekannten erfuhr durch Akteneinsicht, dass es sich bei diesem Mann um einen vorbestraften Mörder und Vergewaltiger handelte. Welcher als einzugliedernde Person ganz normal in einem öffentlichen Getränkemarkt arbeitete, täglichen Kundenumgang hatte. Und auch niemand von den eigenen Verwaltungsmitarbeitern war von der Geschäftsleitung des Trägers informiert worden, um wen es sich bei diesem Mann eigentlich handelte. Man arbeitete arglos täglich zusammen, ohne etwas zu wissen. Die Geschäftsleitung liess es sogar zu, dass eine Frau alleine mit diesem Mann zur gleichen Schicht eingeteilt worden war. Es ist völlig unglaublich. Später vor Gericht gab der Mann offen zu, dass er die Absicht gehabt hatte, diese Frau zu töten. Er wurde schuldig gesprochen wegen versuchten Mordes und fuhr ein. Die Bekannte befand sich noch anderhalb Jahre nach der Tat in stationärer psychiatrischer Behandlung. Die ist fertig für die Welt. Und der lokalen Presse war der Vorfall nur eine winzige Meldung, ohne jegliche Nennung näherer Umstände wert.

Johannes Schuster / 10.03.2019

Die Psychologie fragt selten nach den Ursachen für einen Zustand. Sie beschreibt das Symptom, sie gibt dafür Handlungsanweisungen und diese werden gelehrt. Aber mal einen leichten Fall von Depression in den Arm nehmen ist für viele Psychologen schon zuviel an angeforderter - unprofessioneller Empathie. Es gibt hirnorganisch bedingte Fälle, die tatsächlich aus medizinischen Gründen geschlossen untergebracht werden müssen. In den meisten Fällen sind jedoch soziale Prägungen für die Abart von dem undefiniert Normalen die Ursache. Wenn der Sohn eines Chefarztes zu klauen beginnt oder eine Sexbeziehung nach der anderen hinlegt, ist nicht der Sohn des Übermenschen in Weiß krank, sondern der Vater. Und wenn der so krank ist, eiskalt die Kompetenz schizophren an die Stelle des eigentlichen Ichs mit Vornamen und Schwächen zu stellen, dann ist es ein dynastisches Problem innerhalb der Familie. Spricht das einer heute in der Psychiatrie einmal aus ? Nein ! Und genau deshalb gilt höchstens der Satz von Erich Fromm, daß die Kranken, die glauben besser und gesund zu sein, die Gesunden, die immer noch krank werden als Folge eines Zustandes - behandeln, in der Meinung selber normal zu sein. Ich glaube, daß immer noch die Menschen am ehesten die Psyche studieren, die sie ohne Studium niemals ergründen würden. Das ist ein erlaubtes Mittel der Selbsthilfe.

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