Rainer Bonhorst / 24.07.2013 / 14:30 / 5 / Seite ausdrucken

Die Sache mit dem Rechtsstaat

In letzter Zeit wird in der Politik immer wieder mit dem stolzen, ja arroganten Hinweis agiert, Deutschland sei ein Rechtsstaat. Das wollen wir a) schwer hoffen, und b) wollen die Politiker, die dieses Wort täglich im Mund führen, damit Deutschland wohltuend von Amerika abheben. Den USA unterstellt man unausgesprochen aber populärerweise, dass ihr Rechtsstaat bedenkliche Macken habe. Das mag sein. Wer sich aber auf ein so hohes Ross setzt, sollte selber einer näheren Begutachtung gewachsen sein.

Schauen wir uns also mal zwei Rechtsfälle an, den Fall Gustl Mollath und den Fall Roland S..

Der Fall Mollat ist ein hoch aktuelles Kabinettstück deutscher Rechtsstaatlichkeit. Gustl Mollath sitzt seit fast sieben Jahren wegen paranoider Wahnvorstellungen und Gewaltneigungen in einer geschlossenen Anstalt. Die „Wahnvorstellungen“ bezogen sich auf illegale Manipulationen der Hypovereinsbank, die sich später als durchaus korrekt erwiesen. Bei den Gewaltneigungen (Angriffe auf seine Ex-Frau und Reifenstechereien sieht er weniger gut aus, aber auch da steht Aussage gegen Aussage.) Dass seine „Wahnvorstellungen“ zur Hypovereinsbank sich als keineswegs wahnhafte Realität entpuppt haben, ändert nichts an seiner Beurteilung und Lage. Wahn bleibt Wahn, auch wenn er keiner ist. Eine Wiederaufnahme des Verfahrens lehnte das Landgericht Regensburg jedenfalls gerade ab. So kann Mollath in Ruhe sein siebtes Jubiläum als schuldunfähiger psychopatischer Straftäter hinter Anstaltsmauern feiern.

Ein wenig anders verlief die Sache im Fall Roland S., der im Allgemeinen als Fall Haderthauer gehandelt wird. Hubert Haderthauer, Ehemann der bayerischen Sozialministerin, muss sich dafür verantworten, dass er mit Modelleisenbahnen Geschäfte machte, die der Psychiatrie-Insasse Roland S. hinter Gittern quasi für lau gebastelt hat. Das ist sicher nicht nett. Aber viel interessanter ist doch die Karriere des Bastlers Roland S.. Dieser Psychiatrie-Kollege von Gustl Mollath ist kein Reifenstecher sondern ein Mehrfachmörder.

Mehrfachmörder kann man auf zweierlei Weise werden. Erstens, indem man mehrere Leute auf einmal umbringt. Zweitens, indem man sie nacheinander umbringt. Nacheinander umbringen geht auch auf zweierlei Weise. Entweder man bringt die Leute nacheinander um, ehe man entdeckt wird. Oder man bringt die Leute nacheinander um, weil man nach dem ersten Mord zwar erwischt, aber bald wieder auf die Menschheit losgelassen wird. Und genau so verlief der Fall Roland S..

Wie also kam Roland S. In die Psychiatrie? Jedenfalls ganz langsam und etappenweise.

Seinen ersten Mord beging er an einem Freund, den er erdrosselte und dem er dann das Geschlechtsteil abschnitt. Urteil: 14 Jahre, weil man bei dem hoch intelligenten (IQ 150) eine teilweise Schuldunfähigkeit nicht ausschließen mochte. Nach acht Jahren, das ist ein Jährchen mehr als der vermutliche Schläger und Bankenverräter Mollath bisher abgesessen hat, kam Roland S. wieder auf freiem Fuß. Nach zwei Jahren wurde er wieder unter Mordverdacht festgenommen. Die Beweise reichten für eine neuerliche Verurteilung nicht aus, obwohl auch bei diesem Opfer der Penis abgeschnitten worden war. Rolands Geisteszustand spielte – anders als beim mutmaßlichen Reifenstecher Mollath - bei diesem zweiten Akt offenbar keine große Rolle. Der kam erst beim nächsten Mord ein weiteres Mal zum Tragen, als Roland S. wieder nach dem gleichen Verfahren einen Mord, seinen zweiten oder dritten, beging. Jetzt endlich kommt er als nicht therapierbar für immer in die geschlossene Anstalt.

Mit anderen Worten: Ein Mörder kann, wenn die Dinge unglücklich laufen, in Deutschland mehrmals morden, weil er nach acht Jahren wieder freigelassen wird. Andererseits kann ein schwieriger Mann wegen deutlich weniger schwerer Vorwürfe für viele Jahre, es könnten leicht ebenfalls acht Jahre werden, hinter Anstaltsgittern verschwinden.

In beiden Fällen, bei Gustl Mollath und Roland S., ist zweifellos alles rechtsstaatlich verlaufen. Dennoch kann man hier ein gewisse Schieflage in der Verhältnissmäßigkeit entdecken. Und man kann auf den Gedanken kommen, dass unser Rechtsstaat vielleicht doch noch nicht die Perfektion erreicht hat, mit der sich einige zur Zeit so gerne brüsten. Das wiederum könnte Anlass zum Nachdenken, zu einer gewissen Bescheidenheit und zu weniger hochmütigem Auftreten gegenüber anderen sein, die auch nicht perfekt sind, obgleich sie eine ungleich längere Rechtsstaatstradition haben als Deutschland.

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Leserpost

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Jörn Bischoff / 26.07.2013

Das Gegenüberstellen von zwei Fällen unter dem Aspekt von Verhältnismäßigkeit, wie Herr Bonhorst dies getan hat, müßte sogar häufiger gemacht werden. Da Gerechtigkeit ja bloß heiße Luft ist , wie wir bei Herrn Döbbe lernen, müßen wir dann ja stattdessen andere Aspekte beurteilen. Ich fasse dann zusammen. Die Anzahl der abgetrennten Penisse und Leichen sind den Wahnvorstellungen und zerstochenen Reifen nicht entgegenzurechnen. Wichtig sind nicht die Ergebnisse von Recht und Verfahren, sondern, daß es den Verfahren dem Recht und den Richtern gut geht, wenn sie alle Regeln formal eingehalten haben. So sieht es bei uns in der Jurisprudenz dann flächendeckend auch aus. Diese Vorgehensweise erlaubt es dann z. B. auch einem ansonsten unbescholtenen Bürger wegen eines Strafzettels die Beugehaft anzudrohen und auf der anderen Seite in bestimmten Regionen unseres Rechtsstaates den Rechtsbruch als normale Lebenskultur nur noch zu verwalten. Darüber hinaus ist dieses saubere System noch flexibel für neue Richtergenerationen verwendbar, die sich selbst als Zeitgeistfunktionäre sehen und das Recht in ihrem Sinne interpretieren. Ein solches Recht nützt dem Gewaltmonpol als Selbstzweck, aber, wenn es ohne zu knirschen im Sinne eines fragwürdigen Kulturwandels gebeugt werden kann, nicht mehr dem einzelnen Menschen.

Patrick Casablancas / 25.07.2013

Der Kommentar des Trittbrett fahrenden Herrn Döbbe bezieht sich im Wesentlichen auf einen Artikel der Spiegel-Autorin Beate Lakotta, eine Frau, die in Journalistenkreisen selbst höchst umstritten ist und die mit ihrer “Gegendarstellung” zum Fall Mollath leider nur wenig neue Erkenntnisse beisteuern konnte. Überhaupt drängt sich mir bei dieser Art von ‘Journalismus’ manchmal der Verdacht auf, als ob hier lediglich versucht wird, ein “natürliches Gleichgewicht” innerhalb der medialen Berichterstattung wiederherzustellen. Vielleicht verbirgt sich dahinter aber auch nur der verzweifelte Wunsch nach ein bisschen Individualität, ein Merkmal, das im “gut geschmierten” System einer Redaktion immer mehr an Bedeutung verliert.

Rainer Hoffmann / 24.07.2013

Sie kennen wohl den Fall des Solarkritikers im Exil noch nicht: Die neueste Recherche über das Amtsgericht Recklinghausen zeigt ungeschönt, wie dieser angebliche deutsche Rechtsstaat “funktioniert”. Wenn ein Solarverkäufer und sein Anwalt in NRW mit dem “Richterprivileg” seit 2002 STRAFFREI gestellt werden konnten, wird klar, warum bei dieser Justiz seit über 10 Jahren der “solare 60%-Schwindel” mit der deutschen Öffentlichkeit funktionieren konnte… Henrik M. Broder und Dirk Maxeiner und M. Miersch kennen mich und meinen Fall. Niemand von Ihnen hat sich bislang an meinen brisanten Fall drangetraut… Gruß vom Solarkritiker im Exil Rainer Hoffmann

Philipp Döbbe / 24.07.2013

Grundsätzlich sind Rechtsstaat und Gerechtigkeit zwei Paar Schuhe. Ein Rechtsstaat stellt objektive Regeln und Verfahrensweisen auf, um ein Hauen und Stechen seiner Bürger zu vermeiden und Rechtssicherheit zu schaffen. Gerechtigkeit hingegen ist eine subjektive Wertung. Eine beliebig interpretierbare Phrase. Letztlich nicht viel mehr als heiße Luft. Herr Bonhorst sitzt zudem einem Irrtum auf, wenn er schreibt, dass die angeblich aufgedeckten “Manipulationen der Hypovereinsbank” eine Wahnerkrankung Mollaths widerlegen würden. Dies ist nicht der Fall. So zitiert der “Spiegel” den Ulmer Psychiatrieprofessor Friedemann Pfäfflin in einem Artikel über den Fall mit folgenden Worten: “Wahnhaftes Erleben geht nicht selten von einem konkreten Kern beobachteten oder selbst erfahrenen Unrechts aus, das keine angemessene Würdigung bzw. Genugtuung erfährt.” Über die vermeintlich harmlose Reifenstecherei berichtet das Magazin: “Am Silvestertag 2004 nimmt er das Recht selbst in die Hand, so stellt es später das Landgericht Nürnberg fest: Er beginnt, Reifen zu zerstechen. Opfer werden Personen, die er verdächtigt, mit seiner Frau im Bunde zu sein: der Gerichtsvollzieher, Psychiater, Scheidungsanwälte seiner Frau, ein Transportunternehmer. Am Ende kommt eine Serie von 129 Reifen zusammen. Die Polizei braucht nach dem Täter nicht lange suchen: In einem Brief an eines seiner Opfer nennt Mollath die Namen aller anderen Geschädigten und beschreibt ihre Verbindung zu den Schwarzgeldgeschäften. Mollath kennt sich aus mit Reifen. Er zersticht sie auf eine Weise, dass die Luft nicht sofort entweicht, sondern erst beim Fahren. Einigen Fahrern passiert dies auf der Autobahn, bei hohem Tempo, reine Glückssache, dass niemand zu Schaden kam. “ Der hervorragend recherchierte Beitrag mit dem Titel “Fall Gustl Mollath: Warum der Justizskandal doch keiner ist”, den ich eher auf der Achse des Guten erwartet hätte, findet sich auf Spiegel online. Drei renommierte Psychiater haben bei Mollath eine Wahnerkrankung festgestellt. Aufgrund dieser hat er Straftaten von einiger Erheblichkeit - neben dem Reifenstechen auch die Misshandlung seiner Frau, welche er bis zur Bewusstlosigkeit gewürgt und am ganzen Körper verletzt hat - begangen. Damit sind die Voraussetzungen einer Unterbringung in der Psychiatrie gegeben. Herr Bonhorst schmeißt zudem Strafen und sogenannte “Maßregeln der Besserung und Sicherung” wie die Unterbringung in einer Psychiatrie in einen Topf. Das geht aber nicht. Denn während es bei einer Strafe darum geht, geschehenes Unrecht zu sühnen und den Täter zu resozialisieren, ist der Delinquent bei einer Einweisung in die Psychiatrie schuldunfähig - und damit nicht zu bestrafen, sondern nur - falls möglich - zu therapieren. Ziel ist neben der persönlichen Genesung natürlich auch der Schutz der Allgemeinheit. Dass bei einem gemeingefährlichen Täter - möglicherweise fahrlässig, möglicherweise, weil die Erkrankung nicht erkennbar war - eine Einweisung in die Psychiatrie versäumt wurde, rechtfertigt jedenfalls nicht, einen anderen Gemeingefährlichen aus der Psychiatrie zu entlassen.

Paul Mittelsdorf / 24.07.2013

In diesem Zusammenhang möchte ich auf verschiedene Vorfälle in den letzten Jahren hinweisen, bei denen Menschen bei Prügelattacken schwer verletzt, getötet oder ins Koma geschlagen wurden. Die “Strafen” beliefen sich oft auf einige Monate Bewährung. In Osnabrück wurde vor zwei Jahren ein minderjähriges Mädchen vergewaltigt. Der 18-jährige Mann, der dies tat, bekam eine Bewährungsstrafe. Auf eine Strafzahlung wurde verzichtet, weil er Hartz-4-Empfänger war. Mit der Begründung, er müsse beim Hartz-4-Amt dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen, wurde auch darauf verzichtet, ihn Sozialstunden ableisten zu lassen. Wenn das bei bestimmtem Täterprofil die Strafen des deutschen Rechtsstaates für schwerwiegende Eingriffe in das Wohl von Menschen ist, dann sollte sich niemand über andere Rechtssysteme aufregen.

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