Es begann so nett, mit Demonstrationen usw., aber jetzt ernten religiöse Fanatiker die Früchte der Arabellion. (Unter ihnen befinden sich nach Auskunft von Experten auch “gemäßigte Islamisten”, das heißt also: gemäßigte religiöse Fanatiker.) Erst in Tunesien, dann Marokko, jetzt auch Ägypten. Das Wahlergebnis dort muss jeden denkenden Menschen tief bis ins Innerste erschaudern lassen: 40 Prozent für die Muslimbruderschaft, 20 Prozent für die noch brutaleren Salafisten. Was für ein Pack! Recht hatten, das muss im Nachhinein deutlich gesagt werden, die Skeptiker; und die Optimisten (denen auch ich eine Zeitlang zuneigte) hatten Unrecht. Nix da mit “die Muslimbrüder kriegen höchstens 15 Prozent”. Nix da mit “Die Ägypter wollen den Anschluss an den Westen, nicht die Abkehr vom Westen”. Das waren alles schöne Phrasen.
Seltsamerweise sehe ich noch wenige Kommentare zu dieser Katastrophe, die sich vor unseren Augen anbahnt. Vielleicht sind die Berufskommentatoren zu sehr mit Weihnachtseinkäufen beschäftigt. Hier ist Jörg Lau; hier Hamed Abdel-Samad; hier Marc Tracy im Tablet Magazine.
Mir kommen alle Artikel nach der Melodie “So schlimm wird´s schon nicht werden, auch die Musimbruder werden sich um die ökonomischen Probleme kümmern müssen, und dafür haben sie kein Konzept” vor wie Pfeifen im Wald. So hält man sich die eigene Angst vom Leib. Liebe Leute: die Bolschewiki hatten für Russland auch kein ganz überzeugendes ökonomisches Konzept—trotzdem haben sie dann bekanntlich ganz munter siebzig Jahre lang regiert.
Wer an der ägyptischen Misere schuld ist—das werden die Muslimbrüder ihren Schäfchen schnell einzutrichtern wissen. Sie werden die Kopten noch stärker hetzen, als dies ohnehin schon geschiehtn; und da die einzige organisierte Opposition nicht die untereinander heillos zerstrittenen Liberalen sind, sondern die offen mörderischen Salafisten, wird dies wohl das Ende der christlichen Minorität in Ägypten sein. (Und die Kopten, nicht zu vergessen, waren früher da als die Muslime—und stellen zehn Prozent der Gesamtbevölkerung.) Ob die neuen Herrschaften in der Gesamtsumme wahnsinnig genug sein werden, einen Krieg gegen Israel zu beginnen, können wir noch nicht absehen. Klar ist aber: Sie werden der Hamas alles liefern, worum die Hamas sie bittet.
Gute Nacht, Ägypten. Mit philosophischer Traurigkeit könnte man allerdings sagen, dass dieses Land längst untergegangen ist; denn unter dem alten König Faruq (er regierte bis 1952 und starb 1965 in Rom im Exil) war Ägypten noch angenehm korrupt—und weltoffen und liberal und multiethnisch; es lebten sogar noch ziemlich viele Juden in Kairo und Alexandria. Uralte Gemeinden übrigens; auch sie viel älter als der Islam. (Lektüretipp: “The Man In The White Sharkskin Suit” von Lucette Lagnado.) Damit war es vorbei, als die Offiziere putschten und dieser widerwärtige Nasser an die Macht gespült wurde—ein Faschist, der Hitler bewunderte und in seinen Kriegen gegen Israel mit alten Nazis zusammenarbeitete. Das hinderte Nasser naturgemäß nicht daran, sich später mit der Sowjetunion zu verbünden.
Seit damals führte der Weg Ägyptens steil nach unten; und offenbar ist der Boden des Abgrundes noch nicht erreicht. Wenn man bedenkt, dass ein Viertel aller Araber in Ägypten lebt—und dass dieses Land darum so etwas wie ein Spiegel ist, der den anderen arabischen Ländern ihre Zukunft vor Augen führt—, dann kann einem angst und bange werden.
Noch ein Wort zum Schluss. All jene, die vom belagerten Israel auch jetzt noch Konzessionen verlangen, sind entweder bescheuert, das heißt realitätsblind—oder es handelt sich eben wirklich um Antisemiten.
Statt den Israelis mit Ratschlägen auf die Nerven zu gehen, sollten Europäer (und Amerikaner) sich lieber überlegen, was sie tun werden, wenn morgen Kopten und liberale Ägypter, die aus ihrer Heimat vertrieben wurden, bei ihnen an die Tür klopfen. Ich zum Beispiel würde sagen: alle reinlassen.
PS Ein Nachtrag.