Gastautor / 14.01.2014 / 12:17 / 5 / Seite ausdrucken

Die Reality-Show der ARD am Grab von Scharon

Ulrich Sahm

Der Tagesspiegel hatte schon vor dem Begräbnis prophezeit: „Viele Israelis werden den Tod des einstigen Regierungschefs allenfalls mit einem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen.“

Tatsächlich wurden über zehntausend schulterzuckende Trauernde mit 150 vom Verteidigungsministerium bereitgestellten Bussen zur Knesset in Jerusalem und anschließend zum Friedhof in der Nähe der Scharonfarm gekarrt, weil Autobahnen und Zufahrtsstraßen für Privatfahrzeuge gesperrt waren.

Auch bei der ARD in Tel Aviv hat der überraschende Tod des 85-Jährigen tiefe emotionale Spuren hinterlassen.

Nach achtjährigem Wachkoma und zehntägigem Organversagen kam für die ARD-Nahostexperten der Tod Scharons so plötzlich, dass sie nicht einmal den Vorlauf hatten, ihre Nachrufe zu recherchieren.

Carsten Kühntopp behauptete „Auf die Intifada der Palästinenser antwortete er mit Gewalt. Um den Aufstand gegen die Besatzung niederzuschlagen, setzte er selbst Apaches, F-16 und Kampfpanzer ein.“

Da Scharon im September 2000 Oppositionschef war und nur sechs Monate später, im März 2001 nach gewonnener Wahl die Amtsgeschäfte als Premierminister übernahm, muss Kühntopp die Chronologie durcheinander gebracht haben. Oder hatte die ARD exklusive Information über versteckte Kampfflugzeuge, Hubschrauber und Panzer in Scharons Schafstall?

Zum überraschenden Rückzug aus Gaza wusste Kühntopp: „Der Abzug aus dem Gazastreifen soll es Israel also erlauben, den größten Teil des Westjordanlands auf ewig zu behalten, ohne dass die Palästinenser dabei mitzureden hätten.“

Scharon hatte also Israel und den Rest der Welt belogen und mit einem Ablenkungsmanöver in die Irre geführt, indem er auch mehrere Siedlungen im Norden des Westjordanlandes räumen ließ.

Kühntop scheint auch nichts von dem Gipfeltreffen in Akaba gehört zu haben, bei dem Ariel Scharon im Beisein des amerikanischen und palästinensischen Präsidenten sowie des jordanischen Königs Abdullah als erster israelischer Ministerpräsident vom Ziel der Errichtung eines palästinensischen Staates geredet hat. Scharon hat immer wieder klar gemacht, dass Israel keineswegs das Westjordanland “auf ewig“ behalten werde. Aber seit wann lässt sich die ARD von Fakten stören, wenn es um einen Nachruf geht, in dem Scharon mit Begriffen wie “Bulldozer”, “Kriegsverbrecher”, „keine Verhandlungen unter Feuer“, “Gewalt”, “Krieg”, “Mann ohne Grenzen” und “rücksichtslos” beschrieben wird?

Tiefe Betroffenheit zeigte auch Torsten Teichmann vom ARD Hörfunkstudio. Der “Ausnahmepolitiker” habe Entscheidungen getroffen, “die nicht unbedingt immer richtig waren für das Land”.

Wie üblich wissen die ARD-Korrespondenten alles besser als Israels Politiker, was für das Land gut ist und was ihm schadet. Scharons Charakterzüge waren “Stärke” und “Rücksichtslosigkeit”. Das kann Teichmann sogar belegen:

“Für den jungen Staat ging es im Kampf gegen die Armeen der arabischen Nachbarn ums Überleben. Die jüdische Bevölkerung zog eine Lehre aus diesem Krieg: Allein mit Stärke gegenüber den Nachbarn und den verbliebenen Palästinensern kann die Existenz des Staates gesichert werden.”

So gesehen hätte die jüdische Bevölkerung 1948 aus dem Überlebenskampf gegen die arabischen Armeen eine bessere Lehre ziehen können: zum Beispiel nicht zu überleben. Unklar ist, was Teichmann mit „verbliebenen Palästinensern“ meint. Etwa die israelischen Araber, die dann „allein mit Stärke“ Wahlrecht in Israel erhielten und mit drei Parteien in der Knesset vertreten sind? Denn die übrigen Palästinenser fanden sich unter jordanischer und ägyptischer Besatzung wieder. Andere sind zu ihren arabischen Brüdern in Libanon und Syrien geflohen.

Teichmann weiter: „Und er (Scharon) entschied, beim Massaker an Palästinensern in den Lagern Sabra und Shatila nicht einzugreifen. Ein Kriegsverbrechen, für das ihm nie der Prozess gemacht wurde.“ Scharon hatte jedoch eingegriffen, als er von den Massakern erfahren hatte. Ihm wurde „indirekte Verantwortung“ vorgeworfen, weil er die Massaker seiner christlichen Verbündeten im Libanon nicht vorausgeahnt hatte. Auf dieser Grundlage hätte selbst Oberrichter Teichmann Scharon nicht anklagen können.

Zum Besuch Scharons auf dem Tempelberg behauptet Teichmann, dass dieser im „Wahlkampf 2000“ stattgefunden habe. Einen Wahlkampf gab es aber erst 2001, nach Baraks Rücktritt. Deshalb sind auch Teichmanns weitere Ausführungen daneben, wie die Behauptung: „Als sich die Palästinenser im Jahr 2001 ein zweites Mal gewaltsam gegen die israelische Besatzung erheben, ist Scharon Premierminister.“ In einen kurzen Satz gleich drei historische Fehler einzubauen, ist eine Meisterleistung, die ihn zum Kandidaten für den Grimme-Preis macht.

Siehe auch:
http://www.tagesspiegel.de/politik/zum-tod-von-ariel-scharon-krieger-held-und-boesewicht/9318714.html
http://www.tagesschau.de/kommentar/scharon160.html
http://www.tagesschau.de/ausland/scharon138.html
http://www.tagesschau.de/ausland/scharon142.html

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Rudolf Steger / 15.01.2014

Auch das ZDF hat sich einen Preis verdient mit dem Bericht über die Beisetzungsfeierlichkeiten für Sharon in heute.de am Montag, den 13. Januar um 19.00Uhr. Der gesamte Bericht atmet die Feindseligkeit eines Christian Sievers gegenüber Israel. „Aber selbst von den arabischen Nachbarn, die mit Israel Frieden geschlossen haben, ist niemand gekommen“, so sagt er. Welch überraschende Neuigkeit und welch infantile Beschreibung des Verhältnisses der arabischen Nachbarn zu Israel. Dann kommt das großartige Statement des Christian Sievers: „Die Würdigungen der ausländischen Gäste auf der Trauerfeier für Ariel Sharon in Jerusalem, sie wirken gleichzeitig wie eine Aufforderung an die aktuelle israelische Regierung, jetzt einen mutigen Schritt zu tun in Richtung Frieden in Nahost.“ Der Frieden von Nahost hängt also von einem mutigen Schritt von Israel ab. Er meint wohl einen mutigen Schritt zum Selbstmord. Mag der Abzug von Militär und Entfernung der jüdischen Bevölkerung aus dem Gazastreifen ein richtiger und notwendiger Schritt gewesen sein, betrachtet man die Folgen dieser Entscheidung Sharons mit Übernahme der Macht durch die Hamas, tausendfachen Raketenbeschuss auf Israel und dessen notwendige Reaktion, so ist jedem einigermaßen intakten Verstand klar, dass dies kein Modell für das Westjordanland sein kann. Aber Sievers löst damit den Nahostkonflikt. Es ist erschütternd, dass dieser Mann das Gesicht des ZDF ist.

Rika Herrmann / 15.01.2014

Das ist ein wunderbarer Artikel, der mich zu einer Stellungnahme angeregt hat - wobei die unsägliche Berichterstattung aus und über Israel besonders in den “Öffentlich-Rechtlichen” schon lange ein Thema ist, dem ich immer wieder nachgehe: “Man könnte die Abkürzung ARD, die für “Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland” steht auch genauso gut als Kürzel für “Allgemeine Rechthaberische Desinformation” verstehen, jedenfalls wenn es um die Berichterstattung aus oder über Israel geht. Schon lange frage ich mich, in wessen Interesse diese Form der Nachrichten steht, wer coacht die Damen und Herren Moderatoren für ihre oft hanbüchenen Anmoderationen der Nachrichten über der Deutschen liebstes (man könnte angesichts der Quantität auch sagen ‘einziges’) Krisengebiet dieser Welt? Wer steckt hinter den Journalisten, die über Israel, seine Gesellschaft, Politik und Regierung schreiben, als sei das Land der Inbegriff von Unfreiheit, Rassismus und Kriegstreiberei?  Wem dient diese Berichterstattung? .... “ weiter bei ARD - Fehlinformation ist ihre Stärke…

Rainer Dingler / 14.01.2014

Sehr geehrter Herr Sahm, ich habe nur eine Frage: Können Sie mir bitte die Quelle nennen, aus der hervorgeht, dass Herr Scharon bei dem Massaker eingegriffen hat, nachdem er davon erfahren hat? Vielen Dank für eine Antwort. Rainer Dingler

Gerhard Haase-Hindenberg / 14.01.2014

Es besteht gar kein Zweifel, dass sich Arik Sharon - nicht nur, aber vor allem auch - 1973 auf dem Sinai große Verdienste für das Überleben Israels erworben hatte. Und der Friedensprozess wäre sicher erfolgreicher verlaufen, wäre dieser Visionär nicht ins Koma gefallen. Leider stimmt aber auch, dass er beim Massaker christlicher libanesischer Milizen in den Lagern Sabra und Shatila nicht deshalb Schuld auf sich geladen hatte, weil er es nicht vorausgesehn hatte, sondern weil er trotz der Informationen seiner Offiziere 24 Stunden nicht eingreifen ließ. Genau deshalb musste er als Verteidigungsminister zurücktreten.

Gerhard Sponsel Lemvig / 14.01.2014

“Also das mit den Autobahnen das hätte der Adolf Hitler nicht machen sollen.” Wer mit diesem Satz sozialisiert wurde, der wird auch gern Moderator einer Reality-Show eines deutschen Bezahlsenders von einem Begräbnis in Israel. Setzen sechs,  ARD !

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