Gastautor / 25.02.2016 / 21:00 / 1 / Seite ausdrucken

Die Hysteriker von der Zeit

Clemens Wergin  

Lieber Matthias Naß,

mit Interesse habe ich Ihr Meinungsstück auf “Zeit-Online” gelesen, in dem sie mir und meinen Kollegen bei der “Welt am Sonntag” Hysterie vorwerfen, weil ich mich in einem Beitrag in der letzten Ausgabe damit beschäftigt habe, wie aus der Krise in Syrien ein Dritter Weltkrieg entstehen könnte. “Geht’s noch? Mit dem Weltkrieg spielt man nicht, möchte man den Kollegen zurufen und sie in die Journalistenschule zurückschicken”, schreiben Sie. Eine Empfehlung, die immer ein wenig nach Journalisten-Opa klingt und im Ton das Niveau vieler Lügenpressekommentare aufweist, die alle von uns in diesen Tagen ertragen müssen.

Nun habe ich nichts dagegen, mal wieder die Schulbank zu drücken. Als Journalist lernt man nie aus. Unter anderem lernt man in der Journalistenschule ja auch, erst einmal zu recherchieren, bevor man eine Kolumne in der “Zeit” raushaut. Wenn Sie, lieber Herr Naß, das Einmaleins der Journalistenschule beherzigt hätten, dann wären Sie vielleicht darauf gestoßen, dass es sich bei dem Dritte-Weltkriegs-Szenario nicht um journalistische Fieberträume handelt. Sie zitieren Reden des russischen Premiers Dmitri Medwedjew und des amerikanischen Außenministers John Kerry auf der Münchner Sicherheitskonferenz in einer Weise, die darlegen soll, dass doch alles gar nicht so schlimm sei. Offenbar ist Ihnen entgangen, dass Medwedjew auf der Sicherheitskonferenz auch das Wort vom “Dritten Weltschock” benutzt hat (etwa in: “Brauchen wir einen weiteren dritten Weltschock, um zu verstehen, dass wir heute die Zusammenarbeit brauchen und nicht die Konfrontation?”). Damit meinte Medwedew natürlich einen dritten Weltkrieg, was übrigens auch in meinem Artikel in der “Welt am Sonntag” stand. 

Wem das Wort vom “dritten Weltschock” noch nicht klar genug war, dem hat der russische Premier schon zu Beginn der Münchner Sicherheitskonferenz in einem Interview mit den Kollegen vom Handelsblatt Erklärungshilfe gegeben. Dort sagte er über Syrien: “Alle Seiten müssten gezwungen werden, am Verhandlungstisch Platz zu nehmen, anstatt einen neuen Weltkrieg auszulösen. Wir wissen ja genau, nach welchen Szenarien das alles vor sich geht.” Da hatte sich der russische Premier allerdings geirrt. Nicht alle wissen, “nach welchen Szenarien das alles vor sich geht”. Und das ist der Grund, warum ich in der “Welt am Sonntag” aufgeschrieben habe, wie solch ein Szenario aussehen könnte. Mit der Einschätzung von Think Tank Experten und mir selbst versehen, dass ein solcher Dritter Weltkrieg dennoch sehr unwahrscheinlich ist. Wer den Vorwurf der Hysterisierung erhebt, müsste den also vor allem an die Adresse des russischen Premiers richten und nicht an die, die versuchen, seine Worte in einen erklärenden Zusammenhang zu stellen.

Allerdings halte ich es für sinnvoll, darüber nachzudenken, wie eine Kette von Eskalationsschritten am Ende zu einem viel größeren Konflikt führen kann, den eigentlich niemand will. Denn nur, wenn die politisch Handelnden sich dieser Gefahr bewusst sind, können sie vermeiden, dass es zu solch einer Kettenreaktion kommt. Oder wie Peter Singer von der “New America Foundation” sagt, den ich im Artikel zitiere: „Die heute schwelenden Spannungen bergen das Risiko in sich, dass solch ein Konflikt allzu real werden könnte, teilweise auch deshalb, weil zu viele glauben, dass es sich um ein unwahrscheinliches Ereignis handelt.“

Ist es wirklich möglich, Herr Naß, dass Ihnen das Dritte-Weltkriegs-Interview des russischen Premiers entgangen war, obwohl das “Handelsblatt” demselben Unternehmen wie die “Zeit” angehört und die Kollegen in Düsseldorf das Interview auch mit der “hysterischen” Überschrift “Angst vor dem Dritten Weltkrieg” betitelt hatten? Das hätte für einen Hysterisierungskritiker wie Sie doch eigentlich ein gefundenes Fressen sein müssen.

Aber offenbar ist auch ihr eigener Laden nicht frei von solchen Anwandlungen. Siehe Seite 3 der heutigen “Zeit”. Was steht da über dem Artikel von Andrea Böhm über Syrien? “Überall Feinde” und: “Wie aus einem friedlichen Protest die Gefahr eines Weltkrieges entstanden ist”. Vielleicht klären Sie am besten mal intern, wie es in Hamburg zu solch einem Ausbruch von Hysteritis in einem für seine kühle Rationalität bekannten Blatt kommen konnte. Ich würde mich jedenfalls freuen, zusammen mit den “Zeit”-Kollegen mal wieder in der Journalistenschule zu sitzen. Wir können es ja den Matthias-Naß-Nachsitzer-Kurs nennen. Erste Aufgabe: schreibe eine Empörungskolumne, die mit minimalem Rechercheaufwand auskommt, dafür aber die richtige Haltung zeigt.

Zuerst erschienen auf flatworld

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Rainer Hartwich / 25.02.2016

Natürlich ist die Gefahr einer großen internationalen bewaffneten Konfrontation, ausgehend vom arabischen Raum oder einem der anderen internationalen oder regionalen Krisenherde heute höher ist als in den letzten Jahrzehnten. Dies zu leugnen oder als Hysterie abzutun zeugt von wenig Verstand. Allerdings ist es auch nicht besonders weitsichtig allein Russland als potentielle Gefahrenquelle zu sehen, mich dünkt keine der regionalen oder überregionalen Mächte scheint aktuell einem “Waffengang” hinreichend abgeneigt. Was ich sagen will, die Völker, die einfachen Menschen müssen aufpassen und tragen Verantwortung, dass uns die Regierenden nicht in eine Kriegssituation hinein ziehen. Ich befürchte nur, dass es keine Solidarisierung des “kleinen Mannes” über Ländergrenzen hinweg geben wird, zumindest hat es in der Geschichte dafür noch kein Beispiel gegeben.

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