Ivo Bozic / 08.05.2010 / 20:18 / 0 / Seite ausdrucken

Die Hamas hat Recht

Aus der Sicht der Israelis war man eigentlich schon mitten drin in den neuen Nahost-Verhandlungen. Immerhin war US-Vermittler George Mitchell bereits am Montag zwecks politischer Sondierungen in Jerusalem und wohl niemand ist davon ausgegangen, dass sein Besuch am Freitag im Ramallah der Besichtung örtlicher Sehenswürdigkeiten diente. Vielmehr versuchte er die Palästinenser dazu zu bewegen, sich an indirekten Verhandlungen zu beteiligen. Die zierten sich ein wenig, mussten sich erst einmal ausführlich beraten. An diesem Samstag ließen die 18 Mitglieder des Exekutivkomitees der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO) und die 21 Mitglieder des Zentralkomitees der Fatah die Journalisten ein paar Stunden warten - bis dann endlich der weiße Rauch aufstieg: Ja okay, wir verhandeln wieder…

Die von Mahmoud Abbas betreute Hälfte der Palästinenser wird also wieder verhandeln. Indirekt, aber immerhin. Das Räderwerk nimmt also wieder seine Arbeit auf. Ein Räderwerk, welches aber nur das einer Uhr ist, und welches nichts schafft, als beruhigend tickend die Zeit verstreichen zu lassen. Das Ziel, das sich die US-Regierung für diese indirekten Verhandlungen via Mitchells Pendelverkehr gesetzt hat, ist denn auch ausgesprochen bescheiden: Es heißt, man hoffe, dass die Gespräche langfristig dazu führten, dass sich Israelis und Palästinenser wieder zu direkten Gesprächen an einen Verhandlungstisch setzen.

Die unzähligen vom schönen Tel Aviv aus ihren Beruf zelebrierenden Kriegsberichterstatter und Nahost-Korrespondenten, die Armada von über 20.000 Uno-Hilfswerksangestellten und Menschrechts-Aktivisten – sie alle können also beruhigt sein: Es wird alles so weiter gehen, wie man es gewohnt ist. Also gut für ihren Job, aber ansonsten sehr schlecht. Besser gesagt: Katastrophal – sowohl für den Zustand der israelischen Gesellschaft als auch für die Lage der Palästinenser. Die Verhandlungen bieten nichts als schöne Visionen und die Zementierung einer miserablen Realität.

Deshalb ist es keine gute Nachricht, dass jetzt wieder verhandelt wird. Und nur die Hamas hat das offen ausgesprochen. Vor dem Treffen in Ramallah hatte die Terrororganisation die PLO aufgefordert, „den Palästinensern nicht weiter Illusionen zu verkaufen und das Scheitern der absurden Gespräche zu verkünden“.

Auch wenn nicht an sie gerichtet, so sollte die israelische Regierung dieser Aufforderung der Hamas doch entgegenkommen und die Verhandlungen mit den Palästinensern ein für alle Mal für gescheitert erklären. Zu Glauben, damit sei auch die Perspektive für einen Frieden im Mittleren Osten für alle Zeiten gescheitert, ist ein Irrglaube. Das Gegenteil ist wahr. So wie es im Moment läuft, ist es die Katastrophe. Für Israel und für die Palästinenser. Und das auf unabsehbare Zeit. Wer will, dass es immer so weiter geht, setzt auf die Rezepte, die seit 30 Jahren nicht funktionieren. Wer aber Fortschritte sehen will, der muss sich nach Alternativen zu diesem Stock Car Rennen in der Einbahnstraße umsehen.

Warum nicht, nur zum Beispiel, die Forderung der Palästinenser nach einer Wiederherstellung der Grenzen von 1967 endlich angehen? Zwar würden die Palästinenser sicher irgendwann bemerken, dass die Grenzen damals zwischen Israel und Jordanien bzw. Ägypten verliefen, und ein palästinensisches Gebiet gar nicht vorhanden war, aber so ist das nun mal: Zwei-Staaten-Lösung UND Grenzen von 1967 ist eben nicht zu haben. Eine Zwei-Staaten-Lösung in den Grenzen von 1967 wäre eine zwischen Jordanien und Israel. Und warum auch nicht? Zwischen beiden Staaten besteht ein stabiler Friedensvertrag, eine Situation, die für beide Seiten eine gewisse Sicherheit verheißen würde.

Oder was ist mit einem UN-Protektorat? Warum sollte in der Westbank nicht funktionieren, was im Kosovo klappte. Soll doch die Uno oder Nato die Gründung eines Westjordanlands übernehmen und 20 Jahre lang dort bewaffnet die Sicherheit garantieren. Nein, schön ist das nicht, aber besser als das, was jetzt ist, alle mal. Und besser als das, was droht, erst recht. Noch 30 Jahre weiter zu verhandeln, wird nur die Fundamentalisten auf beiden Seiten stärken und den kruden Gebär-Wettkampf zwischen Palis und Rabbis.

Sicher: Verhandlungen sind besser als Krieg. Und wenn Verhandlungen dazu führen, dass es, solange verhandelt wird, keinen Krieg und keinen Terror gibt, dann sind Verhandlungen zu begrüßen. Aber haben sie bisher den Terror beenden können? Nein. Ebenso wenig wie einseitiges Entgegenkommen Israels, etwa mit dem Komplettrückzug aus Gaza. Weshalb wird dann verhandelt? Um ein Ergebnis zu erreichen, sicher nicht. Denn das potentielle Ziel der Verhandlungen ist für beide Seiten noch erschreckender als die aktuelle Situation: Nämlich ein palästinensischer Staat an der Seite Israels. Das will nun wirklich keiner! Nicht die antiisraelischen Jihadisten, nicht die religiösen Fundamentalisten auf beiden Seiten, nicht die für die militärische Sicherheit Israels Verantwortlichen, nicht die umtriebige Flüchtlingsindustrie, die von der Aufrechterhaltung der palästinensischen Flüchtlingsphantasmagorie lebt. Und auch die meisten arabischen Staaten und die meisten „einfachen Menschen“ auf beiden Seiten haben davor zumindest auch Angst, denn in diesem zu schaffenden Staat, der ja prinzipiell nur als einheitlicher aus Gaza und Westbank gedacht wird, hätten die Hamas-Terroristen viel zu sagen, womöglich bald sogar die Macht.

Nur deshalb, damit es bloß nicht vorwärts geht, wollen beide Seiten die Verhandlungen wieder aufnehmen. Damit sie nicht Realität wird, hält man die Illusion von der durch Verhandlungen erreichbaren Zwei-Staaten-Lösung am Leben, statt sie zu begraben. Seit vier Jahren liegt der ehemalige israelische Ministerpräsident Ariel Sharon im Koma. Für tot erklärt hat man ihn noch nicht, obwohl man bereits die erste Einrichtung nach ihm benannt hat: eine Müllkippe am Stadtrand von Tel Aviv, die nun der „Ariel-Sharon-Park“ ist. Hey, irgendeinen Müllberg, den man „Zwei-Staaten-Park“ nennen kann, ließe sich doch finden!

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