Ivo Bozic / 03.12.2012 / 14:17 / 0 / Seite ausdrucken

Erdogan, geh Du voran! Was Israel von der Türkei lernen kann

Israel und die Türkei haben sich ja einst prächtig verstanden. Die Israelis liebten es, in der Türkei Urlaub zu machen, die Militärs übten zusammen das Schießen, die Geheimdienste tuschelten und tratschten miteinander. Vielleicht hätte Israel sich dabei mehr von der Türkei abschauen sollen. Als in diesem Jahr eine handvoll Raketen von Syrien über die türkische Grenze flog, veranstaltete die Türkei ein großes Geschrei und mobilisierte gleich mal die Nato. Israel hingegen lässt sich seit Jahren täglich mit Raketen beschießen - wenn nicht, dank eigener Intervention,  gerade mal Feuerpause ist. Die „Internationalisierung“ des Konflikts aber wird von Israel strikt abgelehnt, gleichzeitig beklagt man sich, dass man international so wenige Freunde habe. Und das stimmt. Wer hat gegen den Beobachterstatus Palästinas in der Uno gestimmt? Neben Israel selbst: Kanada, die USA, Tschechien und dann waren da noch Palau, Panama, Nauru, Mikronesien und die Marshallinseln. Verprasst die angeblich so einflussreiche Israel-Lobby ihre Shekel in der Südsee? Oder ist sie womöglich doch nicht so einflussreich? Hatte die jüdische Weltverschwörung an jenem Tag gerade frei? Dagegen ist die Weltgemeinschaft sich ziemlich einig, dass Israel endlich den Palästinensern Gerechtigkeit widerfahren lassen müsse. Ein Ende der Besatzung wird gefordert, die Israel im Westjordanland und angeblich auch im Gazastreifen – wie auch immer sie das anstellt, ohne anwesend zu sein - aufrecht erhalte.

Tatsächlich ist das sehr dumm von Israel, denn Besatzungsmacht zu sein, das ist ein Scheißjob. Man hat den ganzen Ärger und hohe Kosten, aber keiner dankt es einem. Die Türkei hat es viel schlauer gemacht. Als sie den Nordteil Zyperns 1974 besetzte, hat sie nicht einfach diesen Status Jahr für Jahr verlängert, sondern flott eine Marionettenregierung installiert, über 40.000 Soldaten stationiert, 200.000 griechische Zyprioten vertrieben, weit über 100.000 türkische Bürger, meist aus Anatolien, dort angesiedelt - und mal eben einen Staat ausrufen lassen. Sicher, zur Vorgeschichte gehören natürlich die antitürkischen Pogrome in Zypern unter der griechischen Junta und auch türkischsprachige Zyprioten mussten aus dem Süden fliehen – aber: Die Junta herrscht ja nun schon sehr lange nicht mehr und kann wohl kaum als Legitimation für eine heutige Besatzung herangezogen werden.

Und darum „besetzt“ die Türkei nach eigener Darstellung eben auch gar nicht mehr den Nordteil der Insel, sondern pflegt diplomatische Beziehungen mit der „Türkischen Republik Nordzypern“. Jenes Fake-Land wird zwar von niemandem außer der Türkei anerkannt, aber egal, es kommt auch keiner auf die Idee, der Türkei ihre Besatzungstätigkeit vorzuwerfen, obwohl sie weiterhin Tag für Tag Fakten schafft, indem sie türkische Bürger dort ansiedelt. Die einheimischen türkischen Zyprioten sind längst eine Minderheit gegenüber den Siedlern vom Festland. Doch weder Ahmadinejad noch Judith Butler beschweren sich, kein Warenboykott gegen die Türkei ist anhängig, keine Solidaritätsflottille steuert die vom türkischen Militär abgeriegelte Geisterstadt Famagusta-Varosha an, keine Flüchtlingsindustrie blüht rund um die Nachfahren der 1974 geflohenen Zyperngriechen. Stattdessen spielt sich ausgerechnet der türkische Ministerpräsident Erdogan als besonders radikaler Israel-Kritiker auf und kann sich gar nicht einkriegen angesichts der in Gaza angeblich stattfindenden „ethnischen Säuberungen“ durch den „terroristischen Staat“ Israel.

Ach, hätte Israel es doch wie die Türkei gemacht! Hätte Israel doch 1967 in der Westbank und in Gaza einfach einen Staat gegründet! Die ZRW vielleicht, die Zionistische Republik Westbank, dann hätten die Juden nicht nur einen, sondern – wow! - gleich zwei Staaten, also wie die Türkei. Nun kann man natürlich fragen, was um Gottes Willen sollen die Juden mit zwei Staaten? Würden die nicht längst Krieg gegeneinander führen, zum Beispiel um Jerusalem, oder ums beste Humusrezept? Nein, klüger wäre es gewesen, Israel hätte 1967 einen eigenen Palästinenserstaat ausgerufen. Den, den die Araber 1947 und auch noch 1967 abgelehnt haben, und dessen Entstehung angeblich nun ausgerechnet Israel verhindere. Ja, sie hätten ihn selber gründen sollen, die Israelis, und ihn den Palästinensern überlassen, sie hätten den Uno-Teilungsplan im Alleingang umgesetzt. Dann wäre jetzt Ruhe und in Ramallah würde eine arabische Marionettenregierung Israels regen Handel mit Haifa und Tel Aviv betreiben und auf die Einhaltung des Friedensvertrags zwischen den beiden prosperierenden Staaten achten, vermutlich gäbe es eine gemeinsame Fußballliga und Tourismusindustrie.

Obwohl: Eines ist klar, Dank dafür hätte Israel nicht erwarten dürfen. Jihadisten, Heiliges-Land-Christen, Nazis und linken Antizionisten hätte das trotzdem missfallen. Man kann darauf wetten. Die Zwei-Staaten-Lösung sei in Wirklichkeit Apartheid, hätte es geheißen, weil die Araber in einem extra Staat, also quasi einem Ghetto, einem großen Gefängnis, ja einem KZ, so könne man sagen, leben sollen. Oder so. Irgendwie. Die Hamas oder andere Muslimbrüder hätten sich über den ungehörigen Einfluss Israels auf die Regierung in Ramallah aufgeregt, und vermutlich deshalb von einem anderen Nachbarstaat aus, Krieg gegen die Zionisten und die Verräter in Ramallah angezettelt. Irgendetwas hätte sich jedenfalls gefunden, den Juden Barbarei vorzuwerfen.

Und so gesehen, ist diese kleine Vision wohl unsinnig. Denn so oder so: Israel kann es seinen Feinden nicht Recht machen. Nie. Nicht einmal, wenn Israel Palästina selbst gegründet hätte. Mehr braucht man dazu nicht zu sagen.

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