Gastautor / 01.02.2014 / 18:11 / 5 / Seite ausdrucken

Die Haltung zu Israel ist zur Gretchenfrage geworden

Daniel W. Szpilman

«Wir schulden den Opfern, ihr Andenken zu bewahren, und es liegt in unserer Verantwortung, den jüngeren Generationen zu erklären, was solche Verbrechen gegen die Menschlichkeit ermöglichte und wie solche Tragödien in Zukunft verhindert werden können.» Mit diesen Worten verewigte sich Bundespräsident Didier Burkhalter im Buch der Gedenkstätte Auschwitz.

Der Schweizer Aussenminister besuchte im Rahmen seines Polen-Besuchs vergangene Woche das deutsche Vernichtungslager Auschwitz in der Nähe von Krakau. Der Schweizerisch Israelitische Gemeindebund (SIG) spricht von einem «starken Zeichen». Wahrhaft ein starkes Zeichen? Eher eine politisch-korrekte Geste. Die Aussenminister der westlichen Länder legen vor, Burkhalter zieht mit. Bewegende Reden am Grab von ermordeten Juden halten kann jeder, das ist politischer Mainstream. Heutige Antisemiten und Judenhasser an den Pranger stellen nicht.

Während Burkhalter seinen Pflichten nachkam, lockerte der Bundesrat die Sanktionen gegen die islamische Theokratie in Iran. Das EDA spricht von «positiven Entwicklungen» der Gespräche mit Iran. Irans Präsident Hassan Rohani leugnet lächelnd den Bau der Atombombe. US-Präsident Barack Obama und die EU schenken ihm Glauben, die Schweiz passt sich an. Von nun an gibt es für Edelmetallgeschäfte mit diesem Staat kein Verbot mehr. Iranisches Öl kann ohne Meldepflicht transportiert werden. Ein Land, welches seit Jahren den Holocaust öffentlich «als typisch jüdische Lüge» leugnet und Israel «von der Landkarte tilgen» will. Sieht so glaubwürdige Aussenpolitik aus? Indem die Schweizer Regierung dem Regime die Hand bietet, zieht sie am selben Strick. Dies, obwohl Burkhalter Holocaust-Leugnern «eine klare Absage» erteilen will.

Nie seit dem Holocaust war der Antisemitismus unter dem Deckmantel von Israel-Kritik so salonfähig wie heute. Solidaritätsbewegungen mit Palästina, Boykott israelischer Waren und die Appeasement-Politik westlicher Staaten sind der Beweis. Obwohl Iran stets blumige Worte für die Vernichtung Israels findet, scheuen sich Obama und die EU, harsche Kritik zu üben.

Europa hat ein sehr ambivalentes Verhältnis zu Israel. Leugnet, rechtfertigt oder relativiert jemand die Shoa, ist er hierzulande politisch tot. Vergleicht jedoch Nationalrat Geri Müller (Grüne) aberwitzig die Lage im Gazastreifen mit dem Holocaust, wird er als Israel-Kritiker ernst genommen.

Die Haltung zu Israel ist zur Gretchenfrage geworden. Will man wissen, wie jemand zum Judentum steht, fragt man ihn nach Israel. Höhere Massstäbe an das Land zu stellen, den Konflikt mit den arabischen Staaten als Schuld Israels abzuhaken, Zionismus als «Verbrechertum» – «Weltverschwörung» zu betiteln, oder sogar Israels Existenzrecht zu relativieren, entlarvt den modernen Antisemiten.

Es gibt ganze Berufsgruppen, die sich der Israel-Kritik verschrieben haben. Ob NGO, grüne Politiker oder linke Presse. Bei ihnen gibt es keine Kuba-, keine Nordkorea-, keine Palästina-Kritik, wie es eine obsessive Israel-Kritik gibt. Israel ist «der neue Jude». Für Politiker ist es einfacher, den Holocaust zu betrauern, als mit dem Finger auf Judenhasser zu zeigen. Denn bei Ersterem kann man nichts falsch machen. Bei Zweiterem jedoch eckt man an und schafft sich Feinde.

Und was macht die jüdische Gemeinde? Sie ist froh, dass Politiker gedenken und reden. Das Halten einer Rede und Niederlegen von Blumen ist aber kein «starkes Zeichen», sondern ein gängiges Ritual westlicher Politiker. Ein starkes Zeichen wäre die öffentliche Anprangerung von Israel-Hassern.

Jährliches Holocaust-Gedenken ist richtig, steht aber im Gegensatz zum Schweigen über den modernen Antisemitismus. Das ist, als ob man 1933 in Deutschland die Verfolgung von Juden im 15. Jahrhundert verurteilen würde. Der eine Teil ist, es nicht zu vergessen, der andere, wichtigere, es nie wieder so weit kommen zu lassen. Reden an Mahnmalen zu halten, ist wichtig. Taten aber sind wichtiger. Deswegen muss ein Politiker wie Burkhalter den Mut haben, Judenhass in Ländern wie Iran offen zu verurteilen.

Erschienen in der Basler Zeitung vom 1.2.2014

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Leserpost

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Martin Friedland / 03.02.2014

Herr Messner: Genau! Die Juden sind an allem schuld! Natürlich auch am Antisemitismus! Sollen sich halt vorschriftsmäßig benehmen, dann gibt es auch keine Antisemiten mehr!

Ludwig Csepai / 03.02.2014

Immer witzig bei solchen Artikeln sind die Folgen in den Kommentaren. Zumindest einer findet sich immer, er zeigt sofort und freiwiilig auf, und bestätigt freimütig, was der Artikel so alles an Problemen benennt, aufwirft, Antisemitismus, Weltverschwörung und “Israelkriitik”. Freiwiiliger Messner, gute Arbeit, weiter so.

Markus Weber / 02.02.2014

Dass die Frage nach dem Staate Israel zur Gretchenfrage aller politischen Figuren in der Welt werden soll, kann ich nur akzeptieren, wenn zwischen Staatsregierung und den in ihrem Namen Handelnden, der Bevölkerung, dem Judentum und dem jüdischem Glaubensbekenntnis unterschieden wird. Dann wird man im “ambivalenten” Europa wieder sagen können “Ich glaube, die beherbergen da so einige, die sie schon längst an die Justiz anderer Länder oder nach den Haag ausliefern müssten”, ohne im Verdacht zu stehen, leichtfertig zuzulassen, dass wieder zum Angriff auf einen Kulturkreis geblasen wird oder selber gar in dieses Horn zu stoßen. Didier Burkhalter meint hoffentlich, was er sagt. 1) Eine Welt ohne Judenverfolgung in der Vergangenheit wäre eine bessere Welt im Rückblick. Allen Beteiligten und allen Zuschauern soll die Scham darüber noch lange im Gedächtnis sitzen. 2) Für die Zukunft gilt es aus dieser schamvollen Erinnerung Ansporn zu schöpfen, jegliche Wiederholung derartiger rassistischer Grausamkeiten früh zu unterbinden. 3) Der Staat Israel hat seit längerem eine Regierung, die mehrheitlich Dinge unternimmt, die dem Weltfrieden abträglich sind. Es lässt einen ratlos zurück, warum sich nicht große Mehrheiten der israelischen Bevölkerung von diesen Terroristen-Erben distanzieren. Was ist das für eine zwangsmilitarisierte Macho-Kultur, und wie lange soll sich der Westen von ihren Galionsfiguren noch auf der Nase herumtanzen lassen?

Christoph Messner / 02.02.2014

Sehr geehrter Herr Szpilman, Ihr Aufsatz über offensichtliche erneute Salonfähigwerden des Antisemitismus unter der Maske der Israelkritik listet einige Fakten über heutige politische Andenkenrituale korrekt auf. Doch ich glaube, er geht nicht ganz in die Tiefe, weil er nicht die Motive der “Israelkritiker” untersucht. Immerhin könnte es ja tatsächlich sein, daß so einiges an der herrschenden Politik Israels oder mächtiger jüdischer Zentralbänker oder Medienmogule in USA oder meinungsmachender Zentralräte oder Rabbis zu kritisieren ist! Was Sie doch eigentlich an diesen “antisemitischen Israelkritikern” vermissen, ist, daß sie mehr Verständnis für die strategische Lage Israels, für religiöse oder politische oder historische Empfindungen von Juden aufbringen und trendiger Propaganda nicht auf den Leim gehen sollten. Aber, mal knallhart gefragt, warum sollten diejenigen, denen Sie Antisemitismus vorwerfen, sich überhaupt mit einem so “unwichtigen”, weil weltweit betrachtet winzigen Volk auseinandersetzen, und dessen Geschichte und Religion und Sensibilitäten auch noch vollends verstehen? Gibt es ein Volk, daß laufend mehr Wind um seiner selbst macht, als das jüdische? Ich denke, ohne ein wachsendes Maß an Selbstkritik unter Juden und öffentlich geäußerter, kritischer Debatte von Juden über ihre Politik, Religion und Gefühle, wird sich das Ausmaß des Antisemitismus weltweit kaum reduzieren. Eines der schlimmsten Eigentore, das jüdische Offizielle meiner Meinung nach am häufigsten schießen, ist, sich als Gedankenpolizei aufzuspielen, die Medien zu kontrollieren, über ihre Geheimdienste und Atombomben zu drohen, sich mit Kulisse der Unbesiegbarkeit aufzuplustern, und gleichzeitig nichts aus dem Alltagsleben der Juden und Israelis zu zeigen, insbesondere aus den religiösen Praktiken, wo eventuell auch mal einige Schwächen oder interne Debatten gezeigt würden. Sich nicht in die Karten und Geldgeschäfte schauen lassen. So etwas schafft kein Vertrauen oder Verständnis. Mit freundlichen Grüßen, Christoph Messner, York, Pennsylvania

Ludwig Csepai / 01.02.2014

“Vergleicht jedoch Nationalrat Geri Müller (Grüne) aberwitzig die Lage im Gazastreifen mit dem Holocaust, wird er als Israel-Kritiker ernst genommen. Die Haltung zu Israel ist zur Gretchenfrage geworden. Will man wissen, wie jemand zum Judentum steht, fragt man ihn nach Israel. Höhere Massstäbe an das Land zu stellen, den Konflikt mit den arabischen Staaten als Schuld Israels abzuhaken, Zionismus als «Verbrechertum» – «Weltverschwörung» zu betiteln, oder sogar Israels Existenzrecht zu relativieren, entlarvt den modernen Antisemiten.” Danke, genau am Punkt.

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