Es wird Zeit, mal wieder Goethe aus dem Regal zu holen. „Die ich rief, die Geister, werd ich nun nicht los“, heißt es im Zauberlehrling, und ein bisschen klingt das an, wenn Zeitungskommentatoren jetzt darüber ins Grübeln geraten, was dem Land womöglich für Protestformen ins Haus stehen, die eine durch und durch radikale „Klimapolitik“ herbeiführen sollen. Notfalls mit Gewalt. SUV-Reifen werden zerstochen, Autobahn-Auffahrten blockiert, Industrieanlagen angegriffen, Sabotageakte nicht klammheimlich durchgeführt, sondern auch ganz offen im Buchhandel zur Diskussion gestellt, als gerechtfertigt bezeichnet.
„Fridays for Future“, die – weitgehend – friedlichen Protestdemos zur Schulzeit auf den Marktplätzen, sind für einige solcher Strategen längst nicht mehr ausreichend. „Eine kleine Minderheit befindet sich im Panikmodus“, stellt zum Beispiel der Tagesspiegel fest, und fordert: „Es ist vorrangige Aufgabe der Grünen, gerade weil sie die Ziele der radikalen Minderheit teilen, diese Bewegung zu domestizieren.“ Ein guter Tipp, vor allem wenn die neue Grünen-Vorsitzende Ricarda Lang jetzt auch noch selbst die Autobahn-Blockaden der Gruppe „Aufstand der letzten Generation“ gutheißt, die damit ausdrücklich „wehtun“ will. „Als legitimes Mittel“ bezeichnet das die Chefin der Regierungspartei (eine Masochistin?).
Ja, die Grünen sind hier in der Pflicht, erst mal selbst wieder Vernunft anzunehmen, und dann nach Möglichkeit auch andere von Gewaltfreiheit zu überzeugen. Allerdings täten vor allem wir Journalisten selbst gut daran, unsere Rolle bei diesem Panikmodus einmal eindringlich zu hinterfragen: Der Tonfall, die Bilder (die sprachlichen wie die fotografierten und montieren), die Eindimensionalität der Berichterstattung, frei nach Honecker: „schlimmer immer, nachdenklich nimmer“, die willkürliche Zuschreibung jedes bemerkenswerten Wetterereignisses auf den Klimawandel, Eindimensionalität auch in der anthropogenen Verantwortung des Menschen, zu einhundert Prozent, mindestens. Was erwarten die Redaktionen eigentlich, was sie mit so etwas in den Köpfen bewirken?
Natürliche Mit-Einflüsse auf das Klima gab es vielleicht früher, und die Wissenschaft kennt sie durchaus auch heute noch. Doch in den Medien sind sie abgeschafft – und das auch noch mit der stereotypen, monotonen Behauptung: Die Forscher seien sich damit einig. Ende der Debatte. Wer hierbei weiterfragt, ist ein Klimaleugner. Die Kippunkte rücken immer näher, die Uhr steht seit mindestens 20 Jahren auf fünf vor Zwölf, und so gut wie fast alle Medien sind sich nicht zu dumm, den Zeiger immer wieder passgenau zurückzudrehen, damit der Handlungsdruck auch immer brav im heute, hier und sofort bleibt, und zwar in jeder denkbaren Radikalität.
Nur noch von „Klimanotstand“ und „Klimakrise“ ist die Rede
Wundert sich da jemand, dass manche junge Leute das ernst nehmen und die aus ihrer Sicht einzig logische Konsequenz daraus ziehen? Wenn die Zeitungen von den politisch Verantwortlichen selbst einfordern, den „Klimanotstand“ auszurufen, oder zumindest dies in den nur allzu erwartbaren Kommentaren für verständlich und geeignet bezeichnen – dann haben wir den Notstand in den Köpfen, mit allen Konsequenzen. Wundert es, dass aus diesem Notstand heraus manch einer die Notwendigkeit und Legitimation zu selbstbestimmten Notstandsmaßnahmen ableitet, wenn sie gleichzeitig tagtäglich eingetrichtert bekommen, dass die Maßnahmen auf politischer Ebene bei weitem nicht ausreichen.
Ja, die Grünen sind da in der Verantwortung, aber sie sind Partei. Und deshalb gilt dies mehr noch für die Presse und vor allem Radiostationen, die den alltäglichen Basso Continuo dieser Partei ebenso alltäglich an die Öffentlichkeit tragen. Wenn die Grünen oder Aktivistengruppen fordern, man dürfe nicht mehr von Klimawandel, sondern nur noch von „Klimakrise“ sprechen, obwohl niemand von sich aus auf die Idee käme, dass wir uns diesbezüglich in einer Krise befinden, und wenn dann die Radiostationen diese Sprachregelung willfährig übernehmen, dann haben wir Notstand und Krise. Als Beleg muss dann zur Not auch so etwas wie ein nie dagewesenes Schneechaos in Griechenland und der Türkei herhalten.
Es geht überhaupt nicht darum, den menschlichen Einfluss auf den Klimawandel infrage zu stellen, keineswegs. Aber das Erkenntnisinteresse in Presse, Funk und Fernsehen (und vor allem den Online-Portalen) ist und bleibt einseitig. Statistische Angaben über Wetter und Unwetter kommen überhaupt nur dann zur Sprache, wenn Rekorde oder Katastrophen zu melden sind. Ist das gerade nicht möglich, holen wir die Nachrichten vom letzten Mal einfach aus dem Stehsatz, alles auf Wiedervorlage.
Natürlich ist dies auch der Einseitigkeit der Medienschaffenden, dem Marsch des Milieus durch die Redaktionen geschuldet, dem Gefühl, sich damit Meriten zu verdienen, dem falschen Bewusstsein, damit etwas Gutes zu tun. Inzwischen viel bedeutsamer aber: Die Einseitigkeit spiegelt die Marktmechanismen bei den immer wichtiger werdenden Online-Formaten wider. Alarmmeldungen generieren Klicks, nüchterne Bestandsaufnahme interessiert niemanden. Das Geschäft mit den Katastrophenmeldungen blüht, auf Kosten des eigentlich gebotenen realistischen Tonfalls, der die Einordnung erlaubt und der den nötigen Abwägungen auf politischer Ebene zugrunde liegen muss.
Das ZDF trickst und wiegelt ab
Da wir gerade zu Jahresbeginn stehen: Regelmäßig im Januar interessiert sich die klimainteressierte Öffentlichkeit für die Antwort auf die Frage: Wie warm war es global gesehen im vergangenen Jahr, war es wieder ein Rekordjahr? Wenn nicht: Wo steht es in der Rangfolge der wärmsten Jahre? Gab es ein neues Rekordjahr, so laufen tagelang Sondersendungen und Schwerpunktseiten in den Zeitungen. Wurde kein neuer Rekord aufgestellt, fällt die Berichterstattung ganz einfach unter den Tisch. Oder man trickst einfach, damit es passt, zur Not auf plumpe Weise. Ein Beispiel:
Eine Meldung von ZDF-Online vom 19. Januar dieses Jahres: „2021 war eines der sieben heißesten Jahre“, lautete die Überschrift, aber das hat dem Redakteur ganz offenbar noch nicht gereicht. In der Unter-Überschrift schrieb er dann: „So warm war kein Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen: 2021 lag die globale Durchschnittstemperatur 1,11 Grad über dem vorindustriellen Niveau. Auch sonst war 2021 besonders.“ Erst weiter hinten im eigentlichen Text lesen wir dann: „Das bisherige Rekordjahr war 2016 mit rund 1,2 Grad über dem vorindustriellen Niveau, dicht gefolgt von 2019 und 2020“ – und müssen an dieser Stelle selbst rechnen als Leser, um das vergangene Jahr einordnen zu können: Das Rekordjahr war also immerhin 0,09 Grad wärmer als das vergangene, als 2021. Kein neuer Rekord. An welcher Stelle 2021 überhaupt stand, wird nicht angegeben, wohl weil man offenbar vermuten muss: erst an siebter Stelle.
Am 28. Januar schrieb ich an die Pressestelle des ZDF, was es mit der Unterzeile auf sich habe. Keine Antwort. Vier Tage später erinnerte ich höflich an meine Frage. Erst wiederum zwei Tage später, also eine Woche nach meiner ersten Mail, dann die Antwort. Darin hieß es zunächst abwiegelnd: In der Überschrift wie auch im ersten Satz habe man doch nur von einem der sieben heißesten Jahre geschrieben, also offenbar alles richtig gemacht. So ungefähr: Was ich eigentlich wolle. Doch dann, immerhin, noch der Hinweis: „Der erste Satz des Vorspanns wurde angepasst“. Tatsache ist: Er wurde einfach gestrichen (offenbar fand man keinen Ersatz, der sowohl hinreichend alarmistisch wie auch wenigstens formal korrekt wäre). Am Ende steht jetzt der Hinweis: „Anmerkung der Redaktion: In der ursprünglichen Version dieses Beitrags wurde im Vorspann 2021 als wärmstes Jahr seit Beginn der Wetteraufzeichnungen bezeichnet. Richtig ist, dass es eines der sieben heißesten Jahre war.“ Dass da etwas falsch gewesen war, zu dem Eingeständnis konnte man sich offenbar nicht durchringen. Korrekt wäre gewesen: Wir haben (mal wieder) übertrieben, sorry.
System oder Versehen? Oder pure Dummheit? Ich tippe mal darauf, dass man sich schon etwas dabei gedacht hat. Denn von einem Satz in der Meldung wollte man sich dann doch nicht trennen, der blieb drin: „Das bisherige Rekordjahr war 2016.“ Ja, liebes ZDF, ihr habt ja recht, es war bisher das Rekordjahr. Aber es ist immer noch das Rekordjahr. Aber ein bisschen neuen Rekord wolltet ihr dann doch herüberretten, stimmts?
Letztlich ist die Meldung inzwischen Schnee von gestern (heute gibt es ja aus Sicht des ZDF auch sicher keinen Schnee mehr), und die Online-Meldung hat – in ihrer ursprünglichen, falschen Version – viele Tage gute Dienste geleistet: Es gibt nur noch Klimarekorde, einen nach dem anderen. Und wenn die Politik das nicht mitkriegt, nicht die Notwendigkeit einsieht, jetzt, sofort, aus allen grundlastfähigen Energiearten auszusteigen, weil sämtlich atomar oder fossil, dann hilft ja nur noch Militanz: Wäre eine solche Gedankenfolge etwa absurd?
…dann hilft ja nur noch Militanz
Man ist sich in der Szene – jedenfalls nach allem, was man hört – bislang komplett einig, dass Gewalt allein gegen Sachen legitim sei, nicht gegen Personen. Aber hatten wir diese Debatte nicht auch schon mal? „Unsere Sache war es eigentlich nicht, Gewalt gegen Sachen oder Gewalt gegen Menschen zu vermengen“, sagte Thorwald Proll 1968, nachdem er mit Andreas Baader und Gudrun Ensslin in Frankfurt ein Kaufhaus in Brand gesteckt hatte. Nicht lange danach wurde genau dieses vermengt, die Vorgeschichte der RAF. Die Gewalt gegen Personen war da.
Es muss nicht dazu kommen, vor allem muss man es nicht beschreien. Andererseits sollte man auch nicht verdrängen, dass die Bedingungen heute für eine Gewaltspirale erheblich günstiger wären. Die gewaltbereiten 68er im Vorfeld der RAF hatten nicht nur gegen die etablierte Politik und eine ablehnende Gesellschaft anzukämpfen, sondern mehr noch gegen eine Medienlandschaft, die damals weitgehend einig war in der Ablehnung, in heftiger Distanz. Und genau das ist heute anders.
Nicht nur weil heute Studienräte namentlich und öffentlich per Twitter die Autofahrer um Verständnis bitten, wenn sich ihre Schüler mit Sekundenkleber auf der Autobahn festmachen, den Verkehr stundenlang blockieren und Krankenwagen im Stau steckenbleiben: Man möge doch öffentlich oder per Fahrrad fahren, twitterte da der Lehrer (was ja grundsätzlich nicht falsch wäre, aber das ist ietzt eine andere Sache).
Deutschlandfunk lobt: „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“
Damals entstand aus einer nahezu – wenn auch nicht komplett – monolithischen Medienlandschaft heraus, die sich gegen jede Radikalität wandte, die Initiative zur Gründung der Tageszeitung „taz“. Endlich „Gegenöffentlichkeit“. Heute ist von jener Ablehnung und Distanz zur „Bewegung“ in Presse, Funk und elektronischen Medien nichts mehr zu spüren. Heute sind alle taz – und fühlen sich immer noch oppositionell. Sie liefern nicht nur die intellektuelle Basis für die Militanz, durch ihre Einseitigkeit in der Klimaberichterstattung (im Gegensatz zur weit differenzierteren Wissenschaft). Nein, auch feiern sie obendrein bisweilen unverhohlen diejenigen, die die Gewalt propagieren, selbst Funkhäuser, die nicht unbedingt unter „Linksverdacht“ stehen.
Das Buch „Wie man eine Pipeline in die Luft jagt“ etwa wird im Deutschlandfunk unter der Überschrift „Intelligente Sabotage für einen radikalen Klimaschutz“ durchaus wohlwollend beschrieben: „Andreas Malm schlägt eine Arbeitsteilung vor: Die Gemäßigten gehen an die Verhandlungstische, während die Radikalen Sabotageakte auf fossile Brennstoff-Infrastruktur verüben und beispielsweise Pipelines sprengen“, und zitiert den Autor völlig unkritisch weiter: Es sei „besser zu sterben, während man die Pipeline in die Luft jagt, als teilnahmslos zu verbrennen“. Das Buch immerhin sei „lebendig“ geschrieben, lobt der Rezensent – und zwar des Deutschlandfunks, man stelle sich vor! Aber auch der Südwestrundfunk (SWR) lobt unterm Strich das Buch, dessen Autor propagiert, man müsse „unbedingt antikapitalistisch“ vorgehen, auch wenn das „immer mal die Falschen trifft“. Klar, muss man verstehen. Das Buch sei ein „lesenswerter Beitrag zur Klimadebatte“, bekam das SWR-Publikum zu hören.
Das fatale an so einer Entwicklung: Diese propagierte oder zumindest positiv konnotierte Grundstimmung ist nur schwer rückholbar, auch wenn sie irgendwann doch mal aus dem Ruder laufen sollte. Auch sollte man berücksichtigen, dass durch gnadenlos übertriebene Berichterstattung nicht nur scheinbar rationale Argumente für Gewalt (erst gegen Sachen, und dann?) verfangen, sondern womöglich auch narzisstische Naturen auf den Plan gerufen werden, sich bestärkt fühlen, die allein aus der öffentlichen Wirkmächtigkeit eigener, spektakulärer Aktionen ihr Selbstwertgefühl ziehen. Lieber sterben, als untätig bleiben…
Hinweis: In einer ursprünglichen Version des Beitrags wurde die Temperaturdifferenz zwischen 2016 und 2021 mit 0,89 Grad angegeben. Richtig ist: Die Differenz betrug 0,09 Grad. Wir bitten um Entschuldigung.