Gastautor / 03.05.2011 / 12:56 / 0 / Seite ausdrucken

Die Angst der Kommunisten vor der Kultur

Ingo Langner

Am 3. April 2011 wird Ai Weiwei, der im westlichen Ausland bekannteste zeitgenössische Künstler Chinas, auf dem Pekinger Flughafen verhaftet und anschließend an einem unbekannten Ort festgehalten. Gegen seine Verhaftung wird seitdem weltweit protestiert und Ai Weiweis Freilassung gefordert. Zwei Tage vorher ist im neuen Pekinger Nationalmuseum – auch mit einer Rede des deutschen Außenministers Guido Westerwelle (FDP) – eine Ausstellung aus Deutschland eröffnet worden. Das „Event“ wird von den in großer Zahl angereisten deutschen Medienvertretern aufmerksam beobachtet und kommentiert.

Man lobte Chinas scheinbar aufkeimende Liberalität und scheint den skandalösen Versuch der chinesischen Regierung, den Friedensnobelpreis 2010 für den chinesischen Dissidenten Liu Xiaobo zu verhindern, schon erfolgreich verdrängt zu haben. Die Ausstellung trägt den Titel die „Kunst der Aufklärung“, wurde mit aus deutschen Kassen kommenden mehr als 6,6 Millionen Euro bezahlt und versammelt Bildwerke aus Berliner, Dresdener und Münchener staatlichen Museen, deren Alleinstellungsmerkmal der Zeitpunkt ihrer Entstehung in jener Epoche vor und nach der Französischen Revolution ist, die in unseren Schulbüchern üblicherweise das Zeitalter der Aufklärung genannt wird.

Ai Weiweis staatlich verordnetes „Aus dem öffentlichen Verkehr ziehen“ (das Regime wirft ihm, so liest man, Wirtschaftsdelikte, Ehebruch und Plagiate vor) hat die zur Ausstellungseröffnung noch frohgemut-optimistischen öffentlichen deutschen „Stellungnehmer“ zunächst irritiert und verunsichert, dann schockiert und moralisch empört und nun – fast vier Wochen danach – ist der vorherrschende Ton ein zerknirschter. Und naturgemäß wird der medial transportierte Ruf immer lauter, die Aufklärungsausstellung demonstrativ abzubrechen. Was für den Schirmherrn – bei dem es sich immerhin um keinen geringeren als den Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland handelt – gewiss mit einem mehrjährigen Einreiseverbot ins „Reich der Mitte“ verbunden wäre und für die Direktoren, Planungsstäbe und Strippenzieher in den beteiligten Museen einer Art Kultur-GAU gleichkäme.

Um das Maß der Verunsicherung vollzu machen, wird in zahlreichen Zeitungsartikeln und Kulturfernsehberichten darüber gerätselt, was denn um des Himmlischen Friedens willen da in die Chinesen gefahren sei? Mal soll ein aus dem Ruder gelaufener Geheimdienst schuld sein. Dann wieder sind es Machtkämpfe innerhalb des Politbüros. Doch eine wirklich befriedigende Antwort ist nirgends in Sicht. Die Frage aber ist eine andere: Warum tun sich Politiker, Museumsdirektoren und Journalisten so schwer zu verstehen, dass es sich im Falle der Volksrepublik China um einen seit 1949 von der chinesischen kommunistischen Partei in Alleinherrschaft regierten Staat handelt. Die laut jüngster Volkszählung 1,3397 Milliarden Bürger dieses Staates leben in einer Diktatur, deren ideologische Grundlagen nach wie vor der Marxismus-Leninismus sind und dies nach dem Willen der Parteiführung – und allen wirtschaftlichen Veränderungen und Erfolgen im letzten Jahrzehnt zum Trotz – auch so bleiben soll, ja: bleiben muss. Denn mit dieser Diktatur stehen oder fallen Chinas Genossen. Einen Mittelweg gibt es für sie nicht.

Dieser Mittelweg ist nämlich in den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts in der scheinbar allmächtigen und unantastbaren Sowjetunion von einem gewissen Michail Gorbatschow versucht worden. Mit dem bekannten Ergebnis. Nach nur wenigen Jahren lag das rote Riesenreich, das immerhin vom ewigen Eis Sibiriens bis Unter die Linden Berlins reichte, zerbrochen im Staub, und nur unter erheblichen Mühen ist es einem Herrn Putin mit eiserner Faust – und Dank riesiger, wertvoller russischer Gasvorkommen – inzwischen gelungen, den Scherbenhaufen aufzukehren und die noch zur Verfügung stehenden Einzelteile zumindest wieder zu einem Staat zusammenzuflicken, dessen Stimme im Chor der Weltmächte Gewicht hat.

Anders gesagt: Die alte linke Parole „Von der Sowjetunion lernen, heißt siegen lernen“ gilt zumindest im Umkehrschluss immer noch, und für die KP China heißt das, dass sie einen chinesischen Gorbatschow fürchtet wie der Teufel das Weihwasser. Die Machiavellisten in der Partei werden alles tun, um ein gelbes Glasnost zu verhindern.

Doch nicht nur das. Zwar war der sowjetische KP-Chef Leonid Breschnew kein blutiger Tyrann mehr wie der „Rote Zar“ Josef Stalin. Doch auch ein Breschnew war Realist genug zu wissen, dass er eine freie und unabhängige polnische Gewerkschaft mit dem für kommunistische Ohren provozierenden Namen „Solidarität“ nur um den Preis des eigenen Untergangs hätte dulden können. Das war die Lektion, die man im Berlin von 1953, im Budapest von 1956 und im Prag von 1968 hatte lernen müssen. Und zu dieser Lektion gehörte auch, dass Künstler immer unsichere Kantonisten sind, auf die man staatlicherseits rund um die Uhr ein wachsames Augen werfen sollte.

Denn ehe man sich versieht, ist aus einem eben noch mit Leninorden Geehrten ein Dissident geworden, für den sich dann wiederum zwangsläufig – denn das entspricht ihrer inneren Logik – die „kapitalistischen“ westlichen Medien interessieren. So ist es von 1917 bis 1990 immer gewesen. Nicht allein in der Sowjetunion, sondern auch in den Ländern des sogenannten Warschauer Pakts, also überall östlich des Eisernen Vorhangs. An dieser Stelle genügt es, an den russischen Schriftsteller, Dramatiker und Literaturnobelpreisträger Alexander Solschenizyn und die tschechischen Schriftsteller und Politiker Václav Havel und Pavel Kohout zu erinnern, deren Schicksal dem eines Ai Weiwei oder Liu Xiaobo so gut wie aufs Haar glich.

Wer dissidentischen Künstlern als „liberaler“ Parteiführer erlaubte, dem Westen den kleinen Finger zu reichen, merkte bald, dass der Westen nur allzubald die ganze Hand haben wollte. Und so kam es, dass ein heute noch ganz vorn stehender „Kulturarbeiter“ schon einen Tag später für Jahre im Gefängnis oder im Hausarrest verschwinden musste. Exakt dies geschieht jetzt auch mit Ai Weiwei. Noch auf ein Drittes gilt es hier hinweisen. Das betrifft das Thema Aufklärung selbst und die damit verbundene geradezu rührende Annahme der deutschen Museumsdirektoren, Chinas Kommunisten in diesem Punkt Nachhilfeunterricht erteilen zu können. Möglicherweise ist ihnen nicht mehr geläufig, dass nach materialistischer Lesart Karl Marx den „Idealisten“ Hegel „vom Kopf auf die Füße gestellt hat“. Also nicht hegelianisch das Bewusstsein das Sein bestimmt, sondern umgekehrt, das Sein das Bewusstsein.

Zu den unumstößlichen „Wahrheiten“ des „Dialektischen Materialismus“ gehört es auch, dass 1789 in Paris unter den Parolen Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit eine bürgerliche Revolution stattfand, von der vor allem „die Bourgeoisie“ profitierte, und der „Kapitalismus“ den vom Adel geprägten „Feudalismus“ geschichtlich ablösen konnte. Wodurch wiederum eine neue Klasse, Proletariat genannt, das Licht der Welt erblickte, deren historische Aufgabe es war, zum Träger einer finalen, nämlich der sozialistischen Revolution zu werden. Aufdass – und zwar ausschließlich unter Führung der Kommunistischen Partei, zu deren Selbstverständnis es gehört, die Avantgarde des Proletariats zu sein – das Gesetz der Geschichte erfüllt werde und ein für alle Menschen erquickliches kommunistisches Reich entstehe, in dem jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten und nach seinen Bedürfnissen leben kann.

Wer immer heute in China an dieser Staatsdoktrin in einer Weise öffentlich zweifelt, die diese Ideologie und alles was darauf seit 1949 „sozialistisch“ gewachsen ist, infrage stellt, der wird früher oder später die kommunistische Knute zu spüren bekommen. Was den Westen mit seinen Menschenrechtswerten angeht, so ist der mit chinesischen Augen betrachtet kein Rezept für die gesamte Welt, sondern ein Projekt, das die „Herrschaft des Kapitals verschleiert“ und nur deswegen noch nicht auf dem Abfallhaufen der Geschichte gelandet ist, weil es Querulanten wie Ai Weiwei gibt, die die „gute Sache“ in Misskredit bringen und das Volksglück schlechthin gefährden. Dieser ideologische Hintergrund mitsamt seinen Machterhaltungsstrategien scheint, entgegen der westlichen vielfältigen historischen Erfahrungen mit dem Sowjetreich oder der DDR, dem politischen, kulturellen und journalistischen Mainstream in Deutschland ein Buch mit sieben Siegeln zu sein. Jedenfalls lassen die bisherigen Stellungnahmen und Reaktionen kaum einen anderen Schluss zu.

Es hat etwas seltsam Zwittriges, wenn Kulturstaatsminister Bernd Neumann vergangene Woche in der Berliner Akademie der Künste scharfe Kritik an die Adresse der für die Aufklärungsausstellung verantwortlichen deutschen Museumsdirektoren richtet und ihre mit, so Neumann, „weichgespülten Floskeln“ gespickten Reden zur Pekinger Vernissage „geschmacklos“ und „völlig unakzeptabel“ nennt; ja, sie sogar mit der Sprache der chinesischen Funktionäre vergleicht. Oder wenn Außenminister Westerwelle am vergangenen Samstag, ebenfalls in einer Berliner Veranstaltung zur Causa Ai Weiwei, öffentlich klarstellt, dass die Freiheit der Kunst ein „unschätzbares Gut“ sei und fordert, die „Festsetzung“ des Regimekritikers müsse beendet werden.

Denn gleichzeitig sprechen sich Neumann und Westerwelle, wie übrigens auch Monika Grütters, die Vorsitzende der Bundestagsausschusses für Kultur und Medien, dagegen aus, die deutsche Aufklärungsausstellung in Peking aus Protest zu schließen, weil man damit dem chinesischen Publikum einen Blick auf die Entwicklung Europas vorenthalte. Was sich wohl die Chinesen bei soviel Konsequenz denken mögen? „Hunde, die bellen, beißen nicht.“

Und Egon Bahr, einst Willy Brandts ostpolitischer Chefunterhändler und Meister in Sachen „Wandel durch Annäherung“, singt erst gar nicht mit im Chor der Verbalradikalen. In einem Interview findet Bahr es „gelinde gesagt provinziell, wenn man überlegt, ob man die Ausstellung zurückziehen soll. Im schlimmsten Fall ist es kontraproduktiv“ und rät zur „Gelassenheit“. Die hat Bahr übrigens auch schon angemahnt, als Moskau daranging, die polnische Solidaritätsgewerkschaft zu zerschlagen. Er hat seinerzeit lieber mit den Regierungen verhandelt. Dissidenten störten da nur.

Das alles ist für China recht kommod. Denn die Kommunisten wissen diese Reden von Neumann bis Bahr gut zu deuten: Was jenseits aller Menschenrechtslitaneien dem Westen mehr Sorgen macht, als ein verhafteter Ai Weiwei, ist ein chinesisches Chaos und der damit vermutlich eingehende Zusammenbruch eines für den Westen enorm wichtigen Absatzmarktes. Das ist für Ai Weiwei leider keine sonderlich gute Nachricht.

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