Von Matthias Matussek
Trolle und Trollfrauen sind oft schadenbringende Geisterwesen in Riesen- oder Zwergen-Gestalt. Angeblich kommen sie besonders häufig in Island vor. Unsere Zeitschrift Neugier.de, die wir in Island produziert haben, erscheint zur Buchmesse mit einer Ausgabe „Made in Iceland“. Unsere isländischen Freunde, genervt vom Troll-Kult, rangen uns jedoch ein Versprechen ab: Nichts über Trolle! Gemeint waren natürlich isländische Trolle. Wir fanden deshalb einen salomonischen Ausweg: Eine erlesene Kollektion deutscher Trolle. Wir baten Freunde und Autoren der Achse des Guten um kurze Portraits ihrer heimischen Lieblingstrolle. Heute beschreibt Matthias Matussek seinen Favoriten:
Norbert Lammert
Jeder träumt wohl mal wie die Fru des Fischers im Märchen vom Butt von ganz besonderen Beförderungen. Von König, Papst, ja von G… Da ist es nur logisch, daß auch ein deutscher Gremien-Katholik träumt. Und wenn er nur das zweithöchste Amt im Staate hält, träumt er naturgemäß vom allerhöchsten. Ersatzweise vom Allerhöchsten. Also von der Jesus-Bauchrednerei. Geissler hat es vorgeführt („Was Jesus heute sagen würde“), jetzt zieht Bundestagspräsident Norbert Lammert nach. Er hat kürzlich das „Vater unser“ verbessert. Also er hat das Gebet, das der Herr uns gelehrt hat,
angepasst an die heutigen Bedingungen. Versteht ja sonst keine mehr. Statt „Unser tägliches Brot gib uns heute“ nun das eher abstrakte „Gib uns das, was wir brauchen“, denn wer braucht schon Brot in unseren Breiten, wenn es Playstation und Plasmafernseher und andere Grundnahrungsmittel gibt.
Früher hieß es demütig „Dein Reich komme, dein Wille geschehe, wie im Himmel also auch auf Erden“. Lammerts Version tritt da schon kerniger auf: „Dein Reich kommt, wenn dein Wille geschieht, auch auf Erden“. Die stolze Bürgerantwort auf alle fromme Kriecherei. Das Paradies ist möglich. Hier und jetzt. Wenn dein Wille geschieht. Den wir ja kennen. Wir habens selber in der Hand. Wir müssen uns nur in den parlamentarischen Ausschüssen besser ins Zeug legen.
Gut, das Gebet ist jetzt nicht mehr jedermanns Sache. Der Gottesglaube ist ohnehin zu kostbar, um ihn dem einfachen Volk zu überlassen. Da müssen Spezialisten her. Ein FAZ-Exeget hat Lammerts Gebet, das jetzt vor Fachpublikum zu Neuer Musik aufgeführt wurde und mit seinem „parataktischen Satzbau“ ergriff, auch theologisch feinsinnig exkulpiert. Der zweite Mann im Staat habe sich, auf gewohnt höchstem sprachlichen Niveau, dem „Zwang zur Häresie“ angepaßt, den der Soziologe Berger als Folge jenes intellektuellen Drucks sieht, den die Moderne auf die Offenbarungsreligion ausübe. „Wer von einer säkularen Öffentlichkeit anerkannt werden will, muß in seinem Glaubensbekenntnis auswählen, woran er noch glauben zu können glaubt“, heißt es da.
Tja, das ist wohl das Problem. Da will einer von der säkularen Öffentlichkeit nicht nur anerkannt, sondern umarmt werden. Aber wir fragen uns verdutzt: wieso überlässt er nicht einfach das „Vater unser“ den Toren, die noch daran glauben, und an jenes Ereich, von dem Jesus sagt, dass es nicht von dieser Welt ist. Und wendet sich statt dessen anderen Baustellen zu. Müßte der Faust nicht mal umgeschrieben werden? Was? Gibt’s schon? Der 20-Minuten-Hamlet auch schon? Richtig, ganmz vergessen, man nannte das Regietheater, bevor man die Zuschauer damit verjagte und die Texte endgültig vergaß. Derzeit erleben wir den Regie-Katholizismus. Das Mitspieltheater. Jeder ist mal Chef im Ring. Hochbezahlte, meist subventionierte Rebellen berserkern vor leeren Kirchenbänken und wollen den totalen Neuanfang. Trolle aller Länder, erhebt euch.
Die Vorstellung der Island Ausgabe von Neugier.de ist heute, Freitag 14.Oktober in Frankfurt auf dem Pavillon des Ehrengastes Island. Bestellen kann man das neue Heft hier.