Gastautor / 28.12.2019 / 12:00 / Foto: Bundesarchiv / 10 / Seite ausdrucken

Der unerklärte Krieg der DDR gegen Israel (1)

Von Jeffrey Herf.

Gäbe es ein ungeschriebenes elftes Gebot der westdeutschen Geschichte nach dem Holocaust, so würde es lauten: Keine deutsche Regierung oder politische Gruppierung darf jemals Juden töten oder ihnen Schaden zufügen, noch darf sie jemandem dabei behilflich sein, Juden zu töten oder ihnen Schaden zuzufügen Auf gar keinen Fall darf eine deutsche Regierung den Staat Israel angreifen oder dessen Gegner unterstützen. Das war der moralische Mindestanspruch, der mit der westdeutschen Politik der Vergangenheitsbewältigung assoziiert wurde, in erster Linie mit dem Massenmord an sechs Millionen Juden in Europa durch das NS-Regime. Diese Tradition ist jedoch eher für die finanzielle Wiedergutmachung als für eine angemessene Gerechtigkeit bekannt.

Doch das moralische Prinzip, Juden nie wieder Schaden zuzufügen, durchdrang die Entscheidungen mehrerer aufeinanderfolgender Bundeskanzler, darunter auch Konrad Adenauers Beschluss im Jahr 1952, den Überlebenden des Holocaust und dem Staat Israel eine finanzielle Wiedergutmachung anzubieten, sowie Ludwig Erhards Absicht, im Jahr 1965 diplomatische Beziehungen zu Israel aufzunehmen. Diese Tradition hatte auch nach der deutschen Wiedervereinigung Bestand: Im Jahr 2008 erklärte Kanzlerin Angela Merkel vor dem israelischen Parlament, der Knesset, dass das Überleben Israels ein Anliegen der deutschen Staatsräson sei.                                                                                               

Seit der Gründung der Deutschen Demokratischen Republik im Jahr 1949 bis zu ihrem Zusammenbruch 1989 vertrat das kommunistische Regime jedoch eine ganz andere Sichtweise – eine Sichtweise, die der Idee des Zionismus und dem real existierenden Staat Israel feindselig gegenüberstand. Vor allem seit Juni 1967, während und nach dem Sechstagekrieg, wandte sich die westdeutsche radikale Linke ebenfalls gegen Israel und brachte kleine Gruppen von Terroristen hervor, die in den 1970er und 1980er Jahren mit palästinensischen Organisationen zusammenarbeiteten. (…)

Teilweise auf den Kopf gestellt

Die Terrorakte westdeutscher Gruppierungen waren in der öffentlichen Wahrnehmung damals sehr viel präsenter als das Militärbündnis zwischen den Ostblockstaaten und den arabischen Staaten und palästinensischen Terrorgruppen. Dabei hatte die ostdeutsche Regierung einen weit größeren Einfluss auf den Gang der Ereignisse im Nahen Osten als westdeutsche Terroristen. Wenn den Terrorgruppen eine große Aufmerksamkeit zuteilwurde, die ostdeutsche Regierung hingegen vergleichsweise vernachlässigt wurde, so stellt dies deren kausale Wirkung auf die damaligen Ereignisse im Nahen Osten geradezu auf den Kopf (…) Damals schätzte die Central Intelligence Agency der USA, dass die Waffenlieferungen aus der DDR an die arabischen Staaten rund drei Prozent der gesamten Waffenlieferungen aus dem Ostblock ausmachten.

Wie wir sehen werden, übertrafen diese drei Prozent bei weitem die viel bekannteren Arsenale, die bei westdeutschen Linksterroristen entdeckt wurden. Der enorme quantitative Unterschied ist darauf zurückzuführen, dass ein Staat, der mit einer mächtigen militärischen Allianz verbündet war, über ganz andere Ressourcen als linke politische Bewegungen und Gruppierungen verfügte. Die Rote Armee Fraktion, die Bewegung 2. Juni und die Revolutionären Zellen positionierten sich erfolgreich in den Schlagzeilen, doch dem Regime in Ost-Berlin standen die gesamte Staatsmacht – Streitkräfte, Botschaften und ein diplomatisches Korps, ein effektiver Nachrichtendienst, militärische Ausbildungszentren und eine kontrollierte Presse – zur Verfügung, um das Kräfteverhältnis und die Ereignisse im Nahen Osten zu beeinflussen. (…)

Das Regime im Osten Deutschlands nach 1949 und die westdeutsche radikale Linke ab 1967 fühlten sich nicht an den oben erläuterten moralischen Kompass gebunden. In den Jahren zwischen dem Sechstagekrieg von 1967 und dem Libanonkrieg und dessen Nachspiel in den 1980er Jahren fügten die Regierung der Deutschen Demokratischen Republik und westdeutsche linksextreme Terrorgruppen jüdischen Bürgern weiterhin Schaden zu, insbesondere den in Israel lebenden; darüber hinaus unterstützten sie andere, die das Ziel verfolgten, ihnen zu schaden. (…)

Keinerlei diplomatische Beziehungen zu Israel

Das entsprechende ideologische Fundament wurde in den „antikosmopolitischen Säuberungen“ Anfang der 1950er Jahren in der Sowjetunion und Osteuropa gelegt. Damit endete die Unterstützung für den Zionismus und für Israel aus den Ostblockstaaten – eine Unterstützung, die in der Phase der Staatsgründung Israels außerordentlich wichtig gewesen war und zum Beistand für die Juden im Krieg von 1948 geführt hatte. Der Begriff „Zionismus“ wurde fortan zu einem Schmähwort im kommunistischen Diskurs. Die anfänglich prozionistische Haltung war ein Produkt der besonderen Umstände des Zweiten Weltkriegs und des Holocaust. Der Antizionismus und die Feindseligkeit gegen Israel hingegen standen in einem Zusammenhang mit einer umfassenderen Revision der marxistisch-leninistischen Lehre, die mit dem Beginn des Kalten Krieges einherging.

In ganz elementarer Hinsicht widersprach die Idee eines jüdischen Staates sowohl dem universalistischen Anspruch des Kommunismus als auch, ungeachtet des Säkularismus der zionistischen Gründergeneration, der kommunistischen Anschauung, Religion sei „Opium für das Volk“. Für Kommunisten war die Sowjetunion, nicht das europäische Judentum, das Hauptopfer Hitlerdeutschlands gewesen. In den Säuberungen nach dem Krieg avancierte der Antizionismus, häufig gepaart mit antisemitischen Motiven wie etwa der unterstellten enormen jüdischen Macht und deren mutmaßlich engen Beziehungen zum Kapitalismus und Imperialismus, zum Standarddiskurs im Ostblock.

Zwar plädierte eine Minderheit im Osten Deutschlands dafür, dass die DDR enge und freundschaftliche Beziehungen zu dem neuen jüdischen Staat pflegen solle, doch die orthodoxe Mehrheit wies die Vorstellung zurück, dass sie als deutsche Kommunisten gegenüber dem Staat Israel irgendwelche besonderen moralischen Verpflichtungen hätte. Im Gegenteil: Schon in den 1950er Jahren verunglimpften ostdeutsche Kommunisten Israel als Verbündeten des westlichen und amerikanischen Imperialismus und weigerten sich, dem jüdischen Staat eine finanzielle Wiedergutmachung zu zahlen. Die DDR war das einzige Mitglied des Warschauer Paktes, das zu keinem Zeitpunkt diplomatische Beziehungen zum Staat Israel unterhielt.

Als die westdeutsche Linke 1967 zentrale Elemente des linken Antiimperialismus übernahm, ordnete sie Israel ebenfalls auf der „falschen“ Seite der in ihren Augen zentralen weltweiten Spaltung zwischen einem bösen und ausbeuterischen Imperialismus und einer tugendhaften, ausgebeuteten „Dritten Welt“, wie es damals hieß, ein. Der Nebeneffekt dieser Anschauung war die Unterstützung für die arabischen Staaten und sowohl in Ostdeutschland als auch in der westdeutschen radikalen Linken ein besonders leidenschaftlicher Einsatz für die Palästinensergruppen, die Israel bekämpften.

Auszug aus der Einleitung zum Buch „Unerklärte Kriege gegen Israel. Die DDR und die westdeutsche radikale Linke, 1967–1989“ von Jeffrey Herf, aus dem Englischen übersetzt von Norbert Juraschitz, 518 Seiten, 19 Abbildungen, gebunden, Schutzumschlag, 39,00 € (D); 40,10 € (A); ISBN 978-3-8353-3484-7. Das Buch ist hier bestellbar.

Lesen Sie morgen in Teil 2: Die Sowjetunion war bei der Prägung der feindseligen Haltung des Warschauer Paktes gegenüber Israel die treibende Kraft. Um den ideologischen Eifer zu stärken und das nationale Interesse zu schützen, beteiligten sich ostdeutsche Führer eifrig an den Kampagnen gegen Israel. Im Nahen Osten unterstützte der Ostblock, einschließlich der DDR, die radikalen Kräfte, nicht die gemäßigten, und zwar mit Wort und Tat. 

Teil 2 finden Sie hier.

Jeffrey Herf, geb. 1947, ist ein amerikanischer Historiker. Er lehrt an der Universität Maryland.

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S.Niemeyer / 28.12.2019

Sehr empfehlenswertes Buch, in Berlin wird Jeffrey Herf am 13. Januar 18 Uhr mit Vortrag und Diskussion zum Thema sprechen, Veranstaltung des Wallstein Verlags und der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur (Kronenstr. 5)

Wolfgang Kaufmann / 28.12.2019

Es ist wie bei Goethes Zauberlehrling. Erst biedert man sich billig bei den Amerika-Hassern an, dann wird man die Geister nicht mehr los. So geht es, wenn man denkt, der Feind des Feindes sei ein Freund. – Schlimm nur ist die Beratungsresistenz. Hartnäckig glauben die Mädels das Märchen, dass Aladdin sie zum Dank reich und mächtig mache, wenn sie sich nur tief genug bückten. Dumm geloffen.

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