Dirk Maxeiner / 08.08.2021 / 06:00 / Foto: Pixabay / 101 / Seite ausdrucken

Der Sonntagsfahrer: Die letzte Fahrt

Am 28. September 1879 umd 9.14 Uhr stürzte in einem Orkan die drei Kilometer lange schottische Tay-Bridge ein. Bei ihrer Eröffnung war sie die längste Brücke der Welt, sie überquert den Meeresarm "Firth of Tay" und verbindet die Bahnhöfe von Womit und Dundee. Ein Zug mit sechs Personenwagen und 75 Passagieren stürzte in die Fluten, keiner überlebte. „Es war wie ein kometenhafter Ausbruch wilder Funken, von der Lokomotive in die Dunkelheit geschleudert. In einer langen Spur war der Feuerstrahl zu sehen, bis zu seinem Verlöschen unten in der stürmischen See. Dann herrschte völlige Finsternis“, berichtete ein Zeitgenosse, der in der Dunkelheit vom fernen Ufer zugesehen hatte. 

Der deutsche Dichter Theodor Fontane ließ in seiner Ballade „Die Brücke am Tay" die drei Sturmhexen die inzwischen geflügelten Worte sprechen: „Tand, Tand ist das Gebilde von Menschenhand."

Auch als am 14. August 2018 um 11.36 Uhr in Genua die schlecht instand gehaltene Schrägseilbrücke über das Val Polcevera, mehr als einen Kilometer lang kollabiert, wütet ein Unwetter mit starken Winden. Es war Ferienzeit, 35 Autos und drei Lastwagen stürzten in die Tiefe, 43 Menschen starben. 

Auch in Deutschland sind inzwischen 40.000 Brücken hinfällig, die vom Stahlbetonkrebs oder schlicht dem Zahn der Zeit gezeichnet des Einsturzes harren, wahlweise der Sanierung oder Sprengung. Nicht nur die deutsche Dichtkunst ist seit Fontane ein wenig auf den Hund gekommen, sondern auch die Infrastruktur.

Davon können die Einwohner von Wiesbaden eine hübsche Ballade reimen. Sie wohnen zwar in einer durchaus ansehnlichen deutschen Großstadt, der Hauptstadt des Landes Hessen immerhin, aber sind verkehrsmäßig in etwa so gut angeschlossen wie ein sibirisches Dorf, wenn der Permafrost auftaut.

Statik wie Johnny Depp nach einem Besuch im Berghain

Es war dort einmal eine Brücke, sie war eine der zentralen Verkehrs-Achsen im Rhein-Main-Gebiet, und hörte auf den Namen Salzbachtalbrücke. Sie verband Wiesbaden mit der großen weiten Welt, trug 80.000 Autos am Tag, den gesamten ICE-Verkehr sowie die S-Bahn. Die Brücke steht zwar immer noch, was sich aber jede Minute ändern kann, weil das Ding unter statischen Problemen leidet wie Johnny Depp nach einem Besuch im Berghain. Es war spätestens seit 2009 bekannt, dass das Teil strauchelte, in einer Sitzung des zuständigen Bauausschusses wurde über die Neigung des Bauwerkes zum „Spontanversagen" gesprochen.

Das Eintreten dieser Prognose erlebten dann im Juni 2021 an einem Freitag um 16:30 Uhr eine Reihe von Passanten, die auf der Mainzer Straße (B 236) unter der Brücke hindurchfuhren und solide Betonteile registrierten, die vom Himmel fielen wie Kokosnüsse von der Palme. Die Autofahrer erinnerte das ein wenig an den Streifen „Armageddon – Das Jüngste Gericht", und sie taten das, was ein Deutscher bei Meteoriteneinschlägen tut: Sie riefen die Polizei. Diese eilte aus dem nahe liegenden Wiesbadener Stadtteil Biebrich herbei und sperrte sowohl die Fahrbahn der darüberführenden A 66 als auch die Mainzer Straße sowie die Zugtrassen zwischen Mainz und Wiesbaden. Züge nach Wiesbaden enden seitdem in Mainz, und die Stadt ist so dicht wie der Berliner Tiergarten bei einer Querdenker-Demo.

Ein unmittelbar vorher mit einem Spezialfahrzeug zur Diagnose von Brücken-Schwindsucht angereister Ingenieurs-Trupp hatte davon offenbar nichts bemerkt, weil er sich ja auf der Brücke befand und nicht darunter. Weil man mit der Leichen-Beschau noch nicht fertig war, ließ man Lastwagen mit dem „Untersichtgerät" nach Feierabend am Freitag Nachmittag auf einem stillgelegten Brückenteil stehen, wo er immer noch steht. Die Fahrt, die sich möglicherweise als sein Letzte herausstellt, war – und das macht es besonders schmerzhaft – zugleich seine erste. Das 500.000 Euro teure Stück, vollgepackt mit teuren Instrumenten und Geräten war neuer Stolz des Brückenbeschauers, kam geradewegs aus der Herstellungshalle, und seine Jungfernfahrt führte auf die Wiesbadener Wackeldackel- pardon, Salzbachtalbrücke. Dort steht er jetzt wie ein satirisches Mahnmal und man weiß nicht, ob man lachen oder weinen soll. 

In Ruhe über die Life-Work-Balance nachdenken

Der LKW darf im statischen Hochrisikogebiet keinen Meter bewegt werden, dafür hat sich die Brücke um 10 Zentimeter in Richtung Frankfurt bewegt. Wenn sie sich beeilt ist sie in ein paar Jahren dort angekommen und das Problem hat sich für Wiesbaden erledigt, weil dann der Frankfurter Magistrat dafür zuständig ist.

Aber jetzt nochmal die Preisfrage, gewissermaßen das Wiesbaden-Rätsel: Wie kriegt man Lastwagen da wieder runter? Liebe Lastwagen-Liebhaber, ihr müsst jetzt ganz tapfer sein: Es wird für den 30 Tonnen schweren Lastwagen wohl keinen Weg mehr zurück auf den heimischen Betriebshof geben. Denn die Ingenieure warnen angesichts der Einsturzgefahr der Brücke vor jeder „Lastenveränderung“, die weiteren Einfluss auf die Statik haben könnte, siehe oben Johnny Depp. Die Regionalausgabe der FAZ berichtet: "Möglich also, dass die Brücke mitsamt dem Lastwagen darauf gesprengt wird und die „letzte Fahrt“ für das Spezialfahrzeug der freie Fall ist." Inzwischen ist die Sprengung beschlossene Sache.

Autofahren in Wiesbaden gestaltet sich derweil wie in einem Kreisverkehr ohne Ausfahrt. Pendler verbringen ihre Freizeit im Dauerstau und können endlich in Ruhe über ihre Life-Work-Balance nachdenken. Ortsfremde wähnen sich in einem Irrgarten, wahlweise einem Vorort von Lagos.

Mit dem Zug kann man sich von Wiesbaden noch über den Taunus nach Limburg durchschlagen. Zehntausende Pendler sind mitten in Deutschland jahrelang dem Dauerstau ausgeliefert. Wiesbadens Oberbürgermeister Gert-Uwe Mende (SPD) ist es in der Debatte um die Schuld am Desaster wichtig, dass der Fehler in der Vergangenheit liege, also auf der Rückseite des Mondes. „Jahrzehntelange Vernachlässigung von Infrastruktur“ sei die Ursache für das Unglück. Ein Lichtblick sei, dass kein Mensch zu Schaden gekommen sei. Merke: Kein Wiesbadener Autofahrer ist vom Himmel gefallen oder wurde vom Beton erschlagen, statt dessen findet demnächst im Dauerstau die letzte Ölung statt.

„Wer einmal radelt, der bleibt dabei.“

Der hessische Wirtschafts- und Verkehrsminister Al-Wazir (Grüne) sagt, mit der Sperrung der Wiesbadener Salzbachtalbrücke sei „passiert, was nie passieren sollte" und befindet sich damit im glatten Widerspruch zum Parteiprogramm  der Grünen. 

Ansonsten bewies er durchaus visionäre Fähigkeiten: Al-Wazir machte schon im vergangenen Jahr darauf aufmerksam, dass in Corona-Zeiten besonders viele Menschen das Fahrrad nutzten. Die Erfahrungen zeigten: „Wer einmal radelt, der bleibt dabei.“ Daher komme sein Programm zur richtigen Zeit, sagte er. Eine Task Force soll die Planung von Radwegen in Hessen beschleunigen.

Mit dem Fahrrad sind es von Wiesbaden zum Frankfurter Flughafen nur zwei Stunden. Von dort ist man in etwa zwei Stunden in Palermo oder Neapel, um die Zukunft der deutschen Infrastruktur und die Früchte gelungener Politik zu besichtigen.

 

Von Dirk Maxeiner ist in der Achgut-Edition erschienen: „Hilfe, mein Hund überholt mich rechts. Bekenntnisse eines Sonntagsfahrers.“ Ideal für Schwarze, Weiße, Rote, Grüne, Gelbe, Blaue, sämtliche Geschlechtsidentitäten sowie Hundebesitzer und Katzenliebhaber, als Zündkerze für jeden Anlass(er). Portofrei zu beziehen hier.

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Klaus Lang / 08.08.2021

Nachtrag: Aus Wiesbaden gibt es aber auch gute Nachrichten. Im November 2020 wurde das mit Hochglanz-PR und massiver ÖR/MSM-Unterstützung gepushte linksgrüne Hoffnungsprojekt CityBahn im Rahmen eines Bürgerentscheides von der Mehrheit der Wiesbadener Bevölkerung abgelehnt. Obwohl als Weltklimarettungsprojekt verkauft, erkannten die Bürger, dass die Vorteile marginal und die Nachteile erheblich gewesen wären. An dieser Stelle mein Dank den tapferen Bürgerinitiativen, die mit geringsten Mitteln wie weiland David Goliath die Stirn boten.

JoMayer / 08.08.2021

DANKE, vielen Dank. Köstlich. Und zieht bitte den Laster runter.

Klaus Lang / 08.08.2021

Lieber Herr Maxeiner, es ist noch viel schlimmer. Von etwa Mitte 2020 bis Mitte 2021 wurde die Zahl der Fahrspuren auf dem 1. Ring, DER Hauptverkehrsader der Stadt Wiesbaden, von 3 auf 2 reduziert. Gemäß den Gesetzen der Strömungslehre fließt ein gegebener Volumenstrom V durch eine Rohrleitung mit Querschnitt A mit der Strömungsgeschwindigkeit v. Damit auch bei reduziertem Querschnitt der gleiche Volumenstrom “hindurchpasst”, müsste sich die Strömungsgeschwindigkeit erhöhen. Doch was haben die Spezialisten der Straßenverkehrsplanung gemacht? Sie haben die Ampelschaltungen so getaktet, dass man da, wo man bis vor der Verschlimmbesserung auf einer „Quasi-Grünen-Welle“ nahezu stressfrei über den 1. Ring glitt (Ausnahme Berufsverkehr), heute auch außerhalb der Stoßzeiten alle 100 m vor einer roten Ampel bremsen, anhalten und nach einer gefühlten halben Ewigkeit wieder beschleunigen muss. Der absolute Knaller ist jedoch, dass auf die B 54, einer der Hauptzufahrtsadern in die Stadt, ohne ersichtlichen Grund auf freier Strecke ca. 300 m vor den Toren der Stadt eine Ampelanlage „gepflanzt“ wurde, die den Verkehrszufluss in selbige regulieren soll. Der reale Nutzen: Zusätzlich zu den Staus in der Stadt bilden sich nun auch Staus vor der Stadt. Doch der linksgrüne Terror gegen die eigene autofahrende Bevölkerung kommt nicht von ungefähr: Mit „Maßnahmen zur Verbesserung der Luftbelastung“ wollte die Stadt Wiesbaden das von der DUH angekündigte Einklagen von Fahrverboten aufgrund angeblich überhöhter Stickoxid-Werte abwenden. Das Ergebnis der stur durch- und umgesetzten ideologischen Vorgaben ist katastrophal.

R. Fetthauer / 08.08.2021

Wir retten die Welt und für das wirklich wichtige vor Ort gibt‘s kein Geld! Vorschlag: Unter der Brücke ein paar Windräder aufstellen - dann haben wir eine frei schwebende Brücke! Ich denke einige der derzeit herrschenden Weltenretter, könnte diese Imbezillität durchaus ernsthaft lösungsorientiert diskutieren. Sage noch jemand, es gäbe keinen Fortschritt.

Claudius Pappe / 08.08.2021

87 % meiner Nachbarn wollen es so. Wird sich im September wieder bestätigen.

Andreas Rochow / 08.08.2021

Im besten deutschen Propagandastaat, den es jemals gab, gehört das Staatsversagen zum System. Man muss vorsichtig sein, um mit seinen Sorgen um marode Brücken und Talsperren oder um die innere Sicherheit nicht als “Rächter” marginalisiert zu werden. Die Edelgrünen sind da vorbildlich: Sie schaffen den Individualverkehr gleich ganz ab. Und es darf als sicher gelten: Ob Hochwasser-Katastrophen oder Wirecard: Die menschengemachte Klimakatastrophe wird als Ursache gefeiert und als Anlass für neues Staatsverssagen zu dienen. Merkel ist die Schutzheilige aller deutschen Staatsversager. Sie werden sie vermissen und ihr die Schuld und die Schulden anhängen, für die sie nicht mehr zur Verantwortung gezogen werden kann. Wenn die Schutzheilige dann endlich gegangen sein wird, geht es ohne sie genau so weiter. Sie hintelässt uns ein Propagandanetzwerk ungeahnter Power. Alte SED-Genossen lecken sich die Finger,

Heribert Glumener / 08.08.2021

Die Trottel in Wiesbaden sollen den Kopf zumachen und einfach Chinesen sowie ein paar Russen ranlassen: Die Russen - Kerle - fahren den Laster weg von der Brücke, die dabei natürlich nicht einkracht. Sie sprengen danach professionell die Bröselbrücke. Die Chinesen bauen in 12 Monaten eine neue Brücke, Qualität etwa 2- bis 3+. Günstige und gute Lösung.

Hans Kloss / 08.08.2021

Das bestätigt nur meine Meinung dass in Deutschland der Umkehr nicht stattfinden kann, zu viele würden als Idioten da stehen und sich vlt vor Gericht verantworten müssen. Wir gehen einfach weiter so wie der Bundesstaat California wo immer radikaler regiert wird und immer mehr Menschen fliehen was wiederum den Rest im Durchschnitt noch radikaler macht. Ein der möglichen Endstadien sieht man in Venezuela. Vlt kommt es nicht dazu.

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