Silvia Meixner
Lange Zeit war Schlauchbootfahren irgendwie uncool. Jetzt erlebt es ein rauschendes Revival: In ihrer Verzweiflung begeben sich Briten derzeit in ihre Garage, den Keller oder Dachboden und pumpen das gute alte Schlauchboot auf, um ihre „im Schatten des Vulkans“ (eine der dümmsten medialen Wortschöpfungen der vergangenen Jahre) gestrandeten Landsleute vom europäischen Festland nach Hause zu transportieren. Im Schlauchboot über den Ärmelkanal, nach dem Ende des Vulkan-Schatten-Ärgers in voraussichtlich drei bis 78 Tagen kann man das in die Abteilung „Kleine Abenteuerreisen für zwischendurch“ aufnehmen. Hier die Reiseroutendetails: Der Ärmelkanal ist 563 Kilometer lang, an der breitesten Stelle misst er 248 Kilometer, an der schmalsten, der Straße von Dover, 34 Kilometer. Landkarte nicht vergessen.
In zwei Jahren feiert das Schlauchboot seinen 100. Geburtstag, es ist natürlich eine deutsche Erfindung (weil nichts schiefgehen darf!): Der Berliner Hermann Meyer ließ sich 1913 ein beidseitig benutzbares und aufblasbares Wasserfahrzeug patentrechtlich schützen. Es hatte einen fest eingebauten Gummiboden, zwei Tragegriffe und ein Rückschlagventil. Wenig später erfand Herr Meyer den hölzernen Einlegeboden und überzeugte die kaiserliche Marine von seiner Erfindung. Viel Zeit für erholsame Spazierfahrten hat der Erfinder sich wohl nicht genommen, das Schlauchboot war seine Leidenschaft und ständig fand er verbesserungswürdige Details, so präsentierte er 1923 dem Rest der Welt zum Beispiel das erste Schlauchboot mit Segel. Leider blieb der Mann, der Millionen Menschen Sommerfreuden bereitete, völlig unbekannt.
Dann preschten die Amerikaner (Goodyear) und Franzosen (Dunlop) vor und bauten Schlauchboote aus Kautschuk und Gummi, die noch haltbarer waren. Ein großes Unglück brachte der Erfindung Auftrieb: Nach dem Untergang der „Titanic“ verpflichteten sich viele Nationen dazu, Schiffe mit Schlauchbooten für den Ernstfall auszurüsten. Da möchte man natürlich nicht so gern drinsitzen – parallel dazu entdeckten die sorglosen Menschen ihre Vorliebe für das Schlauchboot als Vergnügungsobjekt. Als noch nicht jedermann wahllos Flugzeuge bestieg, um am anderen Ende der Welt ein Eis zu essen oder Orang-Utans zu streicheln, war das Schlauchboot ein wichtiger Urlaubsbegleiter für den Alpensee oder das Mittelmeer. Das Zusammenfalten des Schlauchbootes galt als beliebtes Familienspiel (und Quell von Besserwisserei und Streitigkeiten), denn irgendwie musste das sperrige Ding im Auto ja wieder nach Hause transportiert werden. Und irgendwie schien es nach einer Urlaubsreise immer viel größer zu sein als daheim in Wanne-Eickel.
Irgendwann entdeckte die Menschheit dann ihre Liebe für Yachten – und das Schlauchboot galt plötzlich als piefig und altmodisch.
Doch jetzt, kurz vor seinem 100. Geburtstag, erfährt es wieder große Aufmerksamkeit. Und die Briten erinnern sich an jene Zeiten, in denen das gute alte Schlauchboot schon einmal auf der Route Frankreich-England zum Einsatz kam: Im Mai 1940 setzte sich eine Armada aus 700 Booten aller Art über den Ärmelkanal in Bewegung, um über 300.000 englische und französische Soldaten aus Dünkirchen in Sicherheit zu bringen. 70 Jahre später - in Großbritannien ist gerade Wahlkampf - beschwört Premierminister Gordon Brown nun neuerlich den „Geist von Dünkirchen“, die Royal Navy holt ihre gestrandeten Landsleute mit Booten ab. Hilfsbereite Privatiers schicken ihr Schlauchboot. Als musikalische Begleitung empfehlen wir „Pack’ die Badehose ein“ von Conny Froboess und „Er hat ein knallrotes Gummiboot“ von Wencke Myhre. Bon voyage!
Silvia Meixner ist Journalistin und Herausgeberin von http://www.good-stories.de