Roger Koeppel, Gastautor / 01.12.2009 / 21:17 / 0 / Seite ausdrucken

Das Gespenst Demokratie

Von Roger Koeppel

Die Muezzine der Mainstream-Medien waren sich in ihrem Entsetzen einig: Der Volksentscheid der Schweizer, Minarette per Verfassung zu verbieten, sei völkerrechtswidrig, unmoralisch und eines weltoffenen Landes unwürdig. Die Süddeutsche Zeitung sprach von einem “Kollateralschaden der direkten Demokratie”. So könne es eben kommen, argumentierte herrenreiterlich der Korrespondent, “wenn das Volk nicht nur über Turnhallen oder Transrapidbahnen abstimmt, sondern über alles”. Im “Spiegel” wie in der “Welt” wurde in seltener Einmütigkeit von einem Sieg der Angst gesprochen. Diffuses Unbehagen, vage Befürchtungen hätten zu einem “schockierend deutlichen Erfolg” von 57,5 Prozent Ja-Stimmen geführt. Die Schweizer, so wurden wir belehrt, hätten wider besseres Wissen für eine Annahme der umstrittenen Initiative gestimmt, da das Minarettverbot keine Probleme löse. Die bedauernswerten Schweizer, muss der Leser folgern, waren offenbar zu dumm, um die Implikationen ihres politischen Willens zu verstehen.

Ein Gespenst geht um: die Demokratie. Demokratie heißt Volksherrschaft, und es gehört zu den Berufsrisiken dieser Regierungsform, dass das Volk manchmal anders denkt und fühlt als seine Regierung und seine medialen Interpreten. Der Minarettentscheid vom letzten Wochenende kam auch für die Schweizer überraschend. Niemand hatte erwartet, dass die Initiative an den Urnen siegen würde. Die Umfrageinstitute lieferten über Wochen hinweg detaillierte Fehlprognosen. Das politische Establishment, eifrig unterstützt von allen großen Zeitungshäusern, orchestrierte eine gewaltige Einschüchterungskampagne. Die Schweiz, hieß es, würde sich ins Abseits manövrieren mit dem Kampf gegen die Minarette. Plakate wurden verboten. Man malte das Schreckgespenst arabischer Boykotte an die Wand. Doch die Drohungen verfingen nicht: Bis weit in linke und liberale Milieus hinein muss die islamkritische Initiative Anklang gefunden haben. Noch selten war der Abstand zwischen den Eliten und den gewöhnlichen Bürgern in der Schweiz so groß.

Die besorgten Kollegen liegen daher falsch: Das Abstimmungsresultat vom Wochenende war nicht Ausdruck von Angst, sondern von Mut. Eine Mehrheit der Schweizer hat sich gegen alle Bevormundungen die Freiheit herausgenommen, eine andere Meinung zu vertreten als die von den Politikern und Intellektuellen gewünschte. Ein krauses Demokratieverständnis liegt der Auffassung zugrunde, dass eine Abstimmung nur in einer Richtung zu verlaufen habe. Demokratie ist die Staatsform der Alternativen: Nur in Nordkorea oder Kuba dürfen die Leute, sofern sie überhaupt gefragt werden, einen Stimmzettel ausfüllen, auf dem sich keine Auswahl bietet.

Ebenso abwegig sind jetzt aber auch die Bedenken, die von europäischen Funktionären oder deutschen Journalisten ventiliert werden: Gerade die EU hat sich unter der Ambition ihrer Staatswerdung zu einem Instrument der Demokratieverhinderung entwickelt. Viele Brüsseler Institutionen sind auf der Grundlage eines soliden Misstrauens gegen die eigenen Bevölkerungen von oben nach unten errichtet worden. In der Schweiz ist es genau umgekehrt: Hier hat sich die Demokratie als Staatsform des institutionalisierten Misstrauens von unten nach oben verfestigt. Initiative und Referendum, elementare Volksrechte, sind das Damoklesschwert der Bürger gegen die politische Klasse. Was in deutschen Zeitungen als “Kollateralschaden” oder Ausfluss “diffuser Ängste” schlechtgeredet wird, sind die wesenhaften “checks and balances” eines der ältesten Rechtsstaaten der Welt.

Was immer an unterschiedlichen Motiven hineinspielte, der entscheidende Grund für das Abstimmungsresultat darf nicht übersehen werden: In der Schweiz herrscht große Skepsis gegenüber dem Islam und vor allem gegenüber dem Integrationswillen der schnell wachsenden muslimischen Minderheit, die innerhalb weniger Jahre auf rund 400 000 Personen anschwoll. Die Schweiz ist stolz auf ihre säkulare Tradition. Noch bis 1973 gab es ein Jesuitenverbot, da man hinter dem Orden katholischen Fanatismus und Illoyalität zum Vaterland vermutete. Es ist nachvollziehbar und vernünftig, dass die Schweizer hellhörig bis kritisch werden, wenn sie sich mit einer Religion konfrontiert sehen, die im Unterschied zum Christentum ihren weltlichen Herrschaftsanspruch noch immer geltend macht. Das Minarett wurde als Ausdruck des politischen Islam bekämpft und als Markierung, mit der sich die Muslime von der säkularen Schweizer Leitkultur Richtung Parallelgesellschaft abgrenzen wollen. Ungeachtet dessen: Die Ausübung ihrer Religion bleibt den Muslimen weiterhin unbenommen. Von einer Einschränkung der Glaubensfreiheit kann keine Rede sein.

Während sich die deutschen Meinungsführer ihren heiligen Zorn über den Schweizer Volksentscheid von der Seele schrieben, meldeten sich ihre Leser mit ganz anderen Voten zu Wort. In der “Bild”-Zeitung ergab eine Publikumsumfrage eine Zustimmung von 83 Prozent zum Schweizer Minarettverbot. Beim “Spiegel”, der den Volksentscheid als “bedauerlich” abqualifizierte, waren zwischenzeitlich rund 78 Prozent der Online-Leser gegen Minarette. Bereits laufen Versuche, den demokratisch ermittelten Volkswillen durch europäische Gerichtshöfe rückwirkend wieder umzubiegen. Dass solche Tendenzen in deutschen Medien unter dem Eindruck der Minarettabstimmung herbeigewünscht statt gegeißelt werden, stimmt nachdenklich. Der Islam ist eine problematische Religion, weil er die Trennung zwischen Kirche und Staat bis heute nicht zustande brachte. Indem sich eine Mehrheit der Schweizer gegen Minarette aussprach, legte sie ein beeindruckendes Votum ab für europäische Grundwerte.

C: R. Koeppel & FAZ, 1.12.09

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