Gastautor / 17.07.2013 / 22:44 / 1 / Seite ausdrucken

Alles mühelos zu ergoogeln

Marko Martin

Obwohl die Nachrichtenlage im Verbund mit dem sommerlichen Wetter zu massenhaften Demonstrationen geradezu herausfordern würde: Es sind ruhige Tage in Deutschland. Noch nicht einmal der Vorwahlkampf kitzelt jene Eigenschaft aus den Deutschen heraus, die mancher für genetisch bedingt hält – das antiamerikanische Ressentiment. Ist es trotz NSA-Skandal (Link: http://www.welt.de/118010964) und manch empörtem Politiker-Zwischenruf vielleicht doch nicht so automatisch abrufbar, wie man noch vor einem Jahrzehnt meinte?

Man erinnere sich: Die Vereinigten Staaten schickten sich an, im Irak eine der brutalsten Diktaturen der Welt hinwegzufegen, und ein Großteil Deutschlands war protestierend auf die Straße gegangen, flankiert von den üblichen Petitions-Intellektuellen. Wohlgemerkt: In jenem Frühjahr 2003 wusste man noch nicht, dass viele der präsentierten, den Einmarsch rechtfertigenden Dokumente frisiert waren – zur Empörung reichte bereits der Fakt, dass die Vereinigten Staaten kein reguläres UN-Mandat besaßen und ergo “Bush wieder Krieg machte”.

Dass Präsident Obama – entgegen linken Hoffnungen und rechten Verdächtigungen – jedoch ebenfalls kein Pazifist ist und die Drohneneinsätze seines Vorgängers sogar noch intensiviert hat, stört dagegen heute kaum. Gleiches gilt für die NSA-Snowden-Affäre und die doch recht schnoddrige Bemerkung aus dem Oval Office, von der Ausspähung wären schließlich ja nur Ausländer betroffen.

Der Beliebtheit Obamas tut jedoch selbst dies keinen Abbruch. Sieht man von dem üblichen Wahlkampfgeklingel ab, ist noch kein Oppositionspolitiker auf den Gedanken gekommen, die Bundeskanzlerin angesichts dieses Geschehens schwer anzugehen. Jedenfalls scheint weit und breit keiner gewillt, Gerhard Schröders berühmt-berüchtigte “Goslarer Marktplatzrede” von 2005 zu kopieren.

Die gängige Erklärung für das überraschende Ausbleiben medial inszenierter Entrüstung rekurriert darauf, dass Spionage-Attacken nicht “ins Bild” des hierzulande nach wie vor als quasi linksliberal wahrgenommenen (und dazu habituell ironischen und physisch attraktiven) US-Präsidenten passen und deshalb geflissentlich verdrängt würden.

Was aber, wenn es für die schweigende Öffentlichkeit sehr wohl “ins Bild passt” und man dem stets aufgeräumt-locker wirkenden Obama unausgesprochen konzediert, er als akademisch sozialisierter Nicht-Hysteriker wüsste wahrscheinlich schon ganz gut, wann es an der Zeit sei, “tough” zu sein und den “bad guy” zu markieren? Mit Recht ließe sich eine solch harmonisierende Weltsicht als verkitscht und folglich auch naiv-gefährlich geißeln. Andererseits: Was wäre so schlimm daran, wenn sich die deutsche Öffentlichkeit in diesem Sommer eine Auszeit vom gängigen Untergangswahn gönnt?

In routinierter Skepsis ergraute Linke brächte diese Frage allein schon auf die Barrikaden. Sie sind schnell bereit, die “repressive Toleranz” des Westens zu geißeln, ebenso wie sie bereits vor Jahrzehnten die Volkszählung als protofaschistisch deklariert hatten.

Nun aber besitzt diese Generation seit Langem nicht mehr das Meinungsmonopol, und deren Kinder und Enkel – aufgewachsen ohne den vermeintlich schützenden Rahmen abgeschlossener Telefonzellen – präsentieren nicht nur in ihren öffentlich geführten Handygesprächen und Facebook-Postings ein anderes Verständnis von Privatheit und gesellschaftlicher Kommunikation: Wenn du mich googelst, was geht’s mich an?

Auch hier ließe sich trefflich klagen, dass derlei Spielfreude kindisch blind ist gegenüber den lauernden Gefahren der Vermassung und Observation. Freilich müsste die Kritik dann auch in Rechnung stellen, dass solch nonchalanter Umgang mit privaten Daten und Informationen lediglich die Kehrseite einstiger Paranoia ist, in welcher grün-fundamentale Technikfeindlichkeit mit einem beständigen Unter-Verdacht-Setzen des demokratischen Verfassungsstaates Hand in Hand gegangen war. Der einstigen Hyper-Erregtheit folgt nun die mehr oder minder fröhliche Ermattung – was mentalitätsgeschichtlich nun weiß Gott kein Novum ist.

Der bislang eher mechanische Pendelschlag bietet jedoch auch eine Chance: ein unaufgeregtes Gespräch über das natürliche Spannungsverhältnis zwischen transparenter Gesellschaft und Staatsorganen, denen schließlich auch der robuste Schutz dieser Art Zusammenlebens anvertraut ist. Zu fragen wäre nämlich, ob Big Brother tatsächlich in Washington lebt oder nicht doch eher in Peking, ganz zu schweigen von all den Gotteskrieger-Brüdern, die als Schläfer in den westlichen Demokratien geparkt sind, um Massenmorde ins Werk zu setzen.

Allerdings dürfte bei solchen Überlegungen dann auch nicht das rational ausbalancierte, gesunde Misstrauen gegenüber den eigenen Institutionen und deren Hang zur Hybris fehlen. Um ein Bild aus der digitalen Welt zu verwenden: Hier gehören vielerlei Aspekte angeklickt und verlinkt. Schon allein die Möglichkeit zu diesem Tun sollte uns davor bewahren, in eine larmoyante Defensiv-Gestimmtheit zu verfallen. Denn nicht nur “sie”, sondern auch “wir” verfügen über Daten und sind potenzielle Spitzel und Voyeure.

Wer einmal die Erfahrung gemacht hat, wie auf Facebook Freunde von Freunden einander auf die Pelle rücken, kann zweierlei tun: entweder kulturpessimistisch über unser aller Hang zum Kleinen Diktator grummeln – oder stattdessen eine Reflexion darüber beginnen, wie sich Privatheit im 21. Jahrhundert buchstabiert, welche Informationspreisgabe harmloser Balkon-Bepflanzung oder dem guten alten Kneipengespräch entspricht und welche Details altmodisch am besten “im eignen Busen verwahrt” bleiben.

Im Übrigen: Ein Tun jenseits von Facebook ist noch keine Garantie für moralische Unbedenklichkeit. Trafen wir doch vorletzte Woche – um diesen Text nun ebenfalls mit ein wenig Geheimnisverrat zu garnieren – in einem Klub einen jungen Mittelamerikaner, der mit uns allerlei Cocktails teilte, dann jedoch bei meiner mitternächtlichen Facebook-Adressen-Anfrage verschreckt reagierte: Mama habe es verboten. Merkwürdig nur, dass der Sprössling in gelöster Stimmung überall herumerzählt, wer sein pockennarbiger Onkel sei, über den einst die USA ebenfalls so manches Dossier geführt hatten, ehe sie schließlich sogar eine veritable Invasion starteten. Was ist.

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

James Taylor / 19.07.2013

Sie schrieben: “Zu fragen wäre nämlich, ob Big Brother tatsächlich in Washington lebt oder nicht doch eher in Peking, ganz zu schweigen von all den Gotteskrieger-Brüdern, die als Schläfer in den westlichen Demokratien geparkt sind, um Massenmorde ins Werk zu setzen.” Mit Verlaub, Sie haben eine sehr merkwürdige Art in drei Zeilen eine recht komplexe Struktur der unterschiedlichsten Dinge zusammenzufassen. Jede Macht der Welt, ob die nun in Beijing, Washington oder Moskau, vielleicht sogar am Ende der Welt sitzt, spioniert alle anderen aus. Das ist nicht neu, das ist langweilig. Die Frage ist doch, ob den Chinesen, Russen und den Dingsda auch die Referenzdatein der Firmen Facebook, Google, Apple, Yahoo, etc. zur Verfügung stehen. Wetten wir, dass der NSA-Analyst, der für den Anfangsbuchstaben Ihres Namens zuständig wäre, herausfinden könnte, wann Sie was essen? Es geht doch gar nicht darum, dass wir alle abgehört werden, das ist Schnee von gestern, es geht darum, welche anderen Dateien es gibt und ob man die miteinander verknüpfen kann. Sie haben die Dimension dessen, was die NSA kann, überhaupt noch nicht erfasst. Zu Ihrem Bild von Gotteskriegern, die als Schläfer zwischen uns wandeln, mag ich mich als Mensch, der gegen diese Leute (physikalisch) gekämpft hat, nicht äußern, weil ich das auf deutsch nicht hinbekommen würde, nicht weil mir dazu die Worte fehlen, sondern weil das von Ihnen benutzte Bild derart neben der Spur ist. Einen Gotteskrieger zu finden, ist nicht das Problem, ganz im Gegenteil. Ihm dann aber eine Straftat nachzuweisen, die vor einem Gericht Bestand hat, ist schwer. Vor Schläfern wird dann gewarnt, wenn das eine Ein-Mann-Armee ist, die ohne jede Vorbereitung und ohne jeden Support direkt tätig wird. Das kommt nur selten vor und ist kaum zu verhindern, nicht einmal von der NSA.

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Gastautor / 13.06.2024 / 16:00 / 17

Antijüdische Hetze in palästinensischen Schulbüchern

Von Dr. Arnon Groiss  Palästinensische Schulbücher sind gefüllt mit israelfeindlicher Propaganda – von Frieden keine Spur. Die von der Palästinensischen Autonomiebehörde (PA) herausgegebenen Schulbücher sind…/ mehr

Gastautor / 13.06.2024 / 14:00 / 36

Befreie uns von unserer Schuld – und den Rechten

Von Klaus-Erich Strohschön. Der brasilianisch-deutsche Politikberater Robert Willacker hielt bei den Wiener Festwochen eine verblüffende Rede, die rational erklärt, worum es bei "gegen rechts" eigentlich…/ mehr

Gastautor / 09.06.2024 / 20:00 / 0

Wer hat’s gesagt? (Auflösung)

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Gastautor / 09.06.2024 / 09:00 / 19

Wer hat’s gesagt? Glauben Sie keinen Gerüchten, sondern nur den offiziellen Mitteilungen.

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Gastautor / 08.06.2024 / 10:00 / 52

Über die Probleme reden? Lieber nicht.

Von Klaus-Erich Strohschön. Ein ernsthafter, öffentlicher Diskurs über die dramatischen Veränderungen in unserem Land findet nicht mehr statt. Weder in der Politik, noch in den…/ mehr

Gastautor / 02.06.2024 / 20:00 / 0

Wer hat’s gesagt? (Auflösung)

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Gastautor / 02.06.2024 / 09:00 / 11

Wer hat’s gesagt? Nichts ist schwerer, als zum Zeitgeist laut „Nein“ zu sagen

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Gastautor / 26.05.2024 / 20:00 / 0

Wer hat’s gesagt? (Auflösung)

Von Klaus Kadir. Unter dem Titel „Wer hat’s gesagt?“ konfrontieren wir Sie am Sonntagmorgen mit einem prägnanten Zitat – und Sie dürfen raten, von wem…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com