Von Philipp Lengsfeld.
Eigentlich sind alle die Affäre um den Berliner Bau-Staatsekretär Andrej Holm leid. Denn der Rücktritt, respektive die Entlassung hätte schon längst vollzogen sein müssen. Ein linker Staatssekretär der sich mit 46 Jahren auf Erinnerungslücken beruft, wenn er nach den Details seiner beginnenden Stasioffizierskarriere gefragt wird, ist schlicht untragbar, wie beispielsweise hier auf der Achse des Guten oder hier im Tagesspiegel geschildert.
Eigentlich ist also alles klar. Eigentlich, denn die Linke und andere Unterstützer von Andrej Holm graben sich ein. Sie führen immer wieder ins Feld, wie wichtig und wertvoll die fachliche Arbeit von Andrej Holm für die Stadt wäre. Doch da ist noch was. Ich möchte hier an die „Tauflisten-Denunziations-Affäre" erinnern. Sie datiert auf den Dezember des Jahres 2014 und ist damit gerade mal zwei Jahre her. Vielleicht kann sich der Staatssekretär ja wenigstens daran erinnern.
Damals schwappte eine hohe Welle zu Holms Kernthema durch die Medien. Es ging um die sogenannte Gentrifizierung in Berlin. Und sie wurde auf einer sehr persönlichen und eigentlich durch die Privatsphäre geschützten Ebene ausgetragen. Auf facebook wurde eine kirchliche Taufliste aus der Fusionsgemeinde am Weinberg (Berlin-Mitte) veröffentlicht. Unter der Parole „die Namen der Gentrifizierung" wurden frisch getaufte Babies und Kleinkinder aus der Gemeinde am Weinberg für eine politische Kampagne ins Licht der Öffentlichkeit gezerrt. Zwei prominente Beispiele dieser Medienwelle seien hier als Beleg dokumentiert. Ein Artikel bei SPON ( "So heißt also die Gentrifizierung" ) und einer im Tagesspiegel.
Die entfachte Debatte basierte auf der im Gemeindeblatt ‚Kirchenfenster’ veröffentlichten Taufliste der Gemeinde am Weinberg, einer Fusionsgemeinde von mehreren evangelischen Kirchgemeinden in Mitte und dem südlichen Prenzlauer Berg rund um den namensgebenden Weinberg. Im Tagesspiegel hieß es dazu:
"Hinz oder Kunz heißt dort keiner, statt dessen findet man sogar einige Nachnamen, die von adliger Herkunft zeugen, und auch bei den Vornamen ist ein Wille zum Erlesenen nicht ganz von der Hand zu weisen: Ada Mai Helene, Frederick Theodor Heinrich, Leonore Anna Maria Chiara oder auch Rufus Oliver Friedrich – das klingt schon nach was, soll es sicher auch, dagegen ist wenig einzuwenden. Manch einer tut dies dennoch – und kommt zu weitreichenden Schlüssen: „So heißt also die Gentrifizierung!“, lautete einer der vielen Kommentare zur Liste, in einem anderen wurde „das Comeback alter Adelsgeschlechter in Berlin-Mitte“ beschworen..."
Ich bin CDU-Bundestagsabgeordneter für Mitte, die Gemeinde am Weinberg liegt in meinem Wahlkreis. Aber ich bin auch Vater von zwei getauften Kindern, ich wusste auch persönlich ganz genau, welche Ressentiments hier mit welchen Mitteln geschürt wurden. Dass die Medien-Berichterstattung überhaupt ein solches Ausmass annehmen konnte, lag aber nicht nur an der facebook-Veröffentlichung, sondern auch an diesem Webblog-Eintrag (veröffentlicht am 23. Dezember 2014) des – Sie erraten es – jetzigen Staatssekretärs Andrej Holm. Ein vergiftetes Weihnachtsgeschenk des linken Holm (veröffentlicht am 23. Dezember 2014) in dem es unter anderem heißt:
"Die Taufliste der Evangelischen Gemeinde am Weinbergsweg (an der Schnittstelle von Mitte und Prenzlauer Berg) liest sich wie eine Mischung aus FDP-Wahlliste für das Europaparlament und dem Verzeichnis der höheren Beamten des Diplomatischen Dienstes. Der Wortsinn der Gentrification – der ja auf die Wiederkehr des niederen Landadels (der Gentry) in den Städten anspielt – bekommt hier jedenfalls einen unerwarteten Realitätsgehalt."
Außerdem versuchte der Aktivist und Stadtentwicklungsforscher Holm der Angelegenheit durch einen Vergleich 2007 zu 2014 eine Anmutung von Wissenschaftlichkeit zu geben. Mit geht es nicht um die angesprochenen Probleme der Stadtentwicklung – hier teile ich tendenziell manche Einschätzung von Holm, mir geht es auch nicht darum, dass das sehr fragwürdige Vorgehen vermutlich knapp unterhalb eines Rechtsbruchs liegt.
Mir geht es um die politische Einschätzung dieser Aktion. Und die ist für mich eindeutig. Und die habe ich als MdB schon 2014 klar und unmissverständlich formuliert. Und dies ohne dass ich ahnen konnte, dass Dr. Holm mal Berliner Staatssekretär der Linken werden könnte – ich kenne Andrej Holm nicht persönlich, obwohl wir fast der gleiche Ostberliner Jahrgang sind. Mein Statement von damals habe ich ‚nur’ im Onlineforum des Tagesspiegel veröffentlicht, es ist immer noch unter dem oben dokumentierten Artikel zu finden.
Ich schrieb unter der Überschrift "Denunziation":
"Ich finde es sehr schade, dass in Ihrem Artikel keine Kritik an der Aktion an sich vorkommt. Dies liefere ich aber gerne nach: Ich finde die Veröffentlichung von vollständigen Babynamen im Internet an sich sehr fragwürdig. Gerade in linken Kreisen sollten man mit personenbezogenen Daten vorsichtiger umgehen, zumindest wenn man ständig in das Überwachungshorn stößt. Aber offenbar rechtfertigt der Kampf alle Mittel? Natürlich ist ein Gemeindeblatt auch eine Veröffentlichung, aber die Weiterverbreitung im Netz und der darauf gesetzte, ja auch sehr wirkungsvolle mediale Spin und auch die pseudowissenschaftliche Bearbeitung von Dr. A. Holm sind für mich vor allem eines: Denunziation..."
Mein Urteil war hart, aber ich stehe dazu. Denn im Kern wird hier eine der intimsten und privatesten Entscheidungen, nämlich die Benennung des eigenen Kindes, nicht nur pseudowissenschaftlich analysiert, sondern politisch skandalisiert und durch Dokumentation der Gesamtliste und ihres Ursprungs auch für jeden mit nur sehr geringer Mühe nachvollziehbar dokumentiert. Doch es handelt sich nicht um abstrakte politische Gegner, sondern um echte Kinder, echte Eltern, echte Familien und eine echte christliche Gemeinde.
Und darum wiederhole ich auch heute: Es handelte sich bei der ganzen Sache schlicht und einfach um eine Denunziation. Die damals verwendeten Mittel mögen für einen für seine Radikalität berüchtigten Aktivisten und Sozialforscher normal oder in Ordnung sein. Das Bild des Staatssekretärs Holm runden sie ab. Zeit für Entscheidungen.
Philipp Lengsfeld wuchs in Ostberlin im Umfeld der Bürgerbewegung auf. In seinen gut 15 Jahren ehrenamtlicher kommunalpolitischer Arbeit in Prenzlauer Berg/Pankow (1995-2011) war er regelmäßig mit Gentrifizierungsdiskussionen konfrontiert. Er ist CDU-Bundestagsabgeordneter für Berlin-Mitte.