Am 1. April, erlag Cynthia Lennon im Alter von 75 ihrem Krebsleiden. Mir hatte sie immer ein wenig Leid getan, weil sie von John geschieden wurde, ehe die Beatles so richtig berühmt wurden und weil sie im Schatten von Yoko Ono stand. Einmal war sie nach Hamburg gereist, um da in der Einkaufsmeile ein popeliges John-Lennon-Denkmal zu enthüllen – irgendwie traurig und peinlich.
Und doch: Ich habe mich ihr immer seltsam verbunden gefühlt. Cynthia gehörte zu den Fabelwesen meiner Kindheit. Ich war vielleicht zehn oder zwölf Jahre alt, als ich von den merkwürdigen Beatles und dem nicht ganz jugendfreien Hokuspokus, den sie veranstalteten, hörte und ich mit dem Weltknoten der erwachenden Sexualität irgendwie alleine fertig werden musste. Die Musik gab mir dazu wertvolle Hinweise. Hinweise, die ich natürlich nicht verstand. Das musste auch so sein. Ich verstand sowieso nicht, was da vor sich ging.
Cynthia gehörte zu den Zaubernamen, denen ich erlegen war, als der Diercke Weltatlas noch einen goldenen Strich in seinem braunen Einband hatte. Damit führte er uns auf Traumreisen in die unerreichbaren El Dorados der Welt der Großen, bis nach Kuala Lumpur, nach Yokohama, zum Popocatépetl und zum Titicacasee. So eine Verlockung hatte auch der Name Cynthia. Der Zauber lag im unaussprechlichen th und im y – aber nicht allein da.
Vielleicht ahnt man, wenn man selber noch ABC-Schütze ist, dass die Buchstaben X und Y weit von einem entfernt sind, so weit, dass sie einem immer ein bisschen fremd bleiben werden. Hat man doch gerade erst mit dem A, dem B und dem C angefangen. Wer A sagt, muss auch B sagen, das weiß jeder, mit dem ABC fangen wir an, alle, A B C, die Katze lief im Schnee. Aber bis zum X und bis zum Y kommt nur selten jemand durch. Es gibt auch kaum Worte, die mit X oder Y anfangen, x und y sind meistens klein geschrieben. Es sind die beiden Restbuchstaben für die Kleinen, sie werden im Alphabet kurz vor Schluss in einem Atemzug genannt, um sie auch noch zu erwähnen.
Alle Namen mit einem x oder einem y sind von einem geheimnisvollen Glanz umgeben: Rex Gildo, Ralf Bendix, Lex Barker ... das waren Namen von Helden, die vermutlich alle mit einem unerschwinglich teurem Taxi reisten, das damals noch rundherum schwarz war und manchmal sogar bis nach Texas fuhr. Die X-Welt und die XX-L-Welt war sowieso viel zu kostbar und viel zu groß für Kinder. Was gab es da nicht alles mit einem x und mit einem y: wertvolle Bilder von Fix und Foxi und das gute Blendax für die Gesundheit und den Glanz auf dem Lachen. Außerdem gab es – aber das war nur für die Mutter – die Seife Lux; es gab den Podex, den Tyrannosaurus Rex, das DC-fix, Placentubex C und das hochgefährliche Dynamit. Alles hatte ein echtes x oder ein echtes y. Da, wo ich nicht war, da wurden Extrawürste gebraten, vielleicht nur aus Jux und Tollerei, aber mit x oder y.
Achten Sie mal auf das bedeutungsvolle y in Willy Brandt. Das war kein einfacher Willi, wie unser Onkel Willi aus der buckligen Verwandtschaft in Lübeck mit seinem grauen Hut und einem einfachen i. Da gab es noch ein richtiges y. Wie in Kennedy, Lee Harvey Oswald und wie in Jack Ruby. Oder wie in Armin Harry, Freddy, Buddy Holly, Bully Buhlan, Bill Ramsey, Tom Dooley oder Fury, Hollywood-Schaukel, Cary Grant, Roy Black oder Dynamo.
Meist waren es die Frauen, die einen geheimen Draht zu dem mysteriösen y hatten, wie Peggy March, Wencke Myrrhe oder Vicky Leandros. Selbst Lydia oder Sybille hatten von ganz alleine ein natürliches y. Jungs nicht. Jungs müssen das erst künstlich hinzufügen, mit einem ausgedachten Spitznamen wie Johnny oder Jimmy. Frauen haben das sowieso. Ohne Absicht.
Und so hieß die Traumfrau meiner Kinderzeit – lachen Sie mich jetzt bitte nicht aus – Cynthia, wirklich wahr, Cynthia; denn ich hatte gehört, dass so die Ehefrau von John Lennon hieß, obwohl das geheim gehalten werden sollte, um die Karriere der Beatles nicht zu gefährden. Ich wusste es trotzdem. Ich hatte Zugang zu Geheimwissen. Ich kannte Worte, die vielleicht ein Sesam-öffne-dich waren. Ich verstand sie nicht, konnte sie mir aber auf der Zunge zergehen lassen wie ein Drops, bei dem ich den Nachgeschmack so lange wie möglich behalten wollte: Cynthia, Cynthia, Cynthia – mit einem waschechten y, wie in Nylonstrümpfen, Lycra Strumpfhosen und wie in diesem strengen, womöglich verbotenem Wort „Hygieneartikel“.
Und in dem Zauberwort – jetzt genau aufpassen, bitte! – in dem Zauberwort „sexy“ ist ein x und ein y gleichzeitig enthalten wie sonst nur im Tyrannosaurus Rex und im Hazy Osterwald Sextett.
Das war alles sehr, sehr mysteriös.