Gunnar Heinsohn / 13.05.2015 / 07:00 / 5 / Seite ausdrucken

Wieviel Zuwanderer kann Europa aufnehmen?

Für die Frage nach der Zuwanderunghs-Aufnahmekapazität Europas bis 2050 gibt es ein paar Annäherungspunkte. Knapp 1,1 Mill Zuwanderer überschreiten im Jahre 2012 und gut 1,2 Millionen im Jahre 2013 die Grenzen der Bundesrepublik (82 Mill. Einwohner). Sie haben ihre Migration unabhängig von den gleichzeitig aus Deutschland Abgewanderten (0,7 bzw. 0,8 Mill.)  geplant. ‚Gerecht‘ umgelegt auf die EU mit ihren 507 Millionen Einwohnern und projiziert in die Zukunft würden jährlich etwa 7 Millionen, in 35 Jahren also rund 250 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge in die Europäische Union (EU) kommen können. Für die rund 950 Millionen Menschen, die 2050 (nach 550 Mio. heute) aus Afrika (2,4 nach heute 1,2 Milliarden Einwohnern) und dem übrigen arabischen Raum (300 nach heute 145 Millionen) entkommen wollen, soweit bei den erfragten Prozentsätzen des viel friedlicheren Jahres 2009 bleibt, wäre das ein beträchtliches, wenn auch bei weitem nicht ausreichendes Angebot.

Darauf jedoch, dass auch ‚nur‘ jene 250 Millionen Plätze im Angebot bleiben, kann sich niemand verlassen. Genauer lässt sich ermitteln, wie viele Neuankömmlinge die EU bis 2050 nur allzu gerne nehmen würde. Jährlich fehlen (bei 1,5 Kindern pro EU-Frau) gut 2,1 Millionen Neugeborene, die es bräuchte, um die Bevölkerung stabil zu halten und das Anwachsen des Durchschnittsalters zu stoppen. Rund 75 Millionen Zuzügler (wenn die dann ihrerseits pro Paar zwei Kinder aufziehen) sind allein von daher geboten. Im selben Zeitraum suchen allein die drei Kompetenzfestungen Australien, Kanada und Neuseeland rund 25 Millionen hochqualifizierte Neubürger. Einmal angenommen, dass die alle aus der EU kämen, bräuchte man bis 2050 in der EU schon 100 Millionen Zuzügler.

Für die prognostizierten 950 Millionen Wanderungswilligen sind 100 Millionen Angebote zwar kein Nullum, aber doch nur noch ein Tropfen auf den heißen Stein. Gleichwohl ist nicht ausgemacht, ob man wenigstens um 100 Millionen aktiv werben wird. Falls auch in Europa Kompetenzfestungen entstehen – England will wegen der Abgabe so vieler Spezialisten an die Ex-Kolonien eine werden – wird bei der Zuwanderung zunehmend nicht nach Wunsch oder Not, sondern nach Können entschieden. Denn alle EU-Länder haben bereits mehr Un- oder Angelernte, als vermittelt werden können. Diese Gruppe wird aufgrund biologischer Vermehrung und steigender Anforderungen weiter anwachsen. Für eine menschenwürdige und oftmals lebenslängliche Finanzierung dieser Bedauernswerten benötigt man zahllose neue Versorger, nicht aber zusätzliche Hilfebezieher.

Ein Kompetenzfilter verringert zwar nicht den Bedarf, schließt aber alle aus, deren Qualifikationsprofil dem Anforderungsprofil nicht entspricht. Die 950 Millionen wissen mithin, dass sie ihre Schularbeiten machen müssen, wenn wenigstens jeder Zehnte von ihnen eine Chance haben soll. Wer jetzt den Weg über die Boote sucht, hat schließlich schon daheim den Ansprüchen nicht genügt. Auch auf den ungemein genauen Radarschirmen internationaler Talentjäger (INFOR, CEB TALENT, iCIMS etc.) hat er keinen Lichtpunkt erzeugt.

Die Möglichkeit, dass beträchtliche Fähigkeiten wegen schlechter oder zu teurer afrikanischer Schulen brachliegen, in Europa aber schnell zum Vorschein kämen, ist nicht auszuschließen, wird aber immer weniger überzeugen können. Durch E-Learning kommen schon jetzt die besten Lehrer der Welt kostenlos auf die Smartphones, die auch in Afrikas abgelegenen Dörfern nicht fehlen. Wer dort dann die Anforderungen schafft, muss sich darauf verlassen können, dass bei der Entscheidung über seine Ansiedlung in Europa der Rassismus verschwunden ist, Religion oder Hautfarbe mithin keine Rolle mehr spielen. Er muss aber auch zur Kenntnis nehmen, dass sich in Pakistan und Bangladesch oder in Indien und Indonesien viele Millionen ernstzunehmende Konkurrenten auf dieselben Lebenswege vorbereiten. Die allermeisten müssen mithin daheim eine Balance zwischen Ambitionen und Positionen herbeiführen. Bei Kriegsindex-Werten zwischen 3 und 7 (auf 100 Alte folgen nicht 70 oder 80 Pazifisten wie in D bzw. A/CH, sondern 300 bis 700 wütende Jünglinge) wird die Menschheit immer wieder aufatmen, wenn das gewaltfrei gelingt.

Gunnar Heinsohn (*1943) lehrt Militärdemographie am NATO Defense College (NDC/Rom) und an der Bundesakademie für Sicherheitspolitik (BAK/Berlin).

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Leserpost

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Lambert Matthes / 15.05.2015

Sehr geehrter Herr Heinsohn, auch wenn ich Ihre Beiträge sonst sehr schätze, erstaunt mich der obige Text sehr. Spielen Sie eigentlich bei Ihren strategischen NATO-/Bundeswehr-Spielen auch Bürgerkriegsszenarien durch? Ich fürchte schon, Sie deuten das in Ihrem letzten Satz an, brechen dann aber erstaunlicherweise ab, wie Sie auch überhaupt dem Willen der aufzunehmenden Gesellschaft recht wenig Platz widmen. Außer dem scheinbar unvermeidlichen und falsch benutzten “Rassismus”, den man sehr wohl korrekt als Selbsterhaltungstrieb bezeichnen kann, frei nach Eibl-Eibesfeldt. Und noch eine Frage, warum wird “das Stabil-Halten-der-Bevölkerung” dermaßen, auch von Ihnen, zum Fetisch erklärt? Es geht mir nicht um ein abruptes(!) Absinken, aber Schwankungen in der Bevölkerungszahl sind etwas Normales und historisch belegt. Die bereits unglaublich hohe Bevölkerungsdichte im heutigen DE (226 M./qkm) wurde auch nicht ‘organisch’ erreicht, sondern aufgrund der ‘künstlichen’ Tatsache, dass die rund 14 Mio. Vertriebene aus dem historischen Ostdeutschland (und anderen Gebieten im Osten) nach 1945 aufgenommen werden mussten.

Wolfgang Behr / 14.05.2015

Die ehrliche Frage ist doch ,wieviel Zuwanderer w i l l Europa aufnehmen. Darauf muß baldigst eine Antwort gefunden werden. Sonst wird es wirklich eine Einwanderung.

Martin Lahnstein / 13.05.2015

Noch bevor wir uns auf eine Zahl einigen, sei diese Zahl 1000 oder 1.000.000: Was tun mit dem Eintausend-und-ersten oder dem Eine-million-und-ersten?

Wolfgang Schlage / 13.05.2015

Diesen Artikel habe ich schlichtweg nicht verstanden. Der Tonfall ist ja wirklich dramatisch, das muss ich zugeben, aber was uns der Autor sagen will - ein Rätsel.

Helfried Richter / 13.05.2015

Viele Zahlen, einiger Optimismus. Fragen bleiben: Wer hat postuliert, dass die Bevölkerungszahl nicht abnehmen darf? Politik (Rentenkassenwarte, Schuldenmacher?), Wirtschaft, Sozialindustrie…? Darauf aufbauend, sind zukünftige Generationen wegen geringerer Bevölkerungsdichte per se unglücklicher? Besonders absurd sind diesbezüglich die diametralen Argumentationsmuster der Grünen: Einerseits betrachten sie Menschen als Verursacher alles Bösen (Ressourcenverbrauch), andererseits möchten sie Europa mit Ausländern fluten. Ideologie für Schizophrene.

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