Vor 13 Jahren traf ich für einen „Stern“-Artikel über Naturschutzkapriolen einen Falkner. Er hatte den Auftrag, Saatkrähen in Bad Oldesloe zu vergrämen, die es sich in den Bäumen des Kurparks der ostholsteinischen Kleinstadt kommod gemacht hatten. Die Vögel begannen damals, vor allem Kleinstädte zu erobern, sie zu beschallen und nach Kräften voll zu kacken. An lauschigen Plätzen wie Oldesloe fühlen sich die Krächzer besonders wohl. Da sie sommers, wenn Menschen gerne bei offenem Fenster schlafen, mit dem allerersten Licht zu krakeelen beginnen, sind sie nicht wirklich populär. Frischluftfreunde wünschen ihnen die Vogelgrippe an den Hals. Wahlweise eine Ladung Schrot.
Doch stehen Saatkrähen unter Naturschutz. Warum eigentlich? Es gibt allein in meiner engeren Heimatregion enorme Populationen, und die werden immer größer. Würde man in einer geplagten Stadt nur ein paar Krähen aus den Bäumen schießen und zur Abschreckung der anderen an die Zweige hängen (in Südschweden vergrämen rüde Bauern die Rabenvögel auf diese Art), müsste sich das nicht krähenseitig rumsprechen? Die Krähen würden den Wink vielleicht verstehen und sich verziehen? Schließlich handelt es sich, heißt es, um äußerst schlaue Viecher.
Aber mein Falkner hatte von den städtischen Behörden ja keine Lizenz zum Töten bekommen. Sondern nur eine zum Vergrämen. Das sah dann so aus: der Mann streifte mit seinem Falken (oder war es ein Uhu?) in grauer Frühe durch den Park. Sobald der Beutegreifer Krähen ausgemacht hatte, schoss er mit Verve in deren Richtung. Kurz vor dem Kill jedoch riss ihn sein Halter zurück (der Falke war lang angeleint), damit es für die Krähen beim bloßen Schrecken blieb. Was ich damals irgendwie falkenfeindlich fand, weil der Vogel ja an der Auslebung seines Raubtriebes gehindert wurde. Wäre er ein Mensch gewesen, er hätte psychologisch betreut werden müssen.
Selbstverständlich brachte die ganze Aktion nichts, denn Krähen sind wohl tatsächlich sehr clever. Diese jedenfalls tickten schnell, dass ihnen keine Gefahr drohte. Sie blieben in Oldesloe. Und wenn sie nicht gestorben sind, krähen sie dort noch heute. Oder sind nach Otterndorf weitergezogen. Das ist eine hübsche Kleinstadt an der Unterelbe.
Deren Einwohner klagen ebenfalls seit Jahren über eine Krähenplage. Im Touristengebiet an der Elbe durften die Krähennester dank einer Ausnahmegenehmigung entfernt werden. Da ist jetzt mal Ruhe. Doch von den alten Bäumen im Amtsgerichtsgarten krächzt und kackt es weiter. Ein Kunstwerk im Park sieht nun aus wie von Christo in Schutzfolie verpackt und auf den Parkbänken mag niemand mehr Platz nehmen. Weshalb der Otterndorfer Bauausschuss die Psychologin Uta Maria Jürgens und den Psychologieprofessor Holger Höge einlud, ein Lösungskonzept für das Problem vorzustellen. Das taten die beiden neulich. Ihr Projekt würde 20 000 Euro kosten.
Nun werden Sie fragen: Was könnten denn Leute, die nix Gescheites gelernt haben, gegen schlaue Krähen unternehmen? Nichts, natürlich. Wollen die Psychologen auch gar nicht. Wie die „Niederelbe-Zeitung“ unter der Schlagzeile „Auf Krähen-Kuschelkurs?“ berichtet, würden mit den 20 000 Euro „konfliktminimierende Maßnahmen zur Akzeptanzbildung“ in der Bevölkerung durchgeführt. Was zuvörderst bedeutet, dass die Krähe als solche einen Image-Relaunch erfahren muss. Krähenexpertin Uta, die in ihrem Heimatort schon einen „familiengerechten Krähenlehrpfad mit Info-Tafeln und der Sympathiefigur Saatkrähe Gerda“ eingerichtet hat, rühmt den bürgerlichen Wertekanon der Krähenzivilgesellschaft:
Die Krähe lebe treu in Einehe, sei fleißig, halte ihr Nest sauber und sei so intelligent, dass sie von Verhaltensforschern als „gefiederter Affe“ bezeichnet werden. Gerda sei ein „menschenähnliches Wesen“ und eine „gute Mitbürgerin“, das wurde in der Krähenakzeptanz-Anhörung dick unterstrichen.
Also, es geht in Otterndorf keinesfalls darum, ungeliebten Krähen den Marsch zu blasen. Vielmehr ist das Ziel, eine etwas in Verschiss geratene Randgruppe emotional aufzuwerten. Der Krähen vermeintlicher Nachteil muss in einen Vorteil verkehrt werden. Die Krähe als Attraktion! If you can’t beat them, join them! Touristische Führungen ins Krähengebiet, Webcams in Krähennestern und eine angedachte „Ausbildung zum Krähen-Ranger“ sollen die Stimmung der Otterndorfer Krähenhasser drehen helfen.
Dass dieses Unternehmung nicht ganz einfach ist, wissen natürlich auch die Uta und der famose Professor Holger (betreibt u.a. „Psychologische Museologie: Evaluation und Besucherstudien von Bildungseinrichtungen (z. B. Museen), Forschungen zum informellen Lernen, zur Zeitorientierung und zu Fragen der Identität (personal, kulturell, räumlich, national, etc.)“ an der Oldenburger Carl von Ossietzky-Universität. Falls der Krähen-Kuschelkurs nicht sofort einschlägt: könnte es sein, dass noch eine zweite 20 000-Euro-Akzeptanz-Maßnahme fällig würde, um die verstockten Bürger Otterndorfs mit der fleißigen Gerda zu versöhnen? Oder eine dritte?
Egal. Wer schaut schon aufs schnöde Geld, wenn es um ein großes Ziel geht: Mensch und Krähe, vereint in gegenseitiger Akzeptanz.