Michael Wolffsohn, Gastautor / 15.01.2017 / 15:09 / Foto: Polylerus / 2 / Seite ausdrucken

Trump, die Juden und Nahost

Von Michael Wolffsohn.

Im Jahr 2008 wurde der Messias von den Massen gefeiert. Sein Name: Barack Obama. Nun wird gefeuert: auf seinen Nachfolger Donald Trump. »Trump wie Teufel«. So klingt es zumindest in Westeuropa fast unisono. Das eine war so bauchgedacht und wenig reflektiert wie das andere.

Noch absurder: Die damaligen Obama-Huldigungen, einschließlich Friedensnobelpreis, wurden ebenso als Vorschuss erbracht wie die heutigen Trump-Verdammnisse. Um zu erkennen, wie inakzeptabel jedwede Vorabverurteilung oder Vorabbeurteilung ist, stelle man sich Richter vor, die ihr rechtskräftiges Urteil vor dem Rechtsverfahren fällen.

MESSIAS? Heute wissen wir: Der wirklich hochintelligente und hochsympathische Hoffnungsträger Barack Obama war alles andere als ein Messias. Seine Bilanz, wenn überhaupt positiv, ist insbesondere außenpolitisch äußerst mager. Dieses empirische Negativurteil gilt – egal, wer sich wo, für oder gegen wen in Nahost positioniert – vor allem bezüglich seiner Politik gegenüber Israel.

Afro-amerikanische, katholische und jüdische Wähler gehören seit 1932/36 zur »Roosevelt-Koalition«, also zur Stammwählerschaft der Demokratischen Partei. In Zahlen: Etwa 80 Prozent der jüdischen US-Wähler stimmten für demokratische Kandidaten. Deutlich weniger Juden stimmten zuletzt allerdings für McGovern (65 Prozent), Carter (71 Prozent) und 1980 gegen Reagan (nur 45 Prozent). 2008 bekam Obama 78 Prozent, doch 2016 nur 69 Prozent. Trump wählten 25 Prozent. Das bedeutet: Trump ist kein Präsident von »jüdischen Gnaden«, wenngleich einige (aber nicht die meisten) jüdische Geld-Granden wie Casino-König Sheldon Adelson die Kampagnenkasse des Republikaners kräftig füllten.

Trump Antisemitismus vorzuwerfen, hieße, die Fakten zu verdrehen

Ja, unter Trump-Wählern und -Vertrauten findet man Antisemiten. Dass es solche unter den US-Demokraten nicht gäbe, ist ein schönes Märchen. Trump selbst Antisemitismus vorzuwerfen, hieße, die Fakten zu verdrehen. Stolz und oft erwähnt er, dass seine Tochter ihres Mannes wegen zum Judentum konvertiert ist. Seinen offenbar alles andere als dummen oder erfolglosen jüdischen Schwiegersohn Jared Kushner holt er jetzt ins Zentrum der Macht. Einige andere Spitzenpositionen wurden ebenfalls mit Juden besetzt. Zum Beispiel der neue US-Botschafter in Israel. Der steht Netanjahu politisch so nah, dass es von der israelischen Opposition und der liberalen US-jüdischen Gemeinschaft Proteste hagelte.

 Wird Trump, wie angekündigt, die US-Botschaft von Tel Aviv nach Jerusalem verlegen? Vielleicht ja, vielleicht nein. Man wird sehen. Sollte es geschehen, wird weltweit lautes Entsetzen einsetzen. Es wird binnen Kurzem aber auch wieder abebben und »business as usual« folgen. Ohne negative oder positive Folgen für den sogenannten Friedensprozess. Der hängt nämlich nicht von der Botschaftsgeografie ab, sondern von der politischen Strategie der nationalen, regionalen und globalen Akteure.

Strategisches Ziel der US-, EU-, UN- und deutschen Nahostpolitik ist seit rund drei Jahrzehnten die Zweistaatenlösung. Hier Israel, dort Palästina. Dass diese Strategie zu einer wirklichen Lösung führt, wird stets behauptet und nie bewiesen. Es werden nicht einmal die elementaren Fragen gestellt. Auch nicht in Deutschland. Werden sie gedacht? Dazu gehörte: Soll das Westjordanland in diesem Falle siedlerfrei respektive »judenfrei« sein?

Scheinfein drückt man sich vor diesem geschichtsmoralisch und geschichtssprachlich hochheiklen Thema. Es zu erörtern, führt zwangsläufig zur nächsten Frage: Was geschähe mit den arabisch-palästinensischen Israelis, wenn alle jüdischen Siedler »Palästina« verlassen müssten? Dann dies: Kann es angesichts der Todfeindschaft von Fatah (heute tonangebend im Westjordanland) und Hamas (seit 2007 terrortonangebend im Gazastreifen) überhaupt ein Palästina geben? Werden es zwei Palästinas? Oder wird die Hamas auch im Westjordanland die Macht übernehmen? Durch Wahlen oder mit Waffen?

Und wie wollen, können oder würden die wenig interventionswilligen Obama-Amerikaner, Europäer, Deutsche, gar die UN, Israel vor Raketen oder Tunnel-Terror sowohl aus dem Gazastreifen als auch aus dem Westjordanland sowie der libanesischen Hisbollah schützen oder gar das Land verteidigen? Sie würden, wie in Syrien, weinen, viel reden, wegschauen und nichts Ernsthaftes unternehmen.

Keine Angst vor dem Untergang des Morgenlandes

Ergo: Dass Trump die vermeintlichen Friedensweisheiten, die eben keinen Frieden brachten, infrage stellt, rechtfertigt wahrlich keine Angst vor dem Untergang des Morgenlandes. Im Gegenteil, ein neuer Ansatz könnte im besten Fall den Karren aus der Sackgasse führen.

Nahost vor Trump: Die Region brennt, Blut fließt in Strömen, Obamas Regierung agierte und reagierte von 2009 mal mit Zick und mal mit Zack, auf jeden Fall bis heute rat- und machtlos. Die traditionellen Verbündeten Israel, Ägypten, Saudi-Arabien und die Golfstaaten wurden – zu Recht oder nicht – verprellt, ohne neue zu gewinnen.

Obama vollzog durch das Atomabkommen die faktische Aussöhnung mit dem Iran. Teheran profitiert hiervon nicht nur wirtschaftlich. Es umzingelt inzwischen militärisch und politisch, direkt oder indirekt, folgende Staaten: Israel, die Saudis, die Golfstaaten und Ägypten. Irans Partner sind dabei die libanesisch-schiitische Hisbollah, Assads Syrien, der schiitisch dominierte Irak und die jemenitischen Schiiten. Aktiv unterstützt der Iran zudem schiitische Umstürzler in Bahrain sowie im östlichen Saudi-Arabien. Und als Vermittler haben sich die USA unter Obama sowohl bezüglich des Syrien- als auch Israel-Palästina-Konflikts selbst an den Rand gedrängt.

Man muss kein Trump-Fan sein, um festzustellen: Horror-Vorhersagen gehören zum menschheitsgeschichtlich üblichen und längst bekannten Getöse. Sie stammen von schlechten Verlierern und besonders von den jeweils entmachteten Gegeneliten und ihren Anhängern. Unter »Eliten« sind Positions- und Meinungseliten zu verstehen. Gleiches gilt für unkritisch übernommene Horror-Überlieferungen. Sie stammen von den zuvor entmachteten und dann an die Macht zurückgekehrten Positionseliten.

Und Trump? Wait and see!

Der Autor ist Historiker. Zuletzt erschien von ihm "Zivilcourage: Wie der Staat seine Bürger im Stich lässt". Dieser Beitrag erschien zuerst in "Jüdische Allgemeine".

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Helge-Rainer Decke / 15.01.2017

Herr Wolffsohn, Sie haben bei Ihren Feststellungen und Bemerkungen ein Faktum nicht erwähnt. Ein Faktum, das wie ein Geschwür weltweit um sich greift, Post Truth. Verstärkt durch Foren wie Facebook und Twitter. Jeder Eumel twittert. Sogar Trump ist offensichtlich diesem Phänomen erlegen. Was Ihre Analyse im Kern betrifft, so wird das viel gescholtene gebildete Bürgertum sich im Ergebnis anschließen. Keine Vorschuß Lob und Preisungen und keine Vorverurteilungen. Leider werden Ihre Worte zu Schall und Rauch gerinnen. Es dominiert das Postfaktische, nicht Vernunft. Das geht so weit, dass beleidigende Unterstellungen verharmlost werden und üble Fakes halt zu ertragen sind. Gleichwohl, Herr Wolffsohn, Sie sind eine Bereicherung auf Achgut. Leider schreiben Sie zu selten.

Hjalmar Kreutzer / 15.01.2017

“... stelle man sich Richter vor, die ihr rechtskräftiges Urteil vor dem Rechtsverfahren fällen.” Im Fall Trump wohl sogar schon vor jeglicher “Straftat”?

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Michael Wolffsohn, Gastautor / 11.06.2022 / 14:00 / 17

Geschichte als Falle

Von Michael Wolffsohn. Juden und Deutsche haben ihre Lehren aus der Geschichte gezogen, aber ganz unterschiedliche. Dies beschreibt Michael Wolffsohn in seinem neuen Buch über…/ mehr

Michael Wolffsohn, Gastautor / 23.07.2021 / 16:00 / 5

Tel Aviv 1939: Gerettet und sicher?

Der jüdische Historiker und Achgut.com-Autor Michael Wolffsohn hat eine spannende und lehrreiche Jugendbuchversion seiner Familiengeschichte herausgebracht, ausgehend von der Flucht seiner Mutter 1939 nach Tel…/ mehr

Michael Wolffsohn, Gastautor / 05.05.2020 / 17:00 / 10

Der Name der Juden (5): Vom Winde verweht – doch nicht vergessen

Judas hat Jesus verraten. Dennoch gab es auch „danach“ selbst in der frühchristlichen Gemeinschaft den einen oder anderen Judas. Der Name war offenbar nicht gänzlich…/ mehr

Michael Wolffsohn, Gastautor / 04.05.2020 / 14:12 / 10

Der Name der Juden (4): Die Bergpredigt als militärhistorisches Dokument

Wandel in Kontinuität, in jüdischer Kontinuität, das ist ein weiteres Leitmotiv der Bergpredigt: „Denkt nicht, ich sei gekommen, um das Gesetz und die Propheten aufzuheben.…/ mehr

Michael Wolffsohn, Gastautor / 03.05.2020 / 11:00 / 10

Der Name der Juden (3): Iskariot & Barrabas

Ein Aspekt der neutestamentlich biblischen Judas-Vielschichtigkeit blieb bislang weitestgehend verborgen: der nationaljüdische und militärgeschichtliche. Diesen wollen wir erörtern. Der jüdisch-partikularistischen Welt stehen zwei universalistische gegenüber:…/ mehr

Michael Wolffsohn, Gastautor / 02.05.2020 / 15:00 / 6

Der Name der Juden (2): Sittenstrenge Partikularisten

Wir verfolgen die jüdische „Juda-Namenskarriere“ weiter. Sie vermittelt uns weitere Einsichten in jüdische Selbstsichten. Unverzüglich denken wir an Judas Makkabäus, hebräisch „Jehuda hamakkabi“. Von 166…/ mehr

Michael Wolffsohn, Gastautor / 01.05.2020 / 11:00 / 13

Der Name der Juden (1): Gott sei Dank

„Judas, geh nach Hause!“, brüllten aufgebrachte IG-Metaller in Bochum am 1. Mai 2003 den damaligen SPD-Generalsekretär Franz Müntefering nieder, als dieser die Arbeitsmarktreformen von Bundeskanzler…/ mehr

Michael Wolffsohn, Gastautor / 14.03.2018 / 16:00 / 25

Ein Außenminister, den man nicht vermissen muss

Einen Papst haben „wir“ nicht mehr – dafür aber einen neuen Außenminister. Anders als die meisten unserer Landsleute hoffe ich, dass Heiko Maas nicht an…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com