Burkhard Müller-Ullrich / 28.04.2013 / 23:56 / 0 / Seite ausdrucken

Tatbestand Verlobungsverheimlichung

Es gibt in unserer transparenzgeleiteten Gesellschaft immer noch einige Restbestände von Privatheit, die radikal aufgeklärt und abgeschafft gehören. Neben der Entgegennahme von Bobbycars, dem Genuß von mehr als fünf Euro teurem Pinot Grigio und der Nutzung von Rabattvorteilen beim Lufttransport gehört dazu das heimliche Verlobtsein. Heimliches Verlobtsein ist schon deshalb besonders verwerflich, weil es besonders schwer nachprüfbar ist. Selbst eine öffentliche Hymenkontrolle bringt keine Sicherheit hinsichtlich Tag, Stunde und Verursacher eines eventuellen Einrisses und bedeutet daher letztlich nichts.

Man könnte jetzt zwar einwenden, daß auch der ganze Akt der Verlobung heutzutage eigentlich keine Bedeutung mehr hat, denn sonst würden sich die Anhänger der Gleichgeschlechtlichkeit ja vielleicht damit zufrieden geben, statt dermaßen auf der Homo-Ehe zu bestehen. Aber nein, die Verlobung als solche hat insofern ihren Reiz, als man damit einer CSU-Bundestagsabgeordneten an den Karren fahren und sie des Gesetzesbruchs bezichtigen oder wenigstens verdächtigen kann.

Das Abgeordnetengesetz verbietet den „Ersatz von Aufwendungen für Arbeitsverträge mit Mitarbeitern, die mit dem Mitglied des Bundestages verwandt, verheiratet oder verschwägert sind oder waren“. Nun hat die Abgeordnete Dorothee Bär tatsächlich einen Mann, den sie mochte, als Mitarbeiter beschäftigt. Oder mochte sie plötzlich den Mann, den sie beschäftigt hatte? Das muß geklärt werden. Gibt es keine Zeugen für Geknutsche und Gefummel im Büro? Wo bleibt der investigative Journalismus, wo bleibt der Staatsanwalt?

Frau Bär war 25, als sie in den Bundestag einzog und die Affäre begann. Später heiratete sie den geliebten Mitarbeiter oder mitarbeitenden Geliebten, löste aber vor der Hochzeit das Mitarbeitsverhältnis, um nicht mit dem besagten Abgeordnetengesetz in Konflikt zu geraten. Das macht ihre Gegner heute, sieben Jahre danach, richtig wütend. Ein Täter, der sich nichts zuschulden kommen läßt, ist in deren Augen bloß besonders perfide.

Deshalb hantieren sie jetzt mit dem Verdacht der Verlobung. Ist das nicht eine Vorstufe der Ehe, also fast das gleiche? Läßt sich nicht wenigstens das als Vetternwirtschaft skandalisieren? Verlobung geht formlos, es bedarf keiner Ringe, ein hingeseufztes Wort des Einverständnisses genügt. Das könnte Frau Bär ja unterlaufen sein – und wäre jetzt ein riesiger Erfolg für die SPD. So weit geht die Verkommenheit unseres politischen Betriebs: „Ob Bär und ihr jetziger Mann kurz vor ihrer Hochzeit verlobt waren, ist wahrscheinlich, aber unklar“, schreibt der ‚Spiegel‘, das Sturmgeschütz, das die Demokratie nach Kräften zerschießt.

Doch was, wenn Frau Bär ihr Verlobtgewesensein bestreitet? Man kann ja auch ganz ohne heiraten, innerhalb von Minuten, selbst das Aufgebot ist seit 1998 abgeschafft. Ab sofort haben die Medien ein neues Aufklärungsziel: Gesucht werden Anhaltspunkte im Leben einer 25-Jährigen, die den Traum von gemeinsamer Zukunft mit ihrem Freund justitiabel erscheinen zu lassen vermögen.

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