Burkhard Müller-Ullrich / 21.05.2015 / 13:54 / 7 / Seite ausdrucken

Statt Bahn

Als Kind wurde mir immer schlecht im Bus. Deswegen bin ich ein passionierter Bahnfahrer geworden. Aber das ist jetzt Jahrzehnte her, und freudig danke ich der GDL, daß sie mir die Chance aufzwingt, mich weiterzuentwickeln. Also Flixbus-Ticket im Internet gebucht und gestern von Köln nach Frankfurt auf Gummireifen gerollt, und zwar zu einem so mirakulösen Preis, daß ich mich auf jede Menge üble Überraschungen gefaßt machte: acht Euro, statt der bei der Bahn üblichen 50 bei gleicher Fahrtdauer.

Es ist zehn Uhr morgens und der Busbahnhof ein chaotisches Provisorium. Nichts scheint einem irgendwie geplanten Ablauf zu entsprechen. Auf dem Aushangfahrplan ist mein Bus gar nicht verzeichnet, die Haltebuchten sind mit anderen Fahrzeugen belegt. Es erweist sich als richtig schwierig, herauszufinden, wo ich einsteigen soll. Die von einem jungen grünbefrackten Flixbus-Mitarbeiter gegebene Auskunft ist schon mal falsch (was später dazu führt, daß ein falschinformierter Fahrgast zwei Kreuzungen hinter dem Abfahrtsort hinausgelassen werden muß).

Obwohl der Omnibusverkehr nicht erst gestern erfunden wurde, ist jetzt offenbar die Gründerzeit ausgebrochen. Etwas Abenteuerliches und Improvisiertes prägt die Stimmung. Zumindest am Anfang der Fahrt. Nach wenigen Minuten jedoch überwiegt ein erstaunliches Gefühl von Behaglichkeit: die Sitze sind komfortabel, es gibt Steckdosen am Platz, Getränke beim Fahrer, WLAN überall. Und der Doppeldecker ist riesig, ein A380 des Asphalts.

Wir fahren auf der Autobahn neben der ICE-Strecke her, von der aus ich sonst mitleidig auf die Staus und Baustellen blicke. Nur daß diesmal kein ICE vorbeikommt. Was aber fehlt und mich am unbeschwerten Einnicken hindert, ist das Gefühl der Festigkeit des Schienenstrangs. Stattdessen hämmert in meinem Hinterkopf eine prekäre Empfindung von Gefahr. Manche Leute haben Flugangst, ich glaube, ich bekomme Busangst.

Und da passiert es: eine Starkbremsung fährt mir durch Mark und Nerven; ich war doch eingedöst. Auf der Straße wirken eben ganz andere Kräfte als bei der Eisenbahn. Wir wurden von einem anderen Bus geschnitten, kurz vor einer Baustelle, und ich bemerke, daß unser Fahrer jetzt richtig aufdreht. Er setzt seinerseits zum Überholen an. Ist er wütend? Können Lokführer so wütend werden? Solches agonistisches Gerangel gibt es auf der Schiene nicht. Ich messe mit dem Smartphone unsere Geschwindigkeit: 100 Stundenkilometer statt der erlaubten 80. So rauschen wir an vielen noch viel größeren Lastwagen vorbei. In deren Führerhäuschen ist auch noch Platz. Kann man da bald für 2 Euro mitfahren? Wo bleibt die Uber-LKW-App?

Wir kommen auf die Minute pünktlich an. Wir: ein Drittel junge Leute, ein Drittel Prekariat ein Drittel Geschäftsreisende mit Laptop. Für etliche war es eine Premiere, wie man an humorigen Bemerkungen erkennt. Die Busfirma duzt uns vorher alle: „dein Ticket“, „deine Fahrt“, erst nach der Buchung wird man „Sehr geehrter MeinFernbus-FlixBus-Gast“. Für die Rückfahrt am Nachmittag habe ich plötzlich die Wahl: Im Hauptbahnhof steht ein fahrbereiter ICE. Dazu die philosophische Formulierung auf der Abfahrtstafel: „Es werden nur verkehrende Züge angezeigt“. Ich nehme trotzdem wieder den Bus, für acht Euro statt für 50.

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Leserpost

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Rolf Heine / 23.05.2015

Bleibt vielleicht noch zu erwähnen, dass es die FDP war, die während der letzten Legislaturperiode die Konkurrenz zur Bahn durchsetzte.

Frank Finselberger / 22.05.2015

Seit es die Fernbusse gibt, kann ich als schwerbeschädigter Rentner wieder reisen. “Mein Fernbus - Flixbus” gewährt ab 50 GdB 50 % Ermäßigung. Saubere Busse, pünktlich, freundlich, gleichschnell im Vergleich DB und auf “meiner Strecke” Berlin - Dresden - Berlin für 7 !!! € Unschlagbar.

Uwe Biermann / 21.05.2015

Ich will hier nicht den Klugscheißer spielen aber mir ist so als dürften Busse tatsächlich 100 fahren auf der Autobahn. Beste Grüße Uwe Biermann

Robert Krischik / 21.05.2015

Ja, es ist eine Gründerzeitstimmung, für mich eine erfrischende Alternative zur Bahn. Auch zu Nichtstreikzeiten.

Wolfgang Schmid / 21.05.2015

Konkurrenz belebt das Geschäft. Und deshalb wollen die DGB-Gewerkschaften die kleinen, freien Gewerkschaften wie die der Lokführer, Piloten oder Klinikärzte auf dem Weg der “Tarifeinheit” kaltstellen. Die Neue Deutsche Arbeitsfront soll nur noch Gewerkschaften lebensfähig halten, die mit den Arbeitgebern so verbandelt sind, dass von ihnen keine Gefahr mehr ausgeht. Wer hat Arbeiter und Angestellte verraten? Sozialdemokraten! PS.: Nach diesem grundrechtswidrigen Eingriff ins Streikrecht kommt der Eingriff ins Demonstartionsrecht - wetten?

Christian Schulz / 21.05.2015

Das Tempolimit für Busse mit entsprechender Zulassung (ohne Anhänger) liegt 100km/h, nicht bei 80 km/h. §18 Abs. 5 Nr 3a StVO

Bernd Fries Dipl. Ing. / 21.05.2015

Die meisten Busse dürfen 100km/h fahren!

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