Beda M. Stadler, Gastautor / 10.12.2007 / 16:19 / 0 / Seite ausdrucken

Rettet das Denken

Leute, die nicht alles hinnehmen, wie es sich geziemt, betitelt man gerne als Provokateure. Das ist praktisch und zugleich Selbstschutz. Man muss sich nicht mit dem Gedanken anderer auseinandersetzen. Man bedient die Fernbedienung und «Klick» bleibt alles beim Alten. Luther hat noch gewusst, wie man einen Provokateur nennt: «ein ketzer heiszt, der nicht gleubet die stücke, die not und geboten sind zu gleuben.» Das Wort «Ketzer» ist leider ausser Mode geraten…

Dabei ist «Provokateur» kein Schimpfwort. Es kommt von lateinisch «provocare» und bedeutet hervorrufen, herausfordern, anregen. Der Provokateur regt zum Denken an. Wer jemanden hingegen als Provokateur beschimpft, ist sich seiner Sache so sicher, dass er nicht mehr denken muss. Gemäss Luther geht es um Dinge, die «geboten» sind, um Gebote. Diese Leute haben entweder einen unverrückbaren politischen Glauben, oder sie glauben an Bücher, die unfehlbar sein sollen.

Der Glaube an das Unfehlbare ist eines der grössten Gifte für das Denken der Menschen und führt zu absurdem Handeln. Steckt sich jemand Nägel und Rattengift in die Taschen und sprengt sich mit einer Bombe in die Luft, um andere mit in den «Himmel» zu nehmen, ist es geradezu beängstigend einfach, die Religion dieser Menschen zu erraten! Wenn Tausende im Sudan die Todesstrafe für eine Lehrerin fordern, weil sie erlaubte, dass man einen Teddybären «Mohammed» nennt, wird es Zeit, uns von Büchern zu verabschieden die das Unfehlbare predigen.

Noch können wir mit den Fingern über die Grenze deuten, wo derart Grausames passiert. Auch in der Bibel steht immer noch, dass man Frauen steinigen darf. Bei uns ist dies in Vergessenheit geraten, weil die meisten Gläubigen gar nicht mehr wissen, was in der Bibel steht. Diese und andere schändliche Stellen wurden allerdings nie ausradiert. So kann es vorkommen, dass selbst in einem Berner Lehrbuch die Schöpfung auf die Ebene der Evolution gestellt wird. Nun, das Faltblatt mit der umstrittenen Passage wird dem Lehrmittel bis auf Weiteres nicht mehr beigelegt. Die EVP des Kantons Bern meint dazu, es sei «falsch und unangemessen», dass ein paar mediale Äusserungen ausserkantonaler Wissenschaftler gereicht hätten, um eine Überarbeitung zu verordnen. Hier die Meinung eines kantonalen Wissenschaftlers: Die EVP sollte einmal eine Parteisitzung im Naturhistorischen Museum abhalten.

Die meisten Leserbriefschreiber der Berner Zeitung fanden nichts Abwegiges dabei, dass Inhalte aus einem Buch, dessen Wahrheitsgehalt Grimms Märchen entspricht, auf die Stufe der Wissenschaft gestellt werden. Es stellt sich die Frage: Wer provoziert hier wen? Wird das Wort «Provokateur» durch «Ketzer» ersetzt, wird der Vorwurf zum Kompliment. Ich hoffe, dass unsere Lehrbücher nur so von Ketzerei strotzen, damit wir die Werte des Humanismus wie etwa die freie Meinungsäusserung, die Gleichstellung von Mann und Frau und die Demokratie gegen das Irrationale und Unfehlbare beibehalten können.

Zuerst erschienen in der Berner Zeitung am 8. Dezember 2007

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