Beda M. Stadler, Gastautor / 20.03.2014 / 20:22 / 2 / Seite ausdrucken

Macht Politik krank?

Als Nationalrat und GLP-Chef Martin Bäumle kürzlich einen Herzinfarkt erlitt, haben die Medien gemeinsam die Diagnose gestellt: Politiker führen ein ungesundes Leben. Die Liste der betroffenen Politiker wird schliesslich immer länger. Man mag sich noch an SP-Nationalrätin Bea Heim, die 2006 im Bundeshaus zusammenbrach, erinnern, an die dramatische Operation von Bundesrat Hans-Rudolf Merz im Inselspital oder das unerwartete Hinscheiden von Nationalrat Otto Ineichen. Soll ich mich deswegen als Wähler betroffen fühlen, weil wir Wähler die armen Politiker zwingen, ungesund zu leben?

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) definiert einen gesunden Job als eine Tätigkeit, bei welcher der Druck auf den Angestellten in einem zweckmässigen Bezug zu seinen Fähigkeiten und Ressourcen steht, je nachdem wie gut er die eigene Arbeit kontrolliert und wie stark die Unterstützung durch nahestehende Menschen ist. Glaubt man dieser Definition, so gäbe es für Politiker eigentlich nur positiven Stress. Schliesslich ist die Politik in der Schweiz der fast einzige Hort, in dem man eine Tellerwäscherkarriere machen kann, etwa von der Klavierlehrerin zur Bundesrätin. Wird man gewählt, kriegt man Macht, einen kräftigen finanziellen Zustupf, ohne dass man einen Fähigkeitsausweis braucht.

Lustigerweise gibt es wenige Politologen in der Politik – vielleicht darum, weil die gelernt haben, was einen erwartet. Ein gewählter Nationalrat erhält in Bern dermassen viele Privilegien und andere Begünstigungen, dass man sich fragen muss, weshalb diese Menschen trotzdem negativen Stress produzieren. Die Psych¬iater Thomas Holmes und Richard Rahe haben eine Skala mit Ereignissen erstellt und diesen Stresswerte von 0 bis 100 zugeordnet. Auf Rang eins mit 100 Punkten steht der Tod eines Ehepartners. Die nächsten sieben Ereignisse sind ebenfalls tragische Vorfälle, die leider jedem Menschen passieren können.

Stutzig macht Rang acht: der Verlust des Arbeitsplatzes. Übertragen auf Politiker, bedeutet das, nicht mehr gewählt zu werden. Dabei kriegt man wieder ein schlechtes Gewissen, gehört es doch zum Vergnügen des Schweizers, Politiker nicht mehr zu wählen. Aber niemand will die Politiker gleich in den Herzinfarkt treiben. Der Wähler geht schliesslich davon aus, dass jeder Politiker vor den Wahlen eine Liste mit Versprechungen macht. Hält er sich während der Amtsperiode an diese Liste, kann ihm doch gar nichts geschehen. Ansonsten tritt in der Liste der Stressoren kein einziger Punkt auf, der für Politiker mehr gelten würde als für einen Wähler.

Man muss zu den Vätern der Stressforschung zurückgehen, etwa zu Walter Cannon, der 1915 das Wort «fight or flight» geprägt hat, um mögliche Ursachen zu finden. «Kampf oder Flucht» scheint tatsächlich auf Politiker mehr zuzutreffen als auf uns normale Bürger.  Man könnte sogar in Versuchung geraten, ¬aufgrund ihrer Parteizugehörigkeit die Gefährdung der Politiker vorherzusagen. Es scheint, dass vor allem Politiker am rechten oder linken Rand gefährdet sind, weil sie stur kämpfen, ohne zu fliehen, oder gleich fliehen, ohne je zu -kämpfen.

Wäre dem so, müssten etwa Politiker, die für eine Sache mal kämpfen, mal fliehen und dann wieder fliehen und wieder kämpfen, etwa BDP- oder CVP-Politiker, stressfreier politi¬sieren und von Herzleiden verschont bleiben. Wie dem auch sei, die betroffenen Politiker haben unser Mitgefühl verdient, aber ich ¬glaube nicht, dass wir Wähler an ihrem ¬Schicksal schuld sind. Jeder, der sich an seine Wahl¬versprechen hält, hat doch einen gesunden Zuckerjob.

Zuerst erschienen in DIE WELTWOCHE (19.3.2014)

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Leserpost

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Martin Lahnstein / 21.03.2014

Fürchten womöglich Politiker, nicht ganz glaubwürdig zu sein, wenn sie sich ausgeruht statt gestresst präsentieren? Und wirken sich nicht Internet-Gewohnheiten immer mehr auf den Alltag aus? Präsent sein, vernetzt sein, atemlos jederzeit lostexten können.

Lahor Jakrlin / 21.03.2014

Mitgefühl? Ja, aber für ... Es ist ein Haufen vom Leben Bestrafter und Selbstverliebter, die auf dem Pausenplatz entweder nicht beachtet oder verprügelt wurden. Dann fliehen sie via irgendwelche Kommissiönchen in die Politik und rächen sich an uns allen für ihre Unterdurchschnittlichkeit. Dass das ungesund ist, ist klar. Aber Mitgefühl? Nur für uns Zuschauer/innen.

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