Wolfram Weimer / 08.04.2017 / 06:00 / Foto: Bildarchiv Pieterman / 0 / Seite ausdrucken

NRW-Wahl: Rot-gelbe Friedenspfeifen

Hannelore Kraft und Christian Lindner passen in etwa so zusammen wie ein Skoda und ein Porsche. Eigentlich gar nicht. Und doch könnten beide bald zusammen den neuen NRW-Korso bilden. Im größten Bundesland mit seinen 13 Millionen Wahlberechtigten bahnt sich eine überraschende politische Wende an. Umfragen zeigen, dass die rot-grüne Regierung bei den Landtagswahlen am 14. Mai wohl abgewählt wird. Linke und auch Grüne kämpfen gar mit der Fünf-Prozent-Hürde, die FDP hingegen wirkt richtig stark. Die Ministerpräsidentin braucht einen neuen Partner – und da kommt ihr der schneidig aufpolierte Lindner-Porsche gerade recht. Christian Lindner ist in Düsseldorf bereits der eigentliche Oppositionsführer – und bald könnte er Regierungsbildner werden.

Zur Feier des 70. Geburtstags der NRW-FDP kam Kraft im November darum persönlich in die Kölner Flora und hielt eine Festrede mit politischem Hintersinn. Eigentlich sind sich Linder und Kraft in herzlicher Abneigung verbunden und schenken sich politisch keinen Krümel auf der Ruhrpottstulle. Doch die Festrede war der Startschuss eines politischen Flirts.

Die Grünen sind out wie eine Abwrack-Rostlaube

Kraft hat die Grünen als Partner der Zukunft innerlich aufgegeben. Sie spürt, was die Umfragen in aller Härte zeigen – die Grünen sind out wie eine Abwrack-Rostlaube. Da verspricht der schnittige FDP-Porsche schon andere Dynamik. Kraft könnte mit einer rot-gelben Koalition dreierlei erreichen:

Erstens würden bestimmte Sachthemen leichter gelöst als bislang. SPD wie FDP sind für die möglichst lange Verstromung der heimischen Braunkohle, die Grünen pochen dagegen auf einen raschen Ausstieg. Von der Reform des “Turbo-Abiturs” über die Industrieförderung, den Straßenbau und die Abschaffung der Kitabeiträge bis zur strengeren Migrationspolitik reichen die Schnittmengen, die es mit den Grünen nicht mehr gibt.

Vor allem beim Thema Abschiebung und Bekämpfung der Islamisten ist die FDP viel näher an Volkes- und SPD-Stimmung als die Grünen mit ihrem sanften Multikulturalismus. So wettern die SPD-Minister Michael Groschek (Verkehr) und Garrelt Duin (Wirtschaft) über die “durchgrünte Gesellschaft” und wollen ein “stärkeres Signal Richtung Industrie und Wirtschaft” senden. Soll heißen: Weniger grüne Verbotsrepublik, mehr liberale Wirtschaftsfreundlichkeit.

Zweitens würde Kraft aus einer strategischen Defensive, entweder ein Auslaufmodell (Rot-Grün) oder ein umstrittenes Schreckgespenst (Rot-Rot-Grün) zu vertreten, in eine Vorreiterposition gelangen. Rot-Gelb könnte sich – wenn man am Polit-Marketing noch ein wenig schmirgelt – wie ein frisches Zukunftsmodell verkaufen. Jedenfalls stünde die etwas skoda-biedere Ministerpräsidentin plötzlich wieder schick da.

Für Martin Schulz könnte die Steilvorlage kaum besser sein

So erinnerte Kraft in der Flora schon einmal an NRW-Ministerpräsident Fritz Steinhoff, der 1956 mit dem FDP-Politiker Willi Weyer die erste sozialliberale Koalition der noch jungen Bundesrepublik gebildet hatte. 1966 schließlich kam es zur zweiten rot-gelben Koalition im Düsseldorfer Landtag und zur Generalprobe für den Bund. 1969 fand die sozialliberale Zusammenarbeit ihren Höhepunkt in der Bildung der Regierung aus Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) und seinem Außenminister Walter Scheel (FDP). Die Große Koalition war plötzlich abgewählt. Für Martin Schulz könnte die Steilvorlage zur Bundestagswahl am 24. September kaum besser sein, er würde das Belastungsthema Rot-Rot-Grün sozialliberal kontern.

Drittens bekäme Hannelore Kraft mit einer sozialliberalen und wirtschaftsfreundlicheren Koalition endlich die Chance, die miserable Bilanz Nordrhein Westfalens aufzubessern. NRW belegt in Ländervergleichen regelmäßig hintere Plätze. Bildung, Kriminalität, Wirtschaftswachstum, Arbeitslosigkeit, Staatsfinanzen, Kinderbetreuung – wohin man schaut steht NRW schlechter da als andere Länder. Schulden-Rekord, höchste Kinderarmut, marode Straßen. Dazu kommen immer neue Behörden-Pannen – insbesondere bei der Kölner Silvesternacht und dem Amri-Attentat leisteten sich die NRW-Behörden und ihre politische Führung schwere Fehler.

Seit Mai 2010 regiert Kraft mit den Grünen und hat der ehemaligen Herzkammer der deutschen Wirtschaft schwere Rhythmusstörungen zugefügt. Die Herzkammer ist auf Dauerblutspenden von außen und Hilfe aus dem Länderfinanzausgleich angewiesen. Ifo-Instituts-Präsident Clemens Fuest sagt: “NRW braucht dringend eine überzeugende Wachstumsstrategie.” Das müsste ein sozialliberaler Aufbruch liefern.

FDP-Chef Christian Lindner spielt die sozialliberale Karte geschickt. Eine Ampel-Koalition unter Beteiligung der Grünen schließt er kategorisch aus. Seine Partei wolle die rot-grüne Regierung ablösen und ihr nicht als Steigbügelhalter zur Fortsetzung verhelfen. Dem “Kölner Stadt-Anzeiger” sagte er dagegen mit Blick auf eine sozialliberale Option: “Wir sind immer zu Gesprächen bereit.” Für eine Regierungsbeteiligung der Liberalen würden aber hohe Maßstäbe gelten. Die FDP werde “lieber in die Opposition gehen” als in eine Regierung einzutreten, “in der wir unsere Handschrift nicht zeigen können”. Die von ihm geforderte “umfassende Entbürokratisierung” dürfte noch spannend werden im sozialdemokratisch durchfilzten Bundesland. Kann ein Skoda mit Porsche-Motor wirklich gut fahren? Oder ist der Düsseldorfer Skorsche eine Schnapsidee?

Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.

Foto: Bildarchiv Pieterman

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