Gastautor / 05.12.2011 / 15:14 / 0 / Seite ausdrucken

Nachhaltigkeit verbindet

Von Hans Dieter Sauer

Ranga Yogeshwar und Klaus Töpfer standen nach der Atomkatastrophe von Fukushima oft im Rampenlicht. Yogeshwar erläuterte im Fernsehen die technischen Zusammenhänge der Reaktorhavarie und Töpfer ebnete als Vorsitzender der sogenannten Ethikkommission den Weg für die Energiewende der Kanzlerin. Der Münchner Beck-Verlag hatte die Idee, die beiden zu einem Gespräch zusammenzubringen. Der Gedankenaustausch fand in mehreren Etappen bei Yogeshwars zuhause statt. Herausgekommen ist ein Buch mit dem Titel ‚Unsere Zukunft – Ein Gespräche über die Welt nach Fukushima’. Laut Werbung geht es um die Existenzfragen unserer Epoche.
Töpfer und Yogeshwar sehen das Grundproblem unserer Zeit im Menschen selbst, der benebelt durch die ‚Indoktrination der Werbung’ (Töpfer) bzw. hormongesteuert (Yogeshwar) dem Konsum frönt und keinen Gedanken daran verschwendet, was er damit anrichtet. Konsum! Konsum! Konsum! ist ein Kapitel überschrieben. 
Als besonders krassen Fall für die Blindheit der Konsumenten hat Yogeshwar im Baumarkt die aus China importierte Grillkohle ausgemacht, sieben Kilo für nur 12,99 Euro. Kaum einer denke darüber nach, wie hoch die wirklichen Kosten seien. Die Bedingungen in den chinesischen Bergwerken seien katastrophal. Virtuell reise auf jedem Schiff, das diese Kohle transportiere, ein toter Bergmann mit. Er, Yogeshwar, habe das selbst einmal ausgerechnet. „Gut, dass Sie das getan haben“, lobt Töpfer. Nur, Grillkohle stammt nicht aus dem Bergwerk, Grillkohle ist Holzkohle, das ist Schulbuchwissen, ansonsten Google, Wikipedia.
Besonders schmerzt Yogeshwar, dass der Konsumwahn des Westens auch Indien, das Land seiner Väter erfasst hat. Er wuchs in Bangalore auf, wo sein Großvater ein angesehener Bibliothekswissenschaftler war. In der Stadt lebten damals 350 000 Menschen, in der Gesellschaft wurden die nichtmateriellen Werte respektiert. Nun habe sich Bangalore nicht nur zu einer Megacity mit über sechs Millionen Einwohnern entwickelt, sondern es würden auch blind die Konsumwerte des Westens übernommen.
Bei dieser Schelte verliert Yogeshwar einiges aus dem Blick. Wie sah es denn im guten alten Indien mit seinen weisen Männern aus? Das Kastenwesen, das die Menschen an ihren angestammten Platz fesselte, war intakt und ab und zu gab es eine Hungersnot mit einigen hunderttausend Toten. Ebenso schief ist sein Bild von der heutigen Realität. Er möchte die Urbanisierung am liebsten aufhalten, dabei wäre das kontraproduktiv für das Abbremsen des Bevölkerungswachstums. Verstädterung führt geradezu naturgesetzlich zu einer Senkung der Geburtenraten, das ist eine grundsätzliche Erkenntnis der Bevölkerungswissenschaft. Der Zug vom Land in die Städte, so hart und schwierig er auch für die beteiligten Menschen ist, führt nicht ins Desaster, sondern in ein besseres Leben. Der kanadische Journalist Doug Saunders hat sich in den neuen Metropolen umgesehen. Der Titel seines Buches sagt alles: ‚Arrival City – Über alle Grenzen hinweg ziehen Millionen Menschen vom Land in die Städte. Von ihnen hängt unsere Zukunft ab’.
Als weiteres Defizit des modernen Menschen diagnostizieren Töpfer und Yogeshwar, dass er keine Zeit hat. Dazu kann Töpfer aus seiner Zeit als Direktor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen (UNEP) in Nairobi eine Episode beisteuern: „Ihr Europäer habt die Uhren, wir Afrikaner haben die Zeit“. Das sagte allerdings kein Bauer oder Hirte, Slumbewohner oder Flüchtling zu ihm, sondern ein amüsiert lächelnder Minister, dem bei einer Tagung offenbar der Ablauf zu straff geplant war. Gleichwohl, Töpfer hat sich das zu Herzen genommen: „Nur wenn wir Zeit haben, können wir uns mit den Dingen ernsthaft beschäftigen“. Mehr als ein Lippenbekenntnis ist das aber nicht. Sein Terminkalender ist ‚massiv überlastet’, er musste ihn regelrecht durchforsten, um Zeit für dieses Gespräch zu finden. 
An einer Stelle hätte die Unterhaltung interessant werden können. Yogeshwar, der aus durchaus bedenkenswerten Gründen – keine Technik ist vor menschlichen Fehlern gefeit – schon lange für einen Ausstieg aus der Kernenergie war, kritisiert gleichwohl die Berichterstattung über Fukushima. Die Katastrophe sei regelrecht zelebriert worden; ständige Wiederholungen der Explosionen, Computeranimationen von radioaktiven Wolken mit Kurs auf Europa, dazu die Wortschöpfungen vom Super- oder gar Mega-GAU. Ohne diese ‚mediale Dauerübertreibung’ hätte es die Energiewende möglicherweise gar nicht gegeben.
Töpfer bestätigt das ungewollt. Ausdrücklich verteidigt er den Begriff Super-GAU. In Tschernobyl habe es eine Kernschmelze gegeben, in Japan habe sich das auf drei potenziert, also ‚einen Super-GAU hoch drei’. Nicht nur, dass er nicht erfasst, dass sich die Dimensionen der beiden Katastrophen um eine Größenordnung unterscheiden, zudem verwechselt er noch Multiplikation und Potenzierung. Überhaupt scheinen ihm völlig die Maßstäbe verloren gegangen zu sein. Bei den Bildern von Fukushima habe er daran denken müssen, dass die Menschen in Japan schon einmal unter einer nuklearen Katastrophe zu leiden hatten. Er meint die Atombomben auf Hiroshima und Nagasaki mit 300 000 Toten. Um derartige Aussagen richtig zu würdigen, sollte man die derzeitige berufliche Position Töpfers kennen. Er ist Direktor des Institute for Advanced Sustainability Studies in Potsdam, also einer Institution mit höchstem wissenschaftlichen Anspruch. 
Leider scheut sich Yogeshwar, die Konsequenzen seiner eigenen Überlegungen offen auszusprechen - die Energiewende keine wohlüberlegte ethisch fundierte Entscheidung, sondern die Reaktion auf eine aufgewühlte, von einem ‚Chor von Hysterikern’ (Yogeshwar) befeuerte öffentliche Meinung. Wie hätte dann auch sein Gesprächspartner, der Vorsitzende der Ethikkommission, dagestanden. Das konnte er ihm nicht antun, schätzt er ihn doch seit ihrer gemeinsamen Arbeit im Rat für Nachhaltige Entwicklung sehr als ‚Fürsprecher in Sachen Nachhaltigkeit’. Damit lässt sich eine gewinnbringende Erkenntnis aus dem Buch ziehen. Sprich Dich für Nachhaltigkeit aus und es gibt keine unangenehmen Nachfragen.

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