Fred Viebahn / 10.03.2007 / 12:12 / 0 / Seite ausdrucken

My Home Is My Castle. Oder: Es darf zurückgeschossen werden!

Die guten Bürger von Washington sollen sich endlich selbst verteidigen dürfen.

Wie aufmerksame Leser von Henryk Broders Website wissen, bin ich seit langem ein Verfechter des Privatwaffenbesitzes in den USA; die Gründe dafür will ich hier nicht wiederholen—ich habe mich darüber vor zwei Jahren ausführlich in meiner “Forsicht Freddy”-Kolumne ausgelassen: http://www.henryk-broder.de/forsicht_freddy/waffen.html Dabei gebe ich unumwunden zu, daß ich selbst immer dort im Auto (Kaliber 9mm) und der Jacken- oder Hosentasche (7,65 mm) von Ballermännern begleitet werde, wo es mit meiner “concealed carry”-Lizenz legal ist—also zurzeit in meinem Heimatstaat Virginia und einem guten halben Dutzend Anrainerstaaten, die mit Virginia Reziprokalabkommen haben. Daß ich damit ganz gut umgehen kann und für den hoffentlich nie eintretenden Notfall Streß- und Reaktionstraining absolviert habe, versteht sich. (Obwohl ich zugeben muß, daß mich meine Frau mit ihrem hübschen winzigen .38er Titaniumrevolver nicht nur beim Zielscheibenschießen glatt aussticht, sondern bei unseren gelegentlichen Auffrischungsübungen das Ding so fix aus der Handtasche zaubert, daß ich ihr nicht im OK-Coral gegenüberstehen möchte.)

Absolut verboten ist es jedoch, ein privates Schießeisen irgendwelcher Art in die ebenfalls an Virginia angrenzende Bundeshauptstadt Washington einzuschleusen—und nicht nur das: Man muß seit etwa zwanzig Jahren mit einer saftigen Strafe bis hin zu Knast rechnen, wenn man innerhalb der Stadt eine Feuerwaffe in den eigenen vier Wänden besitzt—vom eigenen Auto ganz zu schweigen. Sicherlich halten solche Regelungen viele unbescholtene Bürger davon ab, sich Waffen zuzulegen—auch wenn man fragen mag, wie solcher in wahrsten Sinne des Wortes ge”heim”-gehaltener Besitz strafauffällig werden könnte; für, sagen wir mal, “anständige” Menschen kann ja durchaus schon das Bewußtsein abschreckend sein, einen Gesetzesverstoß zu begehen, und ein solches Bewußtsein ließe sie nicht ruhig mit dem Colt in der Nachttischschublade schlafen. Außerdem ist es für Bürger der Hauptstadt schwierig, wenn nicht unmöglich, sich legal Waffen zu besorgen, es sei denn, sie haben auch einen Wohnsitz in einem Staat wie Virginia, der den freien Verkauf an seine eigenen Einwohner erlaubt (nach einer Überprüfung in den Zentralcomputern der Staatspolizei und des FBI, daß keine Vorstrafen vorliegen).

Aufsehen erregte vor fast zwei Jahrzehnten der Fall des inzwischen verstorbenen Washington Post-Kolumnisten Carl Rowan, der einen Einbrecher in seinem Haus stellte und mit einer Kleinkaliberpistole verwundete. Rowan wurde vom Staatsanwalt (dem wohl angesichts der Gesetzeslage keine Wahl blieb) wegen unerlaubten Waffenbesitzes und Körperverletzung vor ein Geschworenengericht zitiert, das sich allerdings nicht einigen konnte, was Rowan eine Verurteilung ersparte (aber auch keinen Freispruch bescherte). Der Einbruch kostete ihn letzten Endes nicht nur eine Menge Nerven und Ärger, sondern auch Zigtausende an Anwalts- und Gerichtskosten. Pikant war daran besonders, daß Rowan vorher einige eindeutige “Anti-gun”-Kolumnen geschrieben hatte; in einer hatte er gefordert—was dann tatsächlich in dasselbe Gesetz Eingang fand, unter dem er später vor den Kadi mußte—daß der Besitz privater Feuerwaffen in Washington ausnahmslos mit Gefängnis geahndet werden müßte.

Carl Rowan war der gelebte Widerspruch von Theorie und Praxis, wobei er seinen Lesern eine realitätsfremde Unvernunft predigte, dabei für sein eigenes Verhalten jedoch das vernünftige Recht beanspruchte, sich gegen Übeltäter nach Kräften zu verteidigen. Mit seiner einstigen reflexiven Verblendung angesichts der kletternden Verbrechensstatistik—als ob die Entwaffung der Bürger auch magischerweise eine Entwaffnung der Kriminellen bedeuten würde—war er damals keineswegs allein. Wie so oft in der Politik gab es auch in Washington ein illusorisches Wunschdenken, das voller Gutwilligkeit blindlings losraste und die Sackgasse vor der Nase für die Auffahrt zum Highway hielt. Volksvertretung und Stadtverwaltung des sozusagen “staatenlosen” District of Columbia (= Washington D.C.) hatten jahrzehntelang verzweifelt versucht, die explosiv zunehmende Bandenkriminalität einzudämmen und die immer wahnwitzigere Zahl der mit Schußwaffen verübten Verbrechen zu reduzieren; dabei waren sie auf die von keiner Logik getrübte, eher von populistischer Augenwischerei motivierte idiotische Idee verfallen, innerhalb der Stadtgrenzen einfach alle Privatknarren ausnahmslos zu verbieten. Genial—vor allem für die Kriminellen, die sich eh um keine Gesetze scheren, denn die konnten nun etwas beruhigter sein, daß sich bei einem car jacking der verängstigte Autofahrer einfach ausrauben oder auch mal totschießen ließ, statt selbst zuerst loszufeuern. Oder—um bei der irrwitzigen Illegalisierung des “home is my castle”-Prinzips zu bleiben—daß sie bei einem Einbruch zum Spaß so nebenbei noch schnell die Frau des Hauses vergewaltigen konnten, ohne zuerst vom Ehemann mit einem Kugelhagel durch die Schlafzimmertür begrüßt zu werden.

Gestern, Freitag, den 9. März, knallte es endlich mal umgekehrt: Denn das höchste Bundesberufungsgericht in Washington entschied, diesem gefährlichen Unfug in der Hauptstadt den Garaus zu machen, wenn auch zunächst nur mit Bezug auf die eigenen vier Wände unbescholtener Bürger. Weiter konnte das Gericht nicht gehen, weil der Einspruch der sechs Kläger sich lediglich auf diesen einen Aspekt bezog; es drückte jedoch in seinen Begleitkommentaren bereits die Tendenz aus, bei entsprechenden rechtlichen Anfechtungen durchaus bereit zu sein, die Gesetze des District of Columbia weiter abzuschwächen und höchstens Virginia-ähnliche Reglementierungen zuzulassen. Das zwanzig Jahre alte Stadtgesetz wurde für verfassungswidrig erklärt—es verstöße gegen den zweiten Zusatz zur Konstitution (siehe meinen oben erwähnten Artikel auf http://www.henryk-broder.de).

Hurra, kann ich nur jubeln—während die Stadtoberen sich in ihrer absurden Uneinsichtigkeit fassungslos zeigen. Linda Singer, Washingtons oberste Staatsanwältin, nannte die Entscheidung einen “riesigen Rückschritt” und weigerte sich, aus ihrem Luftschloß auf den Boden der Tatsachen zu treten, indem sie hinzufügte: “Wir haben Fortschritte dabei gemacht, Kriminalität und Waffengewalt einzuschränken, und dies schickt uns in eine andere Richtung.” Und der im vorigen November neugewählte und eigentlich ganz vernünftig wirkende Bürgermeister Adrian Fenty mußte gleich ins selbe Horn tuten—wer weiß, ob aus politischem Opportunismus oder, weil er auch schon die Wirklichkeit mit einem Wolkenkuckucksheim vertauscht hat: “Die heutige Entscheidung schlägt Gesetzen ins Gesicht, die zu einer Verminderung der Waffengewalt im District of Columbia beigetragen haben.” Ach, wirklich? Bei meiner morgendlichen Lektüre der Washington Post sehe ich eher, ganz empirisch, das Gegenteil. Und die letzten Statistiken, die ich zu Gesicht bekam, malten auch nicht gerade ein bukolisches Bild. Da wird weiter geschossen, was das Zeug hält—an Schulen, in Nachtclubs, auf der Straße, bei Einbrüchen, im Krieg der Drogenbanden. Zwanzig Jahre totales Waffenverbot im Privatbesitz hat so gut wie keine Morde verhindert—was es höchstens verhindert hat, sind Chancen für die guten Menschen von Washington, sich gegen ihre eigene Ermordung zu wehren.

Leider ist zu erwarten, daß der District of Columbia vor dem Supreme Court in Berufung geht und es mit einem solchen Einspruch vielleicht gelingt, die Bösewichter ihrer Stadt noch ein paar Jahre vor der Selbstverteidigung ihrer Bürger zu bewahren.

Siehe auch:
http://www.washingtonpost.com/wp-dyn/content/article/2007/03/09/AR2007030902416.html?referrer=emailarticle

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