Antje Sievers / 09.07.2015 / 15:00 / 4 / Seite ausdrucken

Mein privater Crashkurs für Italien

Als ich Florenz zum ersten Mal sah, war ich neunzehn Jahre alt. Ich war gerade seit drei Tagen in Italien, meine magere Reisekasse war schon zur Hälfte geplündert, und ich konnte einfach nicht begreifen, warum jeder, der mich sah, mich grundlos zu hassen schien. Ich stand auf dem Campingplatz hoch oben an der Piazzale Michelangelo, ein Gewitterregen von Dantesken Ausmaßen prasselte auf meinen Backpacker nieder, und man weigerte sich aus purer Bosheit und/oder Faulheit, mich auf den Platz zu lassen.

Da war mir klar, dass ich dieses miese Land mit seinen durch und durch verkommenen Bewohnern augenblicklich verlassen musste. Nach einer durchwachten Nacht auf dem Florentiner Bahnhof im Wartesaal II. Klasse machte ich allerdings einen folgeschweren Fehler: Da der nächste Zug nach München (Insider-Tipp: Nicht wundern, wenn dieses Reiseziel in Italien „Monaco“ heißt) erst um neun Uhr morgens ging, hatte ich noch satte vier Stunden Zeit totzuschlagen. Warum also nicht Florenz ansehen, wo man schon mal da war? Das, was in der Morgenstille so rosig angehaucht im Arnotal lag, war so atemberaubend schön, dass ich beschloss, doch noch eine Nacht dazubleiben. Ich blieb zwölf Nächte, und seitdem hänge ich an Italien mit der ungesunden Dummheit, mit der eine hörige Frau an einem kaltherzigen, brutalen Idioten hängt.

Seitdem ist viel Wasser den Arno hinuntergeflossen und die Florentiner haben enorm dazugelernt. Zufriedene Touristen lassen sich so viel besser melken als unzufriedene, und seitdem hat sich die Zahl der Florenzbesucher in etwa verzwanzigfacht. Mit zahlreichen öffentlichen Toiletten, klimatisierten Supermärkten, bezahlbaren und flotten Restaurants, Cafès und Pizzerien mit unglaublicherweise sowohl freundlichem als auch kompetenten Personal hat sich die Renaissanceperle in die Jetztzeit katapultiert. Da berappt man auch gern mal ohne weiteres fünf Euro, nur um durch einen Kreuzgang zu latschen.
Inzwischen habe ich auch gelernt, dass die Italiener den gemeinen Touristen nicht als solchen hassen, sondern nur die Tatsache, dass er nicht fließend italienisch spricht. Noch heute ist es symptomatisch, dass das englische Vokabular von italienischen Kellnern, die seit fünfundzwanzig Jahren fast ausschließlich mit Ausländern zu tun haben, und das bis zu zwölf Stunden täglich, im besten Fall aus den zwei Schlüsselwörtern „driiink“ und „griiill“ besteht.

Ein Crashkurs in der Landessprache ist daher dringend empfohlen, schon als Notwehrmaßnahme. Zu den ersten Sätzen, die ich in klingendem Italienisch sprechen lernte, gehörten die allernötigsten: Das Wechselgeld stimmt nicht! Das hier habe ich nicht bestellt und ich werde es auf keinen Fall bezahlen! Ich hole gleich die Polizei!

Diese neu erworbene Fähigkeit änderte meine Italienurlaube von Grund auf. Einmal schenkte mir im Zug zwischen Bologna und Venedig eine Signora spontan zehntausend Lire, weil sie so begeistert von meinen in nur drei Monaten erworbenen Kenntnissen war. So durfte ich das kleine Wunder erleben, dass mir italienische Herzen zuflogen und ich meinerseits auch mal die Italiener um ihr Geld erleichtern konnte.

Inzwischen ist Florenz nicht mehr die große Welt für mich, so wie früher, aber die Stadt ist immer noch eine zauberhafte, bis an den Rand mit Kunstschätzen prall gefüllte Wundertüte, die jeder gebildete Mensch wenigstens einmal im Leben geöffnet haben sollte. Im Hochsommer ist der Besuch nichts für Weicheier – Temperaturen um 35 ° sind dann keine Seltenheit. Um das Schlangestehen vor den Galerien der Uffizien und dem Palazzo Pitti zu vermeiden, sollte man am besten das Online-Ticket-Verfahren nutzen. Schattig und dazu noch gratis parkt man unterhalb der hoch gelegenen Kirche San Miniato al Monte. Das atemberaubende Panorama lässt den Besucher schnell vergessen, dass er später auch wieder hinaufsteigen muss, und dazu, wenn er schon längst nicht mehr kann, will und mag. Das beste Eis gibt es seit vielen Jahrzehnten in der Gelateria Vivoli ,Via dell’Isola delle Stinche, unweit von Santa Croce. Unbedingt besuchen sollte man den wunderbaren Spezialitätenhandel Pegna, ein Traditionsgeschäft beim Dom, das die Herzen von Schlemmern höher schlagen lässt und überdies mit einem Schlag jedwedes Mitbringselproblem lösen wird. Toskanische Produkte wie Weine und Olivenöle, getrocknete Steinpilze und senesische Lebkuchen sowie nie gesehene Schokoladenspezialitäten und außerhalb Italiens praktisch unbekannte, hervorragende Kosmetik- und Körperpflegeprodukte lassen keinen Wunsch offen.

Zuerst auf https://antjesievers.wordpress.com/

Sie lesen gern Achgut.com?
Zeigen Sie Ihre Wertschätzung!

via Paypal via Direktüberweisung
Leserpost

netiquette:

Ansgar Ankelmann / 11.07.2015

Meine erste Italienerinnerung: Termini Rom. Aus dem Bahnhof rausgelaufen, 3 Schritte die Treppe herunter und vor mir lag eine Einbahnstrasse aus der in verkehrter Richtung ein Polizeiauto rausfuhr, oder mehr schlich mit zwei Eis essenden Polizisten darin. Da war mir klar, ich bin in der Nähe von Afrika. Mein Tipp für Italienreisende: Die goldene Stunde. Wie es im Artikel anklang, Morgenstund hat Gold im Mund. Wenn noch alles ruhig ist und in eine schöne Farbe getaucht kann man wunderbar schlendern und den Italienern beim wach werden zusehen. Danach Frühstück mit Rotwein und langsam den Tag einläuten. Da kann dann fast nichts mehr schief gehen.

Matthias Kranzkowski / 10.07.2015

Dieser Artikel steht in der Tradition des Italienbildes des deutschen Urlaubers der 60er Jahre. Er steckt voller Allgemeinplätze, sprachlich in Kinderschuhen und sollte in der “Brigitte” veröffentlicht werden. Dann würde er ein grösseres Publikum ansprechen können.

Karl Otto / 10.07.2015

Liebe Frau Sievers, bestimmt ist es noch nicht so lange her, als Sie 19 Jahre alt waren und bestimmt hieß der Backpacker noch Rucksack. Als ich etwa in dem gleichen Alter war und zum ersten Mal nach Brasilien geflogen bin, hatte ich mir vorher einen kleinen “Langenscheidt” gekauft und die ersten Phrasen in Portugiesisch auswendig gelernt. Das war “damals” so üblich. Ich finde es immer noch in Ordnung, wenn man sich vorher mit dem Land befasst, in das man reisen will. Dazu gehören auch die Grundlagen der Landessprache. Es ist kein Manko, wenn Italiener in Italien italienisch sprechen. In unserem Land wir zur Zeit viel diskutiert über den Umgang mit anderen Kulturen und so manch einer/eine fühlt sich überhaupt nicht wohl mit dem, was ihm/ihr an fremder Kultur so aufgedrängt wird. Bei Reisen erwarten wir jedoch genau das gleich, nämlich, dass jeder, der uns begegnet mindestens englisch spricht und uns auch sonst auf unserem gewohnten “Standard” entgegenkommt.  Für viele ist es ein Reisemangel, wenn weder Aldi noch Lidl vor Ort vorhanden sind. Dabei haben wir doch bei Reisen die Gelegenheit, es selbst besser zu machen. Gewissermaßen als Anstand gegenüber denjenigen, denen wir uns als “Gast” aufdrängen. Also weiterhin viel Erfolg beim Lernen und Anwenden der italienischen Sprache. Gruß Karl Otto

Michael Fischer / 09.07.2015

Liebe Frau Sievers, ein schöner Artikel. Mir kommen Ihre Erlebnisse bekannt vor. ich habe sie früher auch erlebt. Gute Erfahrung habe ich in der Kommunikation mit Italienern so gemacht: Wenn Sie etwas wollen, sprechen Sie unter keinen Umständen Englisch oder Italienisch. Spielen Sie die Ausländerkarte. Sprechen Sie Deutsch, möglichst schnell, möglichst laut, möglichst aufgeregt, einfach immer drauf los. Sie werden feststellen, dass in kürzester Zeit die Leute zusammen laufen und alle versuchen werden Sie zu verstehen. Am Ende des Massendisputes steht dann die gewünschte Lösung, alle sind froh und freundlich, man trennt sich mit guten Gefühlen. Hat bei mir immer funktioniert. Beste Grüße!

Leserbrief schreiben

Leserbriefe können nur am Erscheinungstag des Artikel eingereicht werden. Die Zahl der veröffentlichten Leserzuschriften ist auf 50 pro Artikel begrenzt. An Wochenenden kann es zu Verzögerungen beim Erscheinen von Leserbriefen kommen. Wir bitten um Ihr Verständnis.

Verwandte Themen
Antje Sievers / 22.10.2019 / 17:00 / 2

Die Künstlerin, die die Trauer lehrt

Gabriele von Lutzau: Mutter zweier Kinder. Ehefrau. Katzenliebhaberin. Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Der größte Rolling-Stones-Fan des Odenwaldes. Ehemalige Flugbegleiterin. Und heute vor allem Bildhauerin. Ihre Ausstellung…/ mehr

Antje Sievers / 14.04.2019 / 15:00 / 10

Tradition als Lebenskunst

Italien, das Land, „wo die Zitronen blühn, im dunklen Laub die Goldorangen glühn“, versetzte bekanntlich nicht nur Goethe und Heine in wahre Glückstaumel von Entzücken…/ mehr

Antje Sievers / 26.02.2019 / 16:15 / 17

Die Zwangstaufe von Barmbek

Es muss in der sechsten Klasse gewesen sein. Im Religionsunterricht, in dem man zwar wenig über Religion, aber stets viel über den Lehrer lernen konnte.…/ mehr

Antje Sievers / 01.12.2018 / 17:00 / 15

Laila Mirzo: „Nur ein schlechter Muslim ist ein guter Muslim”

Dieser Tage sandte ich mein Buch „Tanz im Orientexpress – eine feministische Islamkritik“ an Laila Mirzo nach Linz in Österreich und es kam sogleich ein Buch zurück: Mirzos „Nur ein…/ mehr

Antje Sievers / 22.10.2018 / 17:00 / 6

Bunt ist es da, wo Frauen verschleiert werden

Der Wandsbeker Markt ist das Einkaufsparadies des Hamburger Ostens, des traditonellen Wohngebietes des Proletariats, während in den Villengebieten des Westens, in Blankenese und Othmarschen Unternehmer,…/ mehr

Antje Sievers / 21.10.2018 / 10:00 / 5

Peccioli: Kunst und Katzen

Toskana-Touristen kennen Pisa und Lucca, Florenz und Siena, Pienza und Montepulciano. Aber wer kennt eigentlich Peccioli? Die kleine Stadt liegt zwischen Pisa und Volterra, steht in keinem…/ mehr

Antje Sievers / 01.10.2018 / 16:00 / 5

Auf der Spur der Schwarzen Brüder

Armut ist zweifelsfrei nicht das Erste, was bei einem Aufenthalt am Lago Maggiore ins Auge sticht. Wenn bei Bucherer in Locarno die Brillis im Schaufenster…/ mehr

Antje Sievers / 26.06.2018 / 14:00 / 7

Aus aktuellem Anlass: Bauchtanz-Irrtümer

To whom it may concern: Seit einer guten Woche ist mein Buch „Tanz im Orientexpress – eine feministische Islamkritik" auf dem Markt, und die Erinnerungen werden wach.…/ mehr

Unsere Liste der Guten

Ob als Klimaleugner, Klugscheißer oder Betonköpfe tituliert, die Autoren der Achse des Guten lassen sich nicht darin beirren, mit unabhängigem Denken dem Mainstream der Angepassten etwas entgegenzusetzen. Wer macht mit? Hier
Autoren

Unerhört!

Warum senken so viele Menschen die Stimme, wenn sie ihre Meinung sagen? Wo darf in unserer bunten Republik noch bunt gedacht werden? Hier
Achgut.com