Von Wolfram Weimer.
Donald Trump und Justin Trudeau passen so gut zusammen wie Alexander Gauland und Jürgen Trittin – nämlich gar nicht. Der eine ist Mauerbauer, der andere Grenzaufreißer. Der erste Neo-Nationalist im Weißen Haus steht gegen den letzten Multikulti-Regierungschef. Kurzum: rechter Elefant gegen linken Papagei. Trudeau betet öffentlich in Moscheen, tanzt indisch, trägt Indianerschmuck und tritt in einem rosaroten T-Shirt auf mit dem Slogan “Liebenswürdigkeit passt für alle”. Trump twitterte darob über den kanadischen Premierminister: “Trudeau macht einen schrecklichen Job. Er sollte sich schämen, sich Präsident von Kanada zu nennen.” Als Trump nun sein Einreiseverbot verkündete, twitterte Trudeau zurück: Kanada heiße Flüchtlinge und Einwanderer willkommen.
Die Spannung war daher groß, als der Multikulti-Kanadier seinen Antrittsbesuch in Washington machte. Doch zur Verblüffung der Weltöffentlichkeit haben beide einen guten Draht zueinander gefunden. Journalisten in Washington rieben sich geradezu die Augen: Die gemeinsame Pressekonferenz wurde eine Demonstration von Brüderlichkeit. Man beschwor alte Allianzen und neue Chancen. Konflikte wurden kleingeredet, Gemeinsamkeiten großgeblasen. “Produktiv und fruchtbar” sei das Gespräch gewesen, hieß es offiziell. Die USA seien glücklich, einen Nachbarn wie Kanada zu haben, sagt Trump und wirkte plötzlich nicht mehr wie ein Poltergeist, sondern wie ein ganz normaler, versöhnlicher US-Präsident. “Er lernt Diplomatie”, hieß aus Medienkreisen, und weiter: “Ein Gast nach dem anderen erzieht und zivilisiert ihn. Trudeau ganz besonders.”
Tatsächlich hat Trudeau eine geschickte Strategie der Trump-Bändigung in vier Schritten präsentiert, die auch für Europäer noch interessant werden könnte.
Schritt 1: Alte Allianzen, historische Bande und Waffenbruderschaften betonen. “Wir haben in Schlachten gemeinsam gekämpft und sind gemeinsam gestorben. Wir sind engste Verbündete”, rief er Trump tatsächlich zu, der für dreierlei Pathos immer zu haben ist.
Schritt 2: Interessen-Parallelität herstellen. Eure Arbeitsplätze hängen an unseren Arbeitsplätzen, erklärte der Papagei dem Elefanten, und der nickte seinen Dickschädel. Trudeau betonte, dass die Wirtschaft eng verflochten sei und man nur gemeinsam mehr Wachstum und Arbeitsplätze schaffen werde. In der gemeinsamen Erklärung hieß es: “Kanada ist der wichtigste ausländische Markt für 35 US-Staaten, und mehr als zwei Milliarden Dollar an bilateralem Handel fließen täglich über unsere gemeinsame Grenze.”
Schritt 3: Trump gut aussehen lassen. Trump und Trudeau präsentierten ausgerechnet eine neue Initiative für die Besserstellung von Frauen in der Arbeitswelt. Just der US-Präsident sagte, es sei wichtig, dass Frauen arbeiten und vorankommen könnten. Trudeau betonte, dass die neue Arbeitsgruppe Frauen helfen solle, die Barrieren in der Geschäftswelt zu überwinden. Der diplomatische Trick dabei: Eine tragende Rolle bei dem Runden Tisch bekam Trumps Tochter Ivanka, die dazu Führungskräfte aus kanadischen und US-Unternehmen eingeladen hatte. Die Trump-Familie bekam so beste PR, und Trump konnte sein Bild als Frauenverachter korrigieren.
Schritt 4: Gemeinsame Feinde benennen. Die eigenen Meinungsunterschiede werden klein, wenn man große gemeinsame Feinde hat. Trump und Trudeau benannten in der Pressekonferenz den Terrorismus im Nahen Osten und Nord-Korea als Bedrohungen. Man werde “Seite an Seite” für mehr Sicherheit kämpfen. Der Papagei und der Elefant wirkten plötzlich wie Freunde, als über den nordkoreanischen Drachen gesprochen wurde.
Die Trudeaus sind für Kanada, was die Kennedys für die USA bedeuten
Mit seiner Vierschritt-Strategie brachte der Kanadier Donald Trump tatsächlich zu versöhnlicher Rhetorik und einer pragmatischen Haltung zu den wichtigen Streitfragen. Trudeau kann nach diesem Besuch entspannter die weiteren Verhandlungen zum nordamerikanischen Freihandelsabkommen angehen. Zumal Kanada von manchen Entscheidungen Trumps sogar direkt profitiert. So hat Trump grünes Licht für die von Umweltschützern bekämpfte Keystone XL-Ölpipeline gegeben. Durch sie soll künftig kanadisches Öl an den Golf von Mexiko fließen. Trumps Vorgänger Barack Obama hatte das Projekt noch abgelehnt.
Für Trudeau ist der Erfolg seines Antrittsbesuches besonders wichtig. Denn der junge Premier steht in Kanada inzwischen unter Druck. Das heile Bild des weltoffenen Kanada trifft zusehends weniger die harte Realität multikultureller Spannungen. Der jüngste Anschlag von Quebec hat das politische Klima in Kanada belastet. Ähnlich wie Angela Merkel in Deutschland gilt auch Trudeaus Migrationspolitik inzwischen mehrheitlich als zu offenherzig. Außerdem verfolgt den linksliberalen Regierungschef ein Parteispenden- und ein Luxusreisen-Skandal, da er zur Jahreswende seinen Bahamas-Familienurlaub auf Kosten eines befreundeten Multimilliardärs (Prinz Schah Karim Aga Khan) verbracht hatte.
Für einen Premier namens Trudeau ist das besonders peinlich. Die Trudeaus sind für Kanada, was die Kennedys für die USA bedeuten: liberale Politiklegenden. Justin ist der älteste Sohn von Pierre Elliot Trudeau, einem charismatischen Intellektuellen, der (mit kurzer Unterbrechung) von 1968 bis 1984 kanadischer Premierminister war. Trudeau liberalisierte Kanada mit einem Stil, als sei das Land ein ewiges Woodstock-Konzert. Zeitweilig war er mit der Schauspielerin und Sängerin Barbra Streisand liiert, Ikonen wie John Lennon und Yoko Ono besuchten ihn an seinem Amtssitz in Ottawa, worauf sich der Beatle mit dem Satz bedankte: “Wenn alle Politiker wie Mr. Trudeau wären, dann hätten wir Frieden auf der Welt.”
Zu Pierre Trudeaus Glitzerglamour trug auch seine Ehefrau Margaret bei. Damals 48 und noch Justizminister, lernte er das 18-jährige “Blumen-Mädchen” in den Ferien auf Tahiti kennen und heiratete 1971. Die beiden hatten drei Söhne, Justin, der älteste, kam an Weihnachten 1971 auf die Welt. Die wilde “Maggie” hatte offene Affären mit Musikern wie den Rolling Stones und Politikern wie dem US-Senator Ted Kennedy. Sie wurde mit Jack Nicholson auf einer Herrentoilette überrascht, feierte die Nächte mit Andy Warhol im legendären New Yorker “Studio 54”, während der Premierminister und Ehemann Pierre sich daheim in Kanada um die Politik und die drei Söhne kümmerte. Die amerikanisch-kanadischen Beziehungen waren schon damals irritierend nah und fern zugleich.
Dieser Beitrag erschien zuerst auf The European hier.