Die kostenlose Verteilung von Ikea-Katalogen, Discounter-Prospekten und Autohaus-Sonderangeboten sollte sofort unterbunden werden. Auch die Gratis-Proben diverser Drogeriehäuser gehören verboten. Sie degradieren den Bürger zum Konsumtrottel und vermitteln jungen Menschen mit wenig gefestigter Persönlichkeit ein sehr einfa-ches Weltbild. Schluss damit, hier liegt eindeutig ein Fall für Günter Krings vor. „Wo immer dies möglich ist, muss diese aggressive Aktion gestoppt werden“, sagt der Unions-Bundestagsfraktionsvize Krings. Er bezieht sich dabei allerdings nicht auf Aldi oder Lidl, sondern auf ein religiöses Sonderangebot, das derzeit in Fußgänger-zonen offeriert wird: Kostenloser Koran, zugreifen und mitnehmen! 100 000 heilige Bücher sollen so unters deutsche Volk gebracht werden. Auch der Präsident des hessischen Landesamtes für Verfassungsschutz warnte vor der Verteil-Aktion, weil labilen jungen Menschen ein „sehr einfaches Weltbild“ suggeriert werde.
Verramscht werden die Schriften von einer obskuren Salafistensekte um den Kölner Geschäftsmann und Prediger Ibrahim Abou Nagie. Den hat der Verfassungsschutz im Auge, weil er junge Menschen zum radikalen Islam verführen will. Ob ihm das mit der Verschenkoffensive gelingt, sei jetzt einmal dahin gestellt, schließlich heißt in Deutschland ein geflügeltes Wort: Was nichts kostet, ist nichts wert.
Die Behörden sollten Abou Nagie und seine Spießgesellen beobachten und vor Ge-richt stellen, wenn sie sich nach deutschem Recht etwas zu Schulden kommen las-sen. Das kostenlose Verteilen eines tausendjährigen Buches, das zur Weltkultur ge-hört, zählt allerdings nicht dazu. Schließlich liegt der Koran genau wie die Bibel auch in vielen Hotelzimmern in der Nachttischschublade. Wo will man denn anfangen und wo aufhören, mit dem Verteil-Verbot von Gratis-Schrifttum? Die Fußgängerzonen der Republik stehen schließlich voll mit Sektenmitgliedern, die mal schweigend mal pre-digend erbauliche Heftchen hochhalten, die wahlweise die kommende Apokalypse oder die Weltrettung verkünden. Sollen sie doch. Das Publikum reagiert darauf eher belustigt als betroffen. Und auch Abou Nagie und seine Jünger laufen Gefahr, dass ihre Mission gründlich misslingt. Denn wer weiß, was die Beschenkten mit dem Ko-ran so alles machen. Endet er als Bierdeckel? Zum Fisch einwickeln? Oder gar als Heizmaterial für den Kaminofen? Auch das ist nach deutschem Recht nicht verboten. Und darum geht es.
Erschienen in DIE WELT am 13.04.2012