Wolfgang Röhl / 15.12.2008 / 10:34 / 0 / Seite ausdrucken

Helmut Schmidt. Ein Ständchen

Zwei Hamburger Originale haben es über Jahrzehnte geschafft, bei Journalisten Bauchgrimmen zu erzeugen, wenn Interviews anstanden. Zur 2004 verstorbenen Schauspielerin Inge Meysel wurden zuletzt vorzugsweise Jungredakteure oder Praktikanten entsandt. Denn kein gestandener Reporter mochte sich die Grand ol´ Schachtel mehr antun, die Besucher in ihrer Villa in Bullenhausen an der Unterelbe gelegentlich nur dürftig bekleidet empfing. Zum Kanzler a.D. Helmut Schmidt gingen Menschen der schreibenden Zunft nur dann, wenn sie sich auch zutrauten, ein brennendes Gebäude ohne Gasmaske zu betreten. Schmidt pflegte sowohl sein Reihenhaus in Hamburg-Langenhorn als auch seine ikeaspießig möblierte Datscha am schleswig-holsteinischen Brahmsee wie für eine Feuerwehrübung voll zu quarzen…

Beiden Journalistenschrecks war gemein, dass sie a) unausbremsbar stundenlang zu dozieren vermochten, b) niemals ein Hehl daraus machten, dass sie die Lümmels vom Presswesen innig verachteten und c) ihrer eigenen Einschätzung nach erkannt hatten, was die Welt im Innersten zusammenhält. Insofern war es keine Überraschung, dass sowohl das Editorial als auch der Anfang der „Spiegel“ -Titelgeschichte „Über Schmidt“ schwer angepisst klang („müht sich kaum, seine Neigung zum Oberlehrerhaften zu verbergen“, „vergibt unerbittlich Kopfnoten an alle Welt“). Jeder Leser merkte gleich: der Alte hatte der aufmarschierten Interviewertruppe, zu der kein Augstein, nicht mal mehr ein Aust gehörte, die größtmögliche Geringschätzung dargebracht. Dumm gelaufen, wenn notorische Kopfnotengeber und Oberlehrer auf einen treffen, der die Disziplin Welterklärung so viel souveräner beherrscht.

Einen weiteren Grund des beleidigten Spiegel-Tonfalls kolportierten prompt die Mediendienste. Die Titelgeschichte zu Schmidts 90. Geburtstag am 23. Dezember enthielt, ziemlich unüblich, keine wörtlichen Zitate aus dem Interview. Da das Magazin mit seinem Geburtstags-Stück „Über Schmidt“ schon am 8. Dezember vorgeprescht war, hatte die „Zeit“, über deren Büros der Spiegel sein Interview mit dem Zeit-Herausgeber Schmidt autorisieren lassen musste, die Chose so lange verzögert, bis die Spiegel-Ausgabe 50/08 in Druck ging. Denn die Zeit-Redakteure hatten selber umfangreiche Schmidt-Homages in der Pipeline und waren nicht gierig darauf, sich diese von den Jungs aus der Brandstwiete klauen zu lassen. So sorgte der Wettlauf um Gratulationen für Frohsinn in der Medienwelt.

Wenn Schmidt Sinn für Scherze besäße, hätte ihn das amüsiert. Lachen war aber noch nie seine starke Seite.

Mein Rückblick auf ihn geht kurz. Ich war 15 Jahre alt und lag mit Fieber nahe der Elbe im Bett, als Helmut Schmidt, damals Innensenator in Hamburg, während der Flutkatastrophe einem Hühnerhaufen von verantwortungsscheuen Schwätzern das Kommando entriss und ein noch größeres Unglück verhinderte. Im Alter von 21 Jahren war es mit meiner Verehrung erstmal vorbei, als unter Schmidts tatkräftiger Hilfe 1968 die Notstandsgesetze durchgezogen wurden. Sechs Jahre später wurde er Kanzler, und es schwante einem wie mir, der nicht dem von der DKP unterwanderten Flügel der SPD angehörte, dass dies vielleicht nicht so schlecht war. 1977, als die Wellen hoch gingen, waren abgesehen von den Terroristen alle heilfroh, dass nicht mehr der Zauderer Brandt am Ruder stand (Schmidts Credo, dass man zum Arzt gehen solle, wenn man Visionen hat, finde ich fast noch besser als John Lennons Diktum „Avantgarde ist nur das französische Wort für Bullshit“). 1979 teilte Schmidt das Land - oder doch wenigstens die veröffentlichte Meinung -, als unter seiner maßgeblichen Mitwirkung der NATO-Doppelbeschluss durchgesetzt wurde, gegen die Epplers der Republik. Der Beschluss stellte sich später als solider Nagel heraus, mit dem der Sarg des Kommunismus gezimmert wurde.

Helmut Schmidt, der harte Hund, der große Humorfreie, die ewige Qualmwolke, der niemals Korrumpierte, er war der politische Glücksfall der Nachkriegsdeutschen. Nach ihm ist gekommen: nichts Nennenswertes. Von mir aus dürfte er jeden Tag einen präpotenten Journalisten beleidigen. Sogar auspeitschen! Solange es nicht mich trifft.

 

 

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