Fred Viebahn / 25.08.2008 / 10:57 / 0 / Seite ausdrucken

Feministen und Feministinnen für Biden?

Ich komme aus dem Staunen nicht heraus. Nicht, weil ich in meinem Wunschdenken, Barack Obama möge Kathleen Sebelius, die Gouverneurin von Kansas, zu seiner Vizekandidatin küren, enttäuscht wurde, sondern über die Reaktion meiner fünfundzwanzigjährigen feministischen Tochter Aviva auf seine Wahl von Joe Biden.

Dazu gibt es zwei miteinander verwobene Vorgeschichten: Die erste, unmittelbare, ist, daß Aviva seit eh und je emphatisch die Präsidentschaftskandidatur von Hillary Clinton unterstützte. Daß ihre Mutter und ich anfangs für John Edwards waren, ließ sich von ihr vielleicht noch mit der generellen “Wählbarkeit” eines gutaussehenden, aus südstaatlichem Arbeitermilieu stammenden weißen Juristen rationalisieren und auch mit unserer persönlichen Freundschaft zu einem von Edwards’ engsten Beratern. Aber daß wir dann im vergangenen Winter von John Edwards sozusagen auf Barack Obama umsattelten, enttäuschte sie sehr; während wir uns ein bißchen wunderten, warum unsere Tochter aus schwarz-weißer Ehe keine Affinität zu einem Sohn aus weiß-schwarzer Ehe empfand, stießen wir sie damit vor den Kopf, daß wir nicht mit Volldampf für die erste Frau in der US-Geschichte eintraten, die eine reelle Chance aufs höchste Amt hatte.

Natürlich hätte man kontern können, daß es sich bei Barack Obama um den ersten dunkelhäutigen Kandidaten handelt, der eine reelle Chance aufs Weiße Haus hat; jedoch spielt das für Aviva nur eine untergeordnete Rolle. Denn was die bi-rassische Herkunft sowohl unserer Tochter als auch des demokratischen Präsidentschaftskandidaten betrifft, haben die beiden etwas Wesentliches gemeinsam: Sowohl der Sohn eines Kenianers und einer “Anglo” aus Kansas als auch die Tochter einer Afroamerikanerin und eines Deutschen sind im großen und ganzen frei von Rassismus und ohne kulturelle Einzwängungen aufgewachsen, im Gegensatz zu den meisten schwarzen Amerikanern. Aviva hat zwar ein ausgeprägtes soziales Gewissen, aber sie fühlt sich ethnisch weder zugehörig zu den Opfern noch den Tätern in der komplexen Rassengeschichte der USA; im Gegenteil, sie war und ist stolz darauf, zwei Pässe zu besitzen, zwei Sprachen zu sprechen, eine schwarze Mutter und einen weißen Vater zu haben, Amerikanerin und Deutsche zu sein. Und da es in ihrem eigenen Leben so gut wie keinen Rassismus gibt, wenigstens keinen negativen, ist ihr ethnische Solidarität weniger wichtig als sexuelle. Denn daß Frauen trotz aller Errungenschaften und markanten Worte immer noch von Männern dominiert werden, allein zahlenmäßig, und vor allem in Politik, Wirtschaft und den Medien, obwohl sie über fünfzig Prozent der Bevölkerung ausmachen, kann jeder Blinde mit dem Krückstock erkennen.

Die zweite Vorgeschichte ist persönlicher Art: Von 1993 bis 1995 war meine Frau “Poet Laureate of the United States”, mit einem schönen Büro in der Library of Congress, einem Etat für Lesungen und Literaturförderung—und vor allem einem Renommee, das uns im Laufe der Jahre viele Teilnahmen an offiziellen Veranstaltungen, Essen, Empfängen und Parties einbrachte; einige der damaligen Kontakte entwickelten sich sogar zu Freundschaften. Da die Clintons von Anfang an einen Narren an Rita gefressen hatten, häuften sich bald auch die Einladungen ins Weiße Haus und zu anderen Veranstaltungen mit Präsident und First Lady. Aviva war erstmals dabei, als wir Sylvester 1994 am Renaissance Weekend auf der Insel Hilton Head in South Carolina teilnahmen, einer mehrtägigen Zusammenkunft einflußreicher, meist demokratisch tendierender Amerikaner und ihrer Familien—diskussionsreiche Feiertage mit Power-Networking. Dann, beim Neujahrsfrühstück im Ballsaal des Veranstaltungshotels, passierte das Unglaubliche: Die Clintons saßen mit einigen Freunden rund um einen Tisch, an dem noch ein Platz frei war, wir zwei Tische weiter. Da fiel Hillary Clintons Blick auf Aviva, und sie winkte ihr einladend zu, auf den freien Stuhl weisend. Die nächste Stunde saß unsere Elfjährige neben der First Lady und beantwortete hin und wieder kauend Fragen, an die sie sich später in ihrer Aufregung nicht mehr erinnern konnte. Was sie jedoch nie vergaß, war Hillarys warmherzige Aufmerksamkeit (die ich übrigens nur bestätigen kann). So kam es zum “First Contact” zwischen den beiden, dem über die Jahre weitere Treffen folgten, einschließlich des prunkvollen “Millennium Dinner” im Weißen Haus am 31. Dezember 1999, und zuletzt, vor zwei Jahren, einem weiteren Renaissance-Sylvesterabend, diesmal in Charleston, South Carolina, bei dem sich Hillary, nun Senatorin des Staates New York, sofort an Aviva erinnerte und sie über ihre Doktorarbeit an der University of Rochester ausfragte.

Anfang August ist unsere Tochter von Rochester, New York nach Colorado gezogen, in die Nähe von Denver, um dort mithilfe eines einjährigen Stipendiums den Endspurt an ihrer kulturstudlichen Doktorarbeit hinzulegen. Als ich gestern ihr Handy anklingelte, um ihre Reaktion auf Obamas Wahl eines älteren weißen Herren zu erkunden (naja, Biden ist bloß vier Jahre älter als ich—aber so alt kann ich doch noch gar nicht sein?), erwartetete ich eine feindselige Tirade gegen das Chauvi-Tandem. Sie hatte gerade mit ihrem koreanischen Allradler die Stadtgrenze von Denver erreicht und nicht viel Zeit: Sie träfe sich gleich zum Abendessen mit einer Freundin aus North Carolina, die als Hillary-Delegierte beim Demokratenkongreß eingeflogen sei.

“Sag mir nur schnell, was du denkst.”

Biden sei ein guter Mann, erwiderte sie; ich kippte fast vom Sessel. Er habe das politische Herz auf dem richtigen Fleck, und wenn schon nicht ihr Favorit Hillary erkoren wurde, dann sei der Senator von Delaware der richtige.

“Aber Kathleen Sebelius… Ich dachte, Du willst eine Frau…”

Nicht um jeden Preis, sagte sie. Obama reiche ihr als unbeschriebenes Blatt.

“Naja, unbeschrieben stimmt nicht ganz.”

“OK: Wenig beschrieben. Und viel radiert und umformuliert.” Selbstverständlich würde sie ihm als eingefleischte Demokratin im November ihre Stimme geben, und mit Biden auf dem Ticket fühle sie sich ein bißchen besser; aber bitte, ich solle weiterhin nicht erwarten, daß sie dem Beispiel ihrer Eltern folge und sich einen Obama-Sticker aufs Auto klebe.

Die nächsten Tage wird Aviva, dank ihrer Delegiertenfreundin aus North Carolina, beim Kongreß in Denver dabei sein; Rita und ich sind gespannt, ob die persönliche Erfahrung ihr Mißtrauen gegenüber Obama dämpfen wird, so wie die persönlichen Erfahrungen mit Hillary den Grundstock zu ihrer Unterstützung durch dick und dünn legten. Ich bezweifle es—schon deshalb, weil sie in der zigtausendköpfigen Delegierten- und Offiziellenmasse wohl kaum an den Präsidentschaftskandidaten herankommen dürfte; da ist es, so unwahrscheinlich es klingt, wahrscheinlicher, daß die scharfäugige Hillary oder ihr Mann, der ehemalige Präsident des Landes mit seinem computerähnlichen Personengedächtnis, die bi-rassische Fünfundzwanzigjährige in der Menge wiedererkennen, die sie einst als Elfjährige an ihren Frühstückstisch holten. Und die kommenden zwei Monate werden wir, fürchte ich, um des lieben Friedens willen mit unserer Tochter um das Thema Präsidentschaftswahl weiterhin einen Eiertanz vollführen müssen. Wenden mag sich das Blatt in unserer Familie erst, sollte Obama im November gewinnen und Hillary Clinton zu seiner Außenministerin ernennen… Man wird ja wohl hoffen dürfen!

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