Alexander Wendt / 21.11.2013 / 17:50 / 4 / Seite ausdrucken

Feiges Pack aus dem hohen Norden

Wenn es die kulturelle Sensibilität gegenüber dem Islam oder Wladimir Putin gebietet, entdeckt das totalsympathische schwedische Möbelhaus die Möglichkeiten: Nämlich die, zu viel nackte Frauenhaut im Katalog zu retuschieren – oder ein Foto von zwei Lesben aus dem Russlandkatalog zu werfen, bevor sich irgendein Moskauer Zensurbeamter überhaupt missbilligend räuspern kann. Vorbildlich neutral verhielt sich Ikea bekanntlich schon, als die Firma ein Teil ihrer Möbel in DDR-Knästen montieren ließ.

Das bunte Diversity-Image, liebe Kunden aus dem Westen, ist eben auch ein Produkt: praktisch und knuffig. Bei Bedarf (beziehungsweise Nichtbedarf) kann es aber ganz schnell unter dem lustigen Teppich „Duckmaus“ oder in der Abfalltonne „Quisling“ verschwinden. Genau so wie das Lied „Die Gedanken sind frei“ aus dem China-Programm des Dresdner Kreuzchors oder Aktbilder aus einer von Muslimas frequentierten Berliner Volkshochschule. Ein Umstand verbindet alle Fälle: Es gab nirgends auch nur einen ernsthaften Zensurversuch von außen.
Man will sich gar nicht vorstellen, was passieren würde, wenn sich ein Adressat der Kultursensibilität tatsächlich einmal räuspern würde.

Ikea zensiert Lesben im eigenen Magazin  - aus meedia vom 21. November 2013.
Zwei lesbische Frauen, die gemeinsam ein Kind in London aufziehen: Das ist für Ikea und sein Kundenmagazin Family zu viel - zumindest in Russland. Weil das dortige Recht positive Äußerungen über Homosexualität unter Strafe stellt,, streicht der Möbelriese vorsorglich die Doppelseite mit den zwei lesbischen Frauen aus der russischen Ausgabe. Damit umgeht der Konzern einen möglichen Rechtsstreit mit dem Kreml. Es ist nicht das erste Mal, dass Ikea das eigene Magazin oder den Katalog zensiert.

“Bei Ikea haben wir zwei Richtlinien hinsichtlich der Kommunikation”, erklärt Ikea-Sprecherin Ylva Magnusson im Aftonbladet. “Erstens geht es um Inneneinrichtung. Zweitens: Wir folgen dem Gesetz.” Die russische Gesetzgebung hätte Einschränkungen, was die Förderung von gleichgeschlechtlichen Partnerschaften angeht. Den Vorwurf des Opportunismus auf Kosten der Schwulen-Community will Ikea aber nicht auf sich sitzen lassen. Man wolle “neutral” bleiben.

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Leserpost

netiquette:

Maria Leuschner / 23.11.2013

@ Wahlder, haben Sie noch nichts von Selbstzensur gehört? Dies ist die schlimmste Form von Zensur, siehe DDR, UdSSR, da Verinnerlichung von Normen und Angst! @ Medved, “feiges Pack”, auch Sie haben nicht begriffen, wohin undemokratisches Denken und Handeln gerade in der freien Wirtschaft führen kann. Warten Sie nur ab, wenn die Chinesen Ihnen dies vor Augen führen.

Christian Fragstein / 22.11.2013

Schon weiland Harald Schmidt sagte: “Juristisch gesehen: Wenn Sie bei IKEA auf Möbel einschlagen, gilt das als Notwehr. “

Axel Wahlder / 21.11.2013

Nun, nicht zensiert, sondern redaktiert. Zensieren kann nur die Behörde. Man erzählt uns im Fernsehen nichts über Marko Gutschner, aus Rosenheim, aber das ist keine Zensur, sprich Verbot, sondern die Entscheidung des Berichtverfassers.

Ludvik Medved / 21.11.2013

Wieso “feiges Pack”? Sollen die sich etwa strafbar machen, nur um Ihnen einen Gefallen zu erweisen? Gerade auf dieser Website wird (zu Recht) die freie Wirtschaft sehr betont. Gilt das auf einmal nicht mehr? Das ist doch recht einfach: Man produziert dort, wo es am günstigsten ist (DDR) und verkauft überall wo man kann. Was ist daran auszusetzen? Mit freundlichen Grüßen

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