Worum es beim Brexit-Streit geht

In der Berichterstattung über den Brexit-Streit – zumindest in Deutschland – wird meist kaum oder nur sehr verschwommen deutlich, worum es zwischen den Verfechtern eines harten Brexit (no deal) und eines Exit-Vertrags mit der EU geht. Dabei ist dieser Kern gar nicht schwer zu verstehen. Im „New Yorker“ fasste John Cassidy bündig zusammen, was ein Vertrag aus Sicht der EU bedeutet:

„Nicht ohne Grund befürchten (Donald) Tusk und seine Kollegen, dass das eigentliche Ziel der Brexiteers darin bestand, Großbritannien zu einem deregulierten, von niedrigen Löhnen und niedrigen Steuern geprägten Wettbewerber der EU zu machen. So machten die Europäer klar: Wenn Großbritannien weiter den vollen Zugang zum EU-Markt will, muss es sich weiter an die EU-Standards zur Besteuerung, Beschäftigung, zu Wettbewerb und Umwelt halten und einige Urteile des Europäischen Gerichtshofs beachten.“

Großbritannien würde sich zwar die Überweisungen nach Brüssel sparen, dürfte dafür aber in keinen EU-Gremien mehr mitbestimmen, müsste aber auf praktisch allen rechtlichen Gebieten so tun, als wäre es weiter EU-Mitglied. Also: ihr dürft virtuell gehen, aber nur, wenn ihr eigentlich bleibt. Beziehungsweise, wie es der Begriff Roach Motel meint: You only check in, you never check out.

Die Befürchtung, das Vereinte Königreich würde zum Niedriglohnsektor, ist ziemlich absurd: kein EU-Anrainerstaat zeichnet sich durch Dumpinglöhne aus, weder die Schweiz noch Norwegen. Die Angst vor einem Wirtschafts- und Steuerwettbewerb dürfte dagegen real sein. In der Ökonomie nennt sich das, was die EU will, Kartellbildung. Das macht die Position der Befürworter eines harten Brexit plausibel.

EU-Politiker und Medienvertreter verrechnen sich schlicht

Zu den wenigen nüchternen Stimmen in Deutschland zählt der Ökonom Gabriel Felbermayr vom ifo-Institut München, der die EU-Position ebenso wie die Befürworter des harten Brexit als Problem sieht. Er weist darauf hin, dass sich die meisten EU-Politiker und Medienvertreter schlicht verrechnen, wenn sie glauben, ein harter Brexit würde eigentlich nur Großbritannien schaden, den 27 EU-Staaten aber kaum oder nur wenig. Zwar veranschlagt Felbermayr den Schaden für das Königreich höher als für die EU, weist aber darauf hin, dass die EU ohne Großbritannien – der zweitgrößten Wirtschaftsmacht der EU – erheblich an Verhandlungsmacht für Zollabkommen mit den USA und China einbüßen würde. Das dürfte sich wirtschaftlich vor allem in der Bilanz von Handelsstaaten der EU zeigen. Wie stark, lässt sich kaum schätzen.

Der ifo-Wissenschaftler schlägt deshalb vor, Großbritannien in der Handelspolitik auch nach einem Brexit mitreden zu lassen:

„Es wäre aus deutscher und europäischer Sicht geboten, Großbritannien ein politisches Mitspracherecht in der gemeinsamen Handelspolitik anzubieten. Dies könnte mit einem Stimmrecht in den einschlägigen Gremien des Rates und des EU-Parlament verbunden sein.“

Das wäre ökonomisch vor allem für die Exportnation Deutschland rational. Für Tusks und Junckers EU geht es allerdings – wie fast immer – um das Prinzip.

Dieser Beitrag erschien zuerst auf Alexander Wendts Publico.

Foto: Andrew Parson www.gov.uk OGL via Wikimedia Commons

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Bernhard Maxara / 12.12.2018

Nachdem mich in meinem siebzigjährigen Dasein auf diesem Planeten kein Schwanz je befragt hat, ob ich eine Montanunion, eine EWG, eine EU , einen Maastricht - oder Lissabonvertrag, einen Euro, einen ESM oder gar eine Target 2 für zweckmäßig halte, weil nämlich mein Vater und seine Altersgenossen den Krieg verloren haben, geht mich das alles ja eigentlich nichts an. So kann ich den gesamten Themenbereich Brüssel also in Ruhe von außen, gewissermaßen phänomenal betrachten.  Und aus der Objektivität des (zwangsweise) Außenstehenden stellt sich mir die “EU” als ein Verein dar, dessen Vorstand sich aufgrund undemokratischer Bestallung in einer permanenten Legitimationskrise befindet, daher Mitglieder zu verlieren droht und sein Hauptinteresse in der Abschreckung vor Austritten zu sehen gezwungen ist. Menschlich verständlich, aber moralisch nicht zu vertreten.

Karla Kuhn / 12.12.2018

“Es wäre aus deutscher und europäischer Sicht geboten, Großbritannien ein politisches Mitspracherecht in der gemeinsamen Handelspolitik anzubieten. Dies könnte mit einem Stimmrecht in den einschlägigen Gremien des Rates und des EU-Parlament verbunden sein.“  Herr Felbermayr schein ein Mann mit Durchblick zu sein !! Heute konnte ich lesen Merkel läßt May abblitzen. Mit was bitteschön ? Merkel hat doch von Ökonomie gar keine Ahnung und die wirklich guten Berater z. B wie Prof. Otte und Prof. Dr. Dr. Christian Kirchner hat sie nicht beachtet.  Warum auch,  die Frau scheint ja alternativlos zu sein.  Herr Haferburg, genau so ist es !

dieter schimanek / 12.12.2018

Sind wir doch einmal ehrlich, wen haben die Nationalstaaten nach Brüssel geschickt? Wenn ich mich nicht irre, die Nulpen, die sie gerne loswerden wollten. Man sieht das doch auch jetzt wieder, kurz vor der EU Wahl, wen sie nominiert haben. Die SPD z.B. hat ein ganz pfiffiges Weibchen auf die Reise begleitet. Wenn man bedenkt, das die meisten Regierungen der Mitgliedstaaten auch nicht gerade das verkörpern, was sich ihre Bevölkerung vorstellt und wünscht, dann darf man versichert sein, die jenigen, die sich auf den Weg nach Brüssel begeben, sind noch ein Stück weit darunter. Von denen also werden wir regiert - und von Mutti. Ich wünsche den Briten alles Gute und hoffe, das andere folgen werden.

Bernhard Freiling / 12.12.2018

Rein von den Zahlen her kann ich diesen Hype überhaupt nicht verstehen. GB exportierte 2015 Waren im Wert von rd. 185 Mrd. € in die EU und importierte im gleichen Jahr aus der EU Waren im Wert von rd. 303 Mrd. €. (Quelle: Wikipedia - auf Statista so ohne Weiteres nicht zu finden) Anders herum: GB importiert aus der EU rd. 63% mehr als es dorthin exportiert. Wer würde unter einem harten Brexit mehr leiden? Der “Rest der Welt”, insbesondere die USA und Kanada und China gewiß auch, würden sich m. E. sämtliche Finger danach lecken diese Lücke schliessen zu dürfen. Welchen Status GB seinen “Gastarbeitern” einräumt, dürfte doch nur von ihm selbst abhängig sein. M.m.n.  also auch kein wirkliches Problem. Sehe ich kein Problem, wo eines ist? Oder bekommen wir Probleme aufgetischt, die keine sind? Amerika hat sich schon einmal als absolut verläßlicher Partner Groß Britanniens erwiesen. Mittels des Leih- und Pachtvertrages in 1941, als England alleine gegen die ganze Nazi-Welt stand. Heute steht England gegen die ganze EU. Besser: die ganze EU steht gegen England. Ich gehe ganz fest davon aus, es würde Amerika unter Donald Trump ein ausgesprochenes Vergnügen sein, dem Pappkameraden EU den ihm zustehenden Platz anweisen zu dürfen.  Woher die EU diese grenzenlose Zuversicht nimmt, Groß Britannien “disziplinieren” zu können, erschliesst sich mir nicht.

Gabriele Klein / 12.12.2018

Was spricht eigentlich dagegen ganz einfach mit Hilfe einer NEUEN EU Frau Dr. Merkel aus der EU und Herrn Selmayr (dem der daily express den Spitznamen “monster ” verpasste) abzuwählen, ?  Mit den Füßen kann man bekanntlich auch abstimmen. Der Brexit könnte der Anfang einer neuen EU sein. Die alte sehe ich von der deutschen Regierung genauso mißbraucht wie das deutsche Parlament und der deutsche Wähler. Es gibt genügend die das Konzept und vor allem den RECHTS - und FREIHEITSBEGRIFF gewisser Regierenden die anscheinend immer noch am Busen der Stasi nuckeln kategorisch ablehnen . (Ich gehöre dazu und ziehe die Verfassung der Alliierten jener der DDR vor) .... Somit…...  wie wäre es mit einem Merxlits .........?  Wenn man das Ergebnis des Berichts der Ombudswoman O’Reilly   liest zu Herrn Selmayrs Karriereschritten “zum Wohle Deutschlands”  wird einem ja übel….....In der internationalen Presse finden sie das unter dem Stichwort “skulduggery”. = Gemeinheit, Betrügerei…Also, wer etwas auf sich hält sollte sich von diesem deutschen Politstil klar und deutlich distanzieren, solange es überhaupt noch geht…... Siehe hierzu Tagesspiegel vom 4.9. 2018 oder FT

Marc Hofmann / 12.12.2018

Dieser Artikel geht ja zumindestens schon mal in die richtige Richtung. Der BREXIT….der BREXIT ist viel Mehr als WIRTSCHAFT….der BREXIT steht für das ENDE des Zeitalter der FREMDBESTIMMUNG durch die EU = NGO Mafia. Der BREXIT ist die Wiederkehr der Selbstbestimmung des englischen Volk…der englischen Abgeordneten über ihre eigene Politik = Politik zum Wohl von England und nicht für irgendein Wohl von NGOs dieser Welt…von EU und Globalisten Mafia. Der BREXIT ist viel mehr als schnöde Wirtschaftbefindlichkeiten…der BREXIT steht für die Selbstbestimmung, Eigenverantwortung…die Rückgewinnung der Engländer über ihre Souveränität. Das Ende der EU-NGO-Globalisten FREMDHERRSCHAFT über England..sein Volk und seine Politik. Und das ist ein wahrer Grund zum FEIERN. Danke!

Manfred Haferburg / 12.12.2018

Beim Brexit ist es wie im Hotel California. “relax, said the night man: We are programmed to receive. You can check out any time you like, But you can never leave!” Es droht Machtverlust und ein Beispiel. Deswegen haben die EU-Bonzen solch einen Muffengang vorm “harten Brexit”.

beat schaller / 12.12.2018

Ich wünsche den Briten, dass sie so oder so am Brexit festhalten. Auch ohne Abkommen. Wenn man sich in der so kerngesunden und höchst demokratischen EU und den grossen undemokratischen Unrechtsstaaten umschaut, dann kommt man schnell zur Einsicht, dass es beim Brexit auf Brexitseite nur Gewinner geben kann. Die andere Seite hat längst verloren. Wir haben in der ersten Klasse gelernt, was Sparen bedeutet. Nämlich etwas zur Seite legen und nicht “weniger zuviel” ausgeben. als in den 20 Jahren vorher. Aber, keine Angst, der Wechsel kommt so oder so unddas mit voller Härte. b.schaller

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