Markus Vahlefeld / 11.02.2016 / 15:51 / 16 / Seite ausdrucken

Entschuldige bitte, lieber Vergewaltiger!

Wer meint, Amelie Frieds Dankbarkeit darüber, dass ihr von Flüchtlingen eine Gitarre geklaut wurde, könnte nicht getoppt werden, hat sich geirrt. Alan Posener nannte es in der WELT das „Meinhof-Syndrom“ und unterlegt es mit einem Zitat der berühmten Terroristin: "Tendenziell ist alles, was ein Prolet macht, richtig; und alles, was ein kleinbürgerlicher Intellektueller macht, falsch."

Im deutschen Jahr 2016 sind richtig und falsch jedoch bereits überholte Kategorien. Womöglich sind sie eurozentristisch und stehen in der Tradition der Kolonialisten, Imperialisten und Rassisten.

Eine 24-jährige Sprecherin der Linksjugend, der Jugendorganisation der Partei Die Linke, wurde in den letzten Januar-Tagen in einer kleinen Parkanlage ihrer Stadt von zwei bis drei jungen Männern vergewaltigt. Sie sollen arabisch oder kurdisch gesprochen haben. Das ist zumindest die Beschreibung in der Lokalpresse. Die Vergewaltigung wurde bei der Polizei zur Anzeige gebracht.

Bis hierhin ist es einer von vielen Fällen, wie sie in der Bundesrepublik leider täglich vorkommen: männliche Gewalt gegen Frauen, in diesem Fall vielleicht befeuert von einem religiös imprägnierten Frauenbild, das Frauen in Huren und in Heilige aufteilt.

Während Amelie Fried den Verlust ihrer Gitarre noch in einen pädagogischen Sieg umdeuten konnte ("Wir waren froh, dass die Jungs unsere Gitarre behalten hatten. Die Lektion, die wir dadurch gelernt haben, war deutlich mehr wert als das Instrument.“), geht die vergewaltigte Linken-Politikerin noch einen Schritt weiter.  Statt sich nur bei ihrem Peiniger zu bedanken („Fried-Syndrom“), entschuldigt sie sich sogar pflichtgemäß.

Aber lesen Sie selbst (vollständiger Text inkl. Rechtschreib- und Grammatikfehlern von ihrer Facebook-Seite):

Lieber männlicher Geflüchteter,

vermutlich in meinem Alter. Vermutlich ein paar Jahre jünger. Ein bisschen älter.

Es tut mir so unfassbar Leid!

Vor fast einem Jahr habe ich die Hölle gesehen, aus der du geflohen bist. Ich war nicht direkt am Brandherd, aber ich habe die Menschen in dem Flüchtlingslager in Südkurdistan besucht. Habe alte Großmütter gesehen, die sich um zu viele elternlose Kinder kümmern müssen. Ich habe die Augen dieser Kinder gesehen, einige haben ihr Leuchten nicht verloren. Ich habe aber auch die Kinder gesehen, deren Blick leer und traumatisierend war. Ich habe mir von ca 20 ezidischen Kindern in ihrem Matheunterricht arabische Schriftzeichen zeigen lassen und weiß noch, wie ein kleines Mädchen angefangen hat zu weinen, nur weil ein Stuhl umfiel.

Ich habe einen Hauch der Hölle gesehen, aus der du geflohen bist.

Ich habe nicht gesehen, was davor geschehen ist und auch deine strapaziöse Flucht habe ich nicht miterleben müssen.

Ich bin froh und glücklich, dass du es hierher geschafft hast. Das du den IS und seinen Krieg hinter dir lassen konntest und nicht im Mittelmeer ertrunken bist.

Aber ich fürchte, du bist hier nicht sicher.

Brennende Flüchtlingsunterkünfte, tätliche Angriffe auf Refugees und ein brauner Mob, der durch die Straßen zieht.

Ich habe immer dagegen angekämpft, dass es hier so ist.

Ich wollte ein offenes Europa, ein freundliches. Eins, in dem ich gerne leben kann und eins, in dem wir beide sicher sind. Es tut mir Leid.

Für uns beide tut es mir so unglaublich Leid.

Du, du bist nicht sicher, weil wir in einer rassistischen Gesellschaft leben.

Ich, ich bin nicht sicher, weil wir in einer sexistischen Gesellschaft leben.

Aber was mir wirklich Leid tut ist der Umstand, dass die sexistischen und grenzüberschreitenden Handlungen die mir angetan wurden nur dazu beitragen, dass du zunehmendem und immer aggresiverem Rassismus ausgesetzt bist.

Ich verspreche dir, ich werde schreien. Ich werde nicht zulassen, dass es weiter geschieht. Ich werde nicht tatenlos zusehen und es geschehen lassen, dass Rassisten und besorgte Bürger dich als das Problem benennen.

Du bist nicht das Problem. Du bist überhaupt kein Problem.

Du bist meistens ein wunderbarer Mensch, der es genauso wie jeder andere verdient hat, sicher und frei zu sein.

Danke, dass es dich gibt - und schön, dass du da bist.

Name und Screenshot der Facebook-Seite liegen dem Verfasser vor.

Markus Vahlefeld betreibt den Blog http://www.der-gruene-wahn.de

Nachbemerkung:

Nachdem in Berlin ein Flüchtling vor dem LaGeSo an einer Grippe verstorben sein soll – was sich später als mutwillig in die Welt gesetztes Gerücht eines Helfers entpuppt hatte -, ist bei allen diesen Vorfällen Vorsicht geboten. Bis die Polizei und die Staatsanwaltschaft auch den Fall der Linken-Politikerin aufgeklärt hat, sollte man über die Tatsächlichkeit des Vorfalls keine endgültige Aussage treffen.

Selbst wenn die Vergewaltigung so nicht stattgefunden hat: die Aussage zu ihr jedoch hat tatsächlich stattgefunden. Eine vermeintlich vergewaltigte Frau, die einer scheinbar progressiven und linken Bewegung angehört und auf ihrer öffentlichen Facebook-Seite Feminismus predigt und gerne Bilder ihrer ständig sich verändernden Haarfarbe postet, bedankt sich nicht nur bei ihrem Peiniger („Fried-Syndrom“), sondern entschuldigt sich bei ihm sogar.

Denn schlimmer noch als Vergewaltigtwerden ist der Rassismus in der Gesellschaft, der sich an solchen Vorfällen nährt. Ob die junge Dame die Prioritäten richtig gesetzt hat? Oder ist es ein Fall von fortgeschrittener kognitiver Dissonanz?

Zur Geschichte der kognitiven Dissonanz: „In den 1950er Jahren gab Marian Keech (eigentlich Dorothy Martin) aus Salt Lake City an, Nachrichten von der Außerirdischen „Sananda vom Planeten Clarion“ zu empfangen. Sie scharte in Wisconsin (USA) eine Sekte um sich, die ihren Vorhersagen glaubte, eine gewaltige Flut werde alle Menschen auf der Erde töten und nur die Sektenanhänger würden von fliegenden Untertassen gerettet. Als die prophezeite Flut ausblieb, sah sich die Gruppe der Lächerlichkeit preisgegeben. Statt das Versagen ihrer Führerin zu akzeptieren und sich von ihr abzuwenden, sahen sich die Anhänger in ihrem Glauben nur umso mehr bestärkt. Sie behaupteten, ihre Gebete hätten Gott umgestimmt, und versuchten mit einem Mal fieberhaft, andere Leute zu ihren Ansichten zu bekehren.“

 

 

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Leserpost

netiquette:

Werner Gerhard Liebisch / 14.02.2016

Diese Frau ist eindeutig ein Fall für die Couch. Was mich aber wundert ist dass man in den allermeisten gängingen Medien, nichts mehr von Übergriffen von Asylbewerbern lesen kann. Gibt es diese plötzlich nicht mehr oder steckt da eine Strategie dahinter?

Ben Wilmes / 14.02.2016

Diese Frau beleidigt und verhöhnt ihre Geschlechtsgenossinnen, denen durch sexuelle Übergriffe Schlimmes angetan wurde,die furchtbare Angst ausstehen mussten, die oft monate - oder jahrelang Probleme haben werden wieder ein normales Leben zu führen. Der moralische Impetus ihres Geschreibsels ist verlogen und widerwärtig. Er offenbart keine Solidarität mit Flüchtlingen, sondern eine arrogante, selbstgefällige und ideologisch verseuchte Denkweise und Gefühlswelt. Zum Kotzen.

Alexander Rostert / 13.02.2016

Bei allem Unverständnis für die politische Haltung der jungen Frau, aber welcher Stelle in dem zitierten Elaborat glaubt der Autor entnehmen zu können, dass sich der Text an die vorgeblichen Täter wendet? Die Ansprache geht erkennbar nur an eine einzelne und noch dazu nur ideell existente Person, nämlich den sprichwörtlichen “edlen Wilden”. Über die realen Täter (Mehrzahl!) vermag das Opfer ja auch - da selbst Türkin - nur zu vermelden, dass sie sich in arabischer oder kurdischer Sprache unterhielten. Keine Rede kann davon sein, dass solche Männer hierzulande nur in der Ausgabe als Asylbewerber vorstellbar sind. Am wenigsten in Mannheim. Gewiss ist nur, dass aufgrund der Täter-Opfer-Konstellation ebensogut ein rassistisch wie ein sexistisch motivierter Übergriff denkbar wäre,  allerdings nicht bei Leuten wie der Linksjugend, die ausschließlich bei Deutschen rassistische Motive zu erkennen in der Lage sind.

Martin Wolff / 12.02.2016

Noch ein Nachtrag: Wenn man sich im Netz umschaut, findet man die Original-Facebook Seite. Sie ist zwischenzeitlich aber abgeschaltet worden. Da ist wohl Diskussionsbedarf entstanden.

Matthias Tabek / 12.02.2016

Sehr geehter Herr Vahlefeld, gar nicht so einfach, auf unchristliche Weise Jesus in dessen Nächstenliebe übertreffen zu wollen! Während dieser allein für die Entschuldung seiner Peiniger Gott anrufen muss (“Vater, vergib ihnen, denn sie wissen nicht, was sie tun!”), gelingt unserer Misshandelten ganz selbstverständlich eine Liebeserklärung gegenüber einem brutalen Verbrecher, der ihr persönlch unbekannt ist (”... wunderbarer Mensch ... und schön, dass du da bist.”). Unchristlich? Na ja, Jesus hätte wohl eine Verurteilung der Tat nicht als die schlimmere Handlung im Vergleich zu der Vergewaltigung gesehen. Weiteres Denken in diese Richtung führt wohl ins Leere bzw. Bodenlose. Frappierend auch die vorurteilsbehaftete Denkweise der angeblich sexuell Missbrauchten. Man mag sich gar nicht ausdenken, wie sie reagiert hätte, wenn der Täter ein Einheimischer gewesen wäre! Wo es doch einem Volksangehörigem schon nicht zusteht, diese Schandtat eines Asylsuchenden überhaupt zu kritisieren. Wenn das kein Rassismus ist! Mit freundlichen Grüßen M. T.

Michael Scholtz / 12.02.2016

So sehr mir diese Person auch zuwider ist, möchte ich doch zu ihren Gunsten eines richtigstellen: der facebookbeitrag ist, wie sie auf ihrer Seite schreibt, nicht an ihren - möglicherweise imaginären - Vergewaltiger gerichtet, sondern an all die anderen männlichen Flüchtlinge, die jetzt womöglich pauschal als Vergewaltiger angegriffen werden. Dass die junge Dame ihr zartes Gewissen erst jetzt entdeckt, während sie die pauschale Diffamierung aller (inländischen) Männer als “potentielle Vergewaltiger” offenbar nie gestört hat, steht auf einem anderen Blatt.

Andrea Kemmer / 12.02.2016

Ob Meinhof- oder Stockholm-Syndrom oder auch kognitive Dissonanz: das Phänomen ist weit verbreitet und treibt seltsame (oder sogar grotesk zu nennende) Blüten. Das Erlebnis von Amelie Fried war mir bisher nicht bekannt. Neugierig, wie sie zu der von Ihnen erwähnten Schlußfolgerung : ” Die Lektion, die wir dadurch gelernt hatten,.......” kommen konnte, habe ich diesen Artikel aufgerufen. Nachdem ich Frau Frieds Schilderung kenne, bin ich nicht wirklich klüger. Nur entsetzt. Wobei das Resultat, zu dem Frau Fried kommt, natürlich genau das o.g. Phänomen widerspiegelt. Zu dem Brief der möglicherweise vergewaltigten Linken-Politikerin: Ich hoffe doch, dieser ist allgemein an Flüchtlinge gerichtet - nicht an ihren Vergewaltiger. Nicht, daß es mir dann ein wirklich gutes Gefühl verschaffen würde- aber zumindest ein besseres…..

Kathrin Koch / 12.02.2016

Das Meinhof-Syndrom war mir bisher nicht bekannt. Wohl aber das Stockholm-Syndrom. Es beschreibt, dass Menschen, die sich in der Gewalt anderer Menschen befinden, nach einer gewissen Zeit der Ausweglosigkeit anfangen, sich mit denen zu identifizieren, die sie bedrohen und beherrschen. So wechselt man innerlich von der Seite der Ohnmacht auf die Seite der Macht, verleugnet aber das eigene Gefühl. Für Entführungsopfer eine vermutlich unbewusste, sinnvolle Strategie, die die Seele während der Gefangenschaft schützt. Verharmlosung, Relativierung und Umdeutung von von durch Flüchtlinge begangene Gewalttaten ließen sich auch mit dem Stockholm-Syndrom erklären. Terroranschläge wie Paris machen Angst, sexualisierter Terror gegen Frauen in der Öffentlichkeit macht Angst. Vergewaltigungen von Kindern in Schwimmbädern machen Angst. Eine Vergewaltigung macht Angst. Todesangst. Gegen die Täter sind die Opfer in den meisten Fällen vollkommen wehrlos ausgeliefert. Dieser schmerzhaften Erkenntnis und dem grauenvollen Gefühl von Ohnmacht und Hilflosigkeit kann man entkommen, indem man sich mit den Tätern verbündet. Das Mittel zur Verbindung ist das Mitgefühl; das Opfer hat dann mit dem Gewalttäter mehr Mitgefühl als mit sich selbst. Der Erfolg der Verbündung ist, dass man die Angst, Ohnmacht und Hilflosigkeit nicht mehr spürt bzw. sie sogar in diesem Fall, wo die Gewalt von “Schutzsuchenden” ausgeht, auf den anderen projizieren kann: oh je, muss der eine Angst haben.

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