Irgendwann zwischen 20 und 25 kommt die gefährlich-gewaltige Erfahrung der Masse auf den jungen Menschen zu. Vorher lebt er im kleinen Kollektiv seiner Familie, dann lehnt er sich dagegen auf und befestigt seine Individualität, und dann beginnt die Phase aktiver Vergesellschaftung: der Mensch sucht Anschluß an größere Gruppen, er findet dort Geborgenheit, er läßt sich fallen in der Masse und empfindet deren Macht. Ob auf dem Fußballplatz, bei Straßendemos oder militärischen Aufmärschen: es ist dieses von Elias Canetti in dem Buch „Masse und Macht“ so genau analysierte Erlebnis, das zu den Grundkonstanten jeder Jugendkultur gehört.
Auch ein Flash-Mob gehört zu diesem Formenkreis. Ein Flash-Mob ist eine der aktuellsten Tollheiten der Jugendkultur. Es handelt sich einerseits um einen klassischen Streich in der Öffentlichkeit – etwa von der Art, ahnungslose Passanten zu erschrecken – und andererseits um ein Phänomen des Medienzeitalters, denn die Beteiligten verabreden sich per Internet oder per Handy, und die Aktion wird per Video dokumentiert sowie im Internet veröffentlicht.
So kann es sein, daß die scheinbar zufällig verteilten Anwesenden auf einem öffentlichen Platz in Wirklichkeit verschworene Mitspieler eines solchen Flash-Mob-Happenings sind, das auf ein geheimes Zeichen hin beginnt. Dann lassen sie sich – zum Erschrecken der Nichteingeweihten – plötzlich fallen oder erstarren in der Bewegung oder stoßen dumpfe Laute aus oder was der Scherze sonst noch sind. In Berlin übten kürzlich mehr als 700 Flash-Mobisten so etwas wie dadaistischen Konsumterror aus, indem sie eine McDonald’s-Filiale heimsuchten und 10 000 Burger bestellten.
Aber das ist gar nichts – verglichen mit dem, was gerade Zeit in Köln passierte. Zur großen Überraschung des Bewachungspersonals tauchte letzte Woche eine Menschenmasse vor der Messe auf und drängte in den Eingang. Noch ist unklar, auf welche verborgene Weise – per Handy oder per Internet – sich die Leute zu diesem Auftritt verabredet hatten, aber fest steht, daß es sich um einen der größten Flashmobs Deutschlands handelte. Denn zu sehen gab es auf der Kölner Messe nichts; die Art Cologne ist bekanntlich tot, das war in allen Zeitungen zu lesen. Besucher, die sich dort hin begeben, tun dies nur, um sich selber auszustellen – und genau diese Art von Selbstperformance kennzeichnet ja den avancierten Kunstbegriff der Digitalzeitalter-Demonstranten.
Auch die Behauptung mancher Mitspieler, das Ganze sei wirklich die Art Cologne, ist Teil der Inszenierung: Wir alle wissen, daß es die Art Cologne nicht gibt. Was dort stattfand, war die subtile Simulation einer Kunstmesse durch eine Horde ferngesteuerter Individualisten. Es war nichts anderes als ein gigantischer Flashmob.