Fred Viebahn / 29.07.2010 / 17:45 / 0 / Seite ausdrucken

Der Mann, der Chruschtschow und Nixon in Raserei versetzte: Shiva für Daniel Schorr

Vergangenen Freitag starb in Washington Daniel Schorr, der große alte Mann des politischen Kommentars im amerikanischen Rundfunk und Fernsehen. Seine feste Stimme und seine klugen Reflektionen hatten mich seit Jahrzehnten begleitet, hatten mich oft mit ihren scharfsinnigen Beobachtungen überzeugt und, soweit ich mich erinnere, nie mal so richtig auf die Palme gebracht, was was heißen will. Meine Frau kann bezeugen, daß ich am Steuer gerne inbrünstig Positionen verfluche, die ich für bescheuert halte, und dabei umso zorniger reagiere, je näher mir ein “Meinungsmacher” politisch steht. (Während ich bei “rechtem” Blödsinn vielleicht nur mitleidig “Idiot” vor mich hin murmele, denn ich hab ja nichts anderes von der Knallcharge erwartet, brause ich bei “linkem” oder “liberalem” Quatsch leicht auf und schreie auch schon mal die Windschutzscheibe an oder geb dem Lenkrad eine Watschen.)

Radio höre ich fast ausschließlich im Auto, fast immer auf einem mit NPR (National Public Radio) affiliierten UKW-Sender, und über die vielen Jahre und vielen vielen Meilen auf den Highways und Interstates meiner amerikanischen Wahlheimat war Daniel Schorrs Stimme eine liebgewonnene Begleitkonstante geworden, ein alter Freund, den man seit ewig zu kennen meint und je missen zu müssen sich nicht vorstellen kann, einer der wenigen im öffentlichen Stimmengewirr, dem ich oft und gerne zunickte—eine Stimme unkorrumpierbarer Vernunft, ein Verkünder wohlbedachter Wahrheiten, so wie ich sie ebenfalls sah, ein Analytiker der ersten publizistischen Klasse. Nicht umsonst wurde er von den NPR-Sprechern als “Senior News Analyst” angekündigt. Aber sonst wußte ich herzlich wenig über meinen Ätherfreund. Vor vierzehn Tagen hatte ich ihn noch sagen hören, daß Obama und Netanyahu letztendlich trotz aller Unstimmigkeiten zu “guter Freundschaft verdammt” seien, weil beiden daran gelegen sei, die Nuklearbewaffung des Iran zu verhindern—und nun, aus Anlaß seines Todes, erfahre ich, daß dieser fast jugendlich klingende Mann, der letzte Eleve des legendären Kriegsberichterstatters Edward G. Murrow, fast 94 Jahre alt war—geboren 1916 im New Yorker Stadtteil Bronx als Sohn jüdischer Einwanderer aus Weißrußland. Obwohl er seinen Vater früh verlor und in Armut aufwuchs, schaffte er es bald, sich mit Zeitungsartikeln zu profilieren. Er arbeitete zunächst für eine jüdische Tageszeitung in seiner Heimatstadt, dann für eine Nachrichtenagentur im heutigen Indonesien. Nach seiner Wehrdienstzeit als G.I. im Zweiten Weltkrieg ging er in die Niederlande, lernte fließend holländisch und beeindruckte so sehr mit seinen europäischen Depeschen, daß ihm zunächst die New York Times eine feste Mitarbeit anbot—nur um diese Offerte nach wenigen Wochen wieder zurückzuziehen, angeblich weil die Chefredaktion befürchtete, daß ein weiterer als Jude identifizierbarer Korrespondent die Berichterstattung der Zeitung aus dem Mittleren Osten gefährden könnte. Kurz darauf, im Februar 1953, machte Schorr mit seinen Berichten von der holländischen Flutkatastrophe Edward G. Murrow, inzwischen Chef der CBS-Nachrichten, auf sich aufmerksam, der ihn anheuerte und 1955 nach Moskau schickte, um dort ein CBS-Büro zu eröffnen. Schorr verblüffte die Welt, als es ihm gelang, Nikita Chruschtschow vor laufender Kamera zu interviewen—das allererste Fernsehinterview mit dem Sowjetführer überhaupt. Zwei Jahre darauf, nachdem er sich bei seiner Berichterstattung mehrmals einen feuchten Dreck um Warnungen der roten Zensoren gekümmert hatte, wurde Schorr allerdings nach einem Urlaub die Wiedereinreise in die Diktatur des Proletariats verwehrt.

Schnell stellte sich heraus, daß sich Daniel Schorr auch an der journalistischen Heimatfront den Mund von niemandem verbieten ließ. So verdiente er sich mit seinen Berichten über den Watergateskandal drei “Emmys” (sozusagen die Pulitzerpreise bei Fernsehen und Rundfunk); bei einer Live-Reportage vom Watergate-Untersuchungsausschuß las er eilig Nixons berüchtigte “Feindesliste” laut vor, unmittelbar nachdem sie ihm überreicht worden war—und stieß dabei, unter der Nummer 17, auf seinen eigenen Namen. “Daß ich auf der Feindesliste stand”, sagte er später in einem Zeitungsinterview, “betrachte ich als einen größeren Tribut als die Emmys.”

1976 kam es zum Zerwürfnis zwischen Daniel Schorr und seinem Arbeitgeber CBS, als es ihm gelang, einen geheimgehaltenen Untersuchungsbericht des Repräsentantenhauses über dubiose Machenschaften der CIA in die Hände zu bekommen und er diesen, nachdem CBS ihm die Veröffentlichung verweigert hatte, an die New Yorker Wochenzeitschrift Village Voice weitergab. Der resultierende Skandal hatte gesetzliche Konsequenzen für die CIA, so wurde vor allem die parlamentarische Aufsicht über den Geheimdienst auf stabilere Beine gestellt, und führte gleichzeitig dazu, daß Schorr von CBS geschaßt wurde und die Staatsmacht versuchte, dem demokratischen Grundrecht unliebsamer freier Berichterstattung einen Maulkorb zu verpassen, indem sie dem Boten der bösen Nachricht mit Strafverfolgung drohte, sollte er nicht die Quelle nennen, von der er den Untersuchungsbericht erhalten hatte. Daniel Schorr weigerte sich standhaft, und der Gesetzgeber beschloß mit knapper Mehrheit, die heiße Kartoffel fallen zu lassen. (Erst unter Bush-Cheney kamen solche Kartoffeln wieder ins Feuer, als eine New York Times-Reporterin fast drei Monate lang eingelocht wurde, als sie die Nennung ihrer Quelle verweigerte.) Schorrs damalige Quelle konnte bis heute nicht erschnüffelt werden, und es sieht nun ganz so aus, als habe er das Geheimnis mit ins Grab genommen.

Nach drei weniger befriedigenden Jahren als Journalismusprofessor an der University of California at Berkeley und als Zeitungskommentator erhielt Schorr 1979 von einem Neueinsteiger ins Fernsehgeschäft, dem Unternehmer Ted Turner, das Angebot, sozusagen der kreative Boß von einer Turner-Idee zu werden—eines noch zu realisierenden, ausschließlich Nachrichten gewidmeten Kabelsenders, dem Cable News Network, kurz: CNN. Schorr hatte keine große Lust auf die weniger kreative Arbeit, die auf ihn als Chef zukommen könnte, war aber bereit, einen Job als “Senior News Analyst” kreieren. Und so wurde er der allererste Angestellte von CNN, mit einem Vertrag, in dem ausdrücklich stand, daß keine Forderungen an ihn gestellt werden dürften, die seine professionelle Ethik kompromittierten. Mehrere Jahre lang verstand er sich gut mit Ted Turner—bis er sich bei einer Veranstaltung vor den Präsidentschaftswahlen 1984 weigerte, die Berichterstattung mit einem Politiker zu teilen—das ging ihm gegen den Strich, den er zwischen professionellem Journalismus und Amateurpropaganda zog und gewahrt wissen wollte. Daraufhin wurde sein 1985 auslaufender Vertrag mit CNN nicht mehr erneuert, und er wechselte vom kommerziellen Fernsehen zum nichtkommerziellen Rundfunk, wo dem damals Achtundsechzigjährigen ein weiteres Vierteljahrhundert scharfer Zunge beschert war, mit gelegentlichen Gastbeiträgen bei NPR’s Bildschirmequivalent PBS, dem Public Broadcasting System. Und wo seine Stimmbänder in Schwung blieben, mit denen er, bevor das Mikrofon auf Sendung schaltete, gerne deutsche Opernarien und Nonsenssongs der Marx Brothers krächzte. Kein Wunder, daß er und Frank Zappa, beide lautstarke Mitstreiter für das Recht auf freie Meinungsäußerung, Freunde wurden. Da fragt sich, was Schorr wohl am 4. Dezember 1993 vor der Sendung seines NPR-Nachrufs auf den am selben Tag an Prostatakrebs verstorbenen Zappa zum besten gab, während sich die Toningenieure im Studio die Ohren zuhielten. Vielleicht Gershwin’s “It Ain’t Necessarily So”, das bibelzweiflerische Lied, das er fünf Jahre zuvor auf Zappas Einladung bei einem Konzert in Washington mit den Mothers of Invention gekräht hatte und sich, wie er Kollegen gegenüber erwähnte, zu seiner Beerdigung wünschte? Ein schönes Lied für eine Shiva nach so langem Leben!
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Hier noch ein paar Worte zu Daniel Schorrs Arbeitgeber im “Rentenalter”:
Das hauptsächlich durch Spenden finanzierte National Public Radio—kurz NPR—wurde Anfang der Siebziger als mehr oder weniger unparteiisches und kommerzfreies Netzwerk gegründet und hat es nach einigen Mutationen über die Jahre geschafft, mit seinen etwa achthundert Mitgliedsstationen ein starkes Gegengewicht zu den Myriaden überwiegend örtlicher kommerzieller Rundfunksender zu bilden. (Die größte Spende, in Höhe von 225 Millionen Dollar, floß übrigens—“no strings attached”—2003 aus dem Erbe der Philanthropin Joan Kroc, Witwe des McDonalds-Gründers Ray Kroc. Es war ihre zweithöchste posthume Spende, nach den mehr als anderthalb Milliarden, die sie der Heilsarmee vermachte.) NPR ist zwar nur bedingt mit europäischen Sendeanstalten wie den öffentlich-rechtlichen in Deutschland oder der BBC zu vergleichen, denn im Gegensatz zu deren zentralisierten Programmbürokratien haben sich die amerikanischen Lokalsender trotz ihres gemeinsamen NPR-Schirms ihre Autonomie bewahrt, aber auf bestimmte Programme, die in der Zentrale in Washington produziert werden, kann man sich als Hörer landesweit verlassen—vor allem die populären politisch-kulturellen Live-Sendungen “Morning Edition”, “Talk of the Nation” und “All Things Considered”. Mit Daniel Schorr haben diese Programme nun eine ihrer besten Stimmen verloren.

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