Gastautor / 02.07.2014 / 12:23 / 3 / Seite ausdrucken

Das Elend des rechtslinken Nationalismus

Marko Martin

Erfunden hatte die Vokabel Alain de Benoist, Vordenker der französischen “Neuen Rechten”: Ethnopluralismus. Es ist die freundlich klingende Chiffre für ein beinhartes Ausgrenzungsprogramm: Frankreich den Franzosen, Deutschland den Deutschen, Afrika den Afrikanern. Unter dem Vorwand, “unterschiedliche Kulturen zu respektieren”, werden diese ganz bewusst als homogene Einheit missverstanden, deren “Traditionen” man nicht mischen dürfe.

Dass dies auch für die “Hiesigen” eine Restriktion bedeutet – die unüberlegt handelnden Protestwähler der rechtsextremen Front National werden es spätestens dann merken, wenn ihnen die Order zuteil wird, was fürderhin als “organisch französisch” bzw. “unfranzösisch” zu gelten habe. Vielleicht die Chansons des armenischstämmigen Charles Aznavour oder die Hits der von amerikanischer Rockmusik und Jazz geprägten Johnny Hallyday und Eddy Mitchell? Der aus einer jüdischen Familie stammende Patrick Bruel erhielt jedenfalls von Jean-Marie Le Pen bereits die üble Drohung, beim nächsten Mal mache man “eine Ofenladung”. Im gegenwärtigen Russland sieht es ähnlich aus.

Wurde bereits vor Jahren eine straff organisierte Putin-Jugend mit dem sprechenden Namen “Naschi” (“Die Unsrigen”) gegründet, waren Polizeirazzien gegen “Schwarze”, ergo Gastarbeiter aus dem Kaukasus an der Tagesordnung, sattelt man jetzt noch einen drauf. Unter dem Schock der Ukraine-Ereignisse, als in Kiew ein kleptomanischer Autokrat davongejagt wurde, besinnt man sich in Moskau nun vehement auf die “Kultur”. An deren pseudopolitischen Ausläufern wird vor einer ukrainischen “Faschistenoffensive” gewarnt, während der “spirituelle” Weihrauch aus den staatsfrommen orthodoxen Kirchen vor allem populistisches Nebelwerfen ist: Rettet unsere russische Seele vor den Sünden des Westens, derer da sind Liberalismus und Skeptizismus, nicht zu vergessen jene überall grassierende Homosexualität in “Gayropa” (so das neueste Schmähwort). Dass vor Jahrzehnten bereits Chiles damaliger Militärdiktator Pinochet die Bundeswehr als “Homosexuellen-Armee” angiftete – geschenkt.

Ungleich entscheidender ist jener Taktikwechsel. Man habe ja gar nichts gegen das westliche Menschenrechtsverständnis, lässt sich Präsident Putins ideologischer Einflüsterer Alexander Dugin vernehmen, nur: Dieses gelte eben lediglich für den Westen und es als universell zu bezeichnen, sei “rassistisch”. In logischer Konsequenz sind dann all jene Aktivisten, Künstler und verzweifelten Soldatenmütter, die innerhalb Russlands so tapfer für verbriefte Menschenrechte eintreten, im Grunde Wesensfremde oder vom Westen Manipulierte, auf jeden Fall Isolierte im nationalen Kollektiv. Mit eben diesen Begründungen hatte man zu Stalins Zeiten Millionen ermordet und in der Breschnew-Ära Tausende in Lager und in die politisierte Zwangspsychiatrie gesteckt. Mit einem Unterschied: Die mystisch überhöhte Referenzgruppe war damals noch die “sowjetische Arbeiterklasse”, nicht die “russische Kultur”.

Man müsste nun närrisch sein, in diesem Etikettenwechsel irgendeine Form der Konzilianz zu vermuten. Im Gegenteil: War der einst von Lenin erträumte “proletarische Internationalismus” schon unter Stalin renationalisiert worden, spricht das gegenwärtige Kreml-Regime nun überhaupt nicht mehr im Namen einer (ohnehin schrumpfenden und demoralisierten) Arbeiterklasse, sondern direkt im Auftrag eines russischen “Volkskörpers”. Da ist dann für alle etwas dabei: Der kremlnahe Großunternehmer darf sich über die Abwesenheit unabhängiger Gewerkschaften freuen, das gläubige Mütterchen vor Gehorsam und Eintracht predigenden Popen auf den Knien rutschen und das begeisterte Jungvolk zu Turbo-Techno auf dem Roten Platz abtanzen – ganz ähnlich, wie es Anfang der neunziger Jahre schon der Genosse Kriegsherr Milošević in Belgrad hatte zelebrieren lassen.

“Der ethnische Nationalismus als letztes Stadium des Kommunismus”, konstatiert deshalb der polnische Intellektuelle und ehemalige Dissident Adam Michnik. Auch die chinesischen Genossen haben die Lektion gelernt: Stammt die Machtfülle ihrer Kommunistischen Partei selbstverständlich aus Mao-Zeiten, werden jetzt zur Herrschaftsbegründung “chinesische Werte” herangekarrt, massenweise Tempel gebaut und Konfuzius-Statuen errichtet. Unterordnung nun nicht mehr im Namen revolutionärer Avantgardismen, sondern autoritär interpretierter “nationaler Traditionen”, wobei die rhetorischen Überschneidungen verblüffend sind: Beim (Nicht-)Gedenken des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens vor 25 Jahren wurde nun den damaligen Opfern höhnisch hinterhergerufen, die Zeit sei längst über sie hinweggegangen, da China doch inzwischen ein derart beeindruckendes Wirtschaftswachstum präsentieren könne. (Ehe man sich freilich über diese perfide Zurückweisung des Ethischen echauffiert, sollte an Franz-Josef Strauß’ Diktum von 1969 erinnert sein: “Ein Volk, das diese wirtschaftlichen Leistungen vollbracht hat, hat ein Recht darauf, von Auschwitz nichts mehr hören zu wollen.”)

Dennoch gibt es ein winziges Licht am Ende des völkischen Tunnels: So wie einst der Glaube an die Ideologie zerbröselte, so unglaubwürdig wird irgendwann auch der Verweis auf die “Nation” werden. Auch ohne Zweckoptimist zu sein: Dem gegenwärtigen Moskauer Modell eines ranzigen Irrationalismus wird ebenso wenig die Zukunft gehören wie einem amnesiegetränkten Parteikapitalismus made in China, der beim Kujonieren seiner Bürger immense Ressourcen verschwendet. Allerdings werden Veränderungen wohl noch eine Weile auf sich warten lassen und unzählige Menschen bis dahin leiden und sterben. Denn so schnell wie damals 1989/90 die “Nationale Volksarmee” der DDR (mitsamt ihrem Scharnhorst-Orden) werden die dortigen Machtstrukturen nicht verschwinden.

Das Beispiel des Genossen Honecker sollte Moskau und Peking gleichwohl eine Warnung sein: Da hatte er unter großem Trara die Statue Friedrichs II. wieder Unter den Linden aufstellen lassen, Drehaufträge für gigantische Bach- und Lutherfilme erteilt, den Wachwechsel vor dem Schinkelbau der Neuen Wache unter preußischen Militärmärschen zelebrieren und dazu Turnvater Jahn und Ernst Moritz Arndt (einen “Ethnopluralisten” avant la lettre) auskramen lassen. Und was hatte dieser letzte Versuch erneuerter Herrschaftslegitimation schließlich gebracht? Lediglich bundesdeutsche Schönredner nobilitierten Honecker damals als “deutschen Realisten”. Der rüde Kulturalismus französischer Faschisten, russischer Geheimdienstler und chinesischer Menschenverfüger sollte uns dagegen diesmal etwas hellsichtiger machen.

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Leserpost

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Karl Krähling / 02.07.2014

Der Begriff der Nation ist mit dem Begriff des Selbstbestimmungsrechts der Völker verknüpft auch wenn in Deutschland versucht wird, den Begriff einer nationalen Identität immer wieder mit den Ideen des abgelebten Nationalsozialismus zu desavouieren. Wenn Nationen abschaffen, dann alle – mit einer zentralen Weltregierung? Wenn sie sich da mal nicht wieder übernehmen, die deutschen, Pardon die europäischen Kosmopoliten mit deutscher Staatsbürgerschaft aus der politischen Mitte.

Martin Wessner / 02.07.2014

Wenn Politiker so penetrant die Vergangenheit betonen(Und Kultur besteht hauptsächlich aus Leistungen und Normen, die in der Vergangenheit erbracht und konzipiert wurden), dann tun sie es doch deshalb, weil ihnen die Zukunft verloren gegangen ist. Nichts ist schließlich für einen Politiker, dessen Herrschaft nicht nur auf banale Interessensvertretung, sondern auf auch einen weltanschaulichen Überbau aufbauen will, schlimmer, als wenn ihm der “Leitstern” verlustig gegangen ist, nach dem er seinen rechten Weg als “guter Hirte”, im Dienste seiner treuherzigen Schäfchen ausrichtet. Eine CDU ohne Christentum, eine SPD ohne soziale Gerechtigkeit oder die Grünen ohne Umweltschutz sind nur noch Kämpfer für den Egoismus ihrer Wähler, ohne ein übergeordnetes, idR. gemeinwohlförderndes, edles, “heiliges” Ziel. So eine Partei verliert dann aber sehr schnell ihre Anziehungskraft für periphere Bevölkerungsgruppen, wenn man sich nur auf die trivialen ökonomischen und/oder sozialen Belange eines eher begrenzten Wahlklientels konzentriert. Also ist diese, quasi “Zeiterscheinung” des rechts-linken Nationalismus, welche im Artikel beschrieben wird, wohl vor allem so eine Art von “Acien Regime”, das solange den Platzhalter macht, bis “progressive Kräfte”, aus welcher Ecke sie auch immer kommen mögen, einen neuen Super-Strahler am ideologischen Firmament gefunden haben.

Franz Roth / 02.07.2014

Fein, wie der Autor die Kurve vom Front National zu Putin kriegt.

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