Gunter Weißgerber / 01.10.2017 / 14:29 / Foto: RKO / 0 / Seite ausdrucken

Darf die AfD einen Ausschuss leiten?

„So sind die parlamentarischen Regeln, sie haben sich bewährt. Eine „Lex PDS“ kann, darf und wird es nicht geben. Die Demokratie hält das aus. Wir setzen uns im Plenum und in den Ausschüssen mit den Ewiggestrigen auseinander. …“

Das war die Argumentation unserer westdeutschen Kollegen, wenn es nach dem 3. Oktober 1990 um die Thematik Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages und SED/PDS ging. Es war einleuchtend. Die demokratischen Grundsätze seit der Paulskirchenverfassung sind Teil der Genetik der parlamentarischen Demokratie, die ich aus tiefstem Herzen ob ihrer historischen gewachsenen Klugheit bewundere.

Mit der PDS wollte ich nicht zusammenarbeiten, deren Anwesenheit im Bundestag infolge freier Wahlen akzeptierte ich selbstverständlich von Beginn an. Lieber wäre es mir gewesen, Lenins‘ Sympathisanten wären nie rein gewählt worden. Klar! Aber das Wahlergebnis nicht akzeptieren, das wäre mir nicht in den Sinn gekommen. So, wie ich auch das Demonstrationsrecht nur für alle und nicht nur für einige akzeptiere. 1989 war das Teil der Genetik der Friedlichen Revolution. Davon ist seitdem so manches verloren gegangen.

Der Eindruck, dass die Bundesrepublik inzwischen näher an Rosa Luxemburgs enger Sicht, die die Freiheit Andersdenkender nur innerhalb ihres politischen Milieus einforderte und mitnichten die allgemeine Freiheit aller unterschiedlich Denkender meinte, ist seit geraumer Zeit beklemmend. Die Wahlergebnisse für die AfD haben auch damit zu tun. Machen wir uns nichts vor: Wird das Spiel so weitergetrieben, wie es im Moment mit Blick auf die Ausschussbesetzungen im Bundestag vorgespielt wird, dann kann sich die AfD nur freuen und auf baldige Neuwahlen genüsslich warten. Ansonsten gilt, die nächsten regulären Wahlen kommen ohnehin und in den Ländern bis zur Bundestagswahl 2021 in gewohnt großer Zahl.

Das halten wir aus

Der Deutsche Bundestag änderte, wie bereits beschrieben, wegen der SED-Nachfolger zu keinem Zeitpunkt seine Geschäftsordnung. Aus guten Gründen, die mir nie schmeckten, die ich aber immer akzeptierte. Es gab nie eine Diskussion über Ausschussvorsitzende für Linksaußen. Die waren nach den gewachsenen Regeln der Demokratie gesetzt. Auch die Drohung, dass die PDS 1994 mit Stefan Heym den Jahrgangsältesten in den Bundestag entsenden würde, führte nicht einmal bei der CSU zu Bestrebungen, die Regeln bezüglich des Alterspräsidenten ändern zu wollen. „Die paar Minuten Sozialismus da vorn, die halten wir aus“, so damals nicht nur meine Position.

2013 wurde mit Gesine Lötzsch eine Frau zur Vorsitzenden des Haushaltsausschusses gewählt, die dem Kommunismus noch zwei Jahre vorher Wege bereiten wollte. Sie sagte damals: „Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.“
Die Führer im Kommunismus und im Nationalsozialismus haben jeweils zig Millionen Tote zu verantworten. Beide Ideologien stehen für Anti-Demokratie und Totalitarismus und dennoch wurde Lötzsch gemäß der Bundestagsregeln, wonach die stärkste Oppositionsfraktion den Vorsitz im Haushaltsausschuss stellt, gewählt.

Auch ich schrieb damals an die SPD-Haushaltsausschussmitglieder Kahrs und Schneider, wegen Lötzsch dürften die Regeln nicht geändert werden. Die Regeln sind klug gewachsen und sie stärken die Demokratie, machen sie für alle akzeptabler. Die Achtung der eigenen Regeln bedeute jedoch nicht, dass Linksaußen nun plötzlich Partner der Parteien des Verfassungsbogens sein könne. In diesem Sinn schrieb ich damals an meinen ehemaligen SPD-Kollegen.

Ihr könntet stärker sein

Umso erstaunter bin ich jetzt, dass all das liberale Gerede vieler Ex-Kollegen nur hinsichtlich Linksaußen galt. Rosa Luxemburg lässt grüßen! Das ist peinlich und ich prophezeie, die hässliche und doch gewählte AfD wird dann in Karlsruhe obsiegen und die Ohrfeige für die anderen Bundestagsparteien wird starken Nachhall in den kommenden Wahlergebnissen erfahren.

Wollt Ihr das wirklich, verehrte ehemalige Kollegen? Habt Ihr tatsächlich nichts gelernt aus der Wahl vom 24. September 2017? Ihr stärkt die Gaulands, Höckes und Weidels, merkt ihr das wirklich nicht?

Verhaltet euch nicht wie hysterisch Ertrinkende! Die Demokratie ist stärker und Ihr könntet es auch sein, wenn Ihr klugen Kopf bewahrt. „Angst essen Seele auf“, so kommt mir das momentan irgendwie vor.

Nachtrag: Anders verhält es sich, wenn es um konkrete AfD-Politiker für konkrete Besetzungen geht. Die Bundestagsmehrheit muss zwar AfD-Ausschussvorsitze akzeptieren, nicht aber jeden konkreten AfD-Personalvorschlag.  Hier muss die AfD Abgeordnete vorschlagen, die sie auch mehrheitlich "durchbekommt". Auch die AfD muss das Regelwerk achten.

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