Am 29. Oktober 2023 ereigneten sich im Nordkaukasus antisemitische Pogrome, bei denen ein aufgebrachter Mob die Landebahn des Flughafens in Machatschkala stürmte. Warum waren die Sicherheitskräfte nicht in der Lage, die Angreifer zu stoppen?
Dem Apostel Jakobus wird die Aussage zugeschrieben, dass selbst ein winziger Funke ausreicht, um einen gesamten Wald in Flammen aufgehen zu lassen. Diese Weisheit bleibt bis heute unvermindert relevant. Vor der gewaltsamen Erstürmung des Flughafens von Machatschkala durch einen militanten Mob ereignete sich eine scheinbar belanglose Vorangelegenheit.
Am Abend des 29. Oktober 2023 landete wie üblich an jedem Sonntag ein Linienflug aus Tel Aviv. Das allein wäre an sich kein Problem gewesen. Allerdings war in den sozialen Medien das Gerücht verbreitet worden, dass dieser Flug angeblich „israelische Flüchtlinge“ beförderte, um sie in Dagestan anzusiedeln. Trotz der lächerlichen Natur dieser Behauptung versammelten sich binnen kurzer Zeit Hunderte von Demonstranten vor dem Flughafen. Unter Anstachelung einiger Anführer drangen sie zuerst ins Gebäude ein und stürmten schließlich auf die Landebahn. Dort umringten sie das vermeintliche Flugzeug und forderten die Passagiere auf, die Maschine zu verlassen.
Die Stimmung war aggressiv und feindselig. Zahlreiche Videos vom Geschehen zeigen, wie die Eindringlinge den gesamten Flughafen nach israelischen Staatsbürgern durchsuchten und die Pässe der Passagiere kontrollierten. Die Szenen waren beunruhigend und dokumentierten eine anti-jüdische Razzia, die von Menschen mit mörderischer Absicht durchgeführt wurde. Aber auch vor dem Flughafen geriet die Situation außer Kontrolle. Der wütende Mob geriet zunehmend außer sich und griff sogar Polizeiautos an. Die Sicherheitskräfte sahen sich gezwungen, Warnschüsse in die Luft abzugeben, um die Lage unter Kontrolle zu bringen.
In letzter Minute per Hubschrauber evakuiert
Als plötzlich ein Bus mit Passagieren aus Israel auftauchte, verschärfte sich die Situation dramatisch. Die Wut der Demonstranten, die begannen, den Bus mit Steinen zu bewerfen, eskalierte zu Gewalt. Einige der tatsächlichen Fluggäste aus Israel mussten in letzter Minute per Hubschrauber evakuiert werden, da die Situation zu gefährlich wurde. Die herbeigerufene Bereitschaftspolizei war die einzige, die in der Lage war, die aufgebrachte Menge zu stoppen.
Offiziellen Berichten zufolge beteiligten sich an den Ausschreitungen über tausend Personen, und es handelte sich ausschließlich um Einheimische, die muslimischen Glaubens waren. Die Sicherheitskräfte benötigten mehr als einen Tag, um die Lage unter Kontrolle zu bringen. Bis Montagabend konnten schließlich 83 Personen festgenommen werden, und gegen sie wurde strafrechtlich wegen Massenunruhen ermittelt.
Der Vorfall am Flughafen von Machatschkala war jedoch nicht die einzige antisemitische Aktion, die sich an jenem Wochenende im Nordkaukasus ereignete. Bereits am Vortag kam es in der Stadt Chasawjurt, nahe der tschtschenischen Grenze, zu einer Gewalteskalation. Auch hier war der Auslöser auf Falschmeldungen zurückzuführen. Angesichts der vermeintlichen Aufnahme von israelischen Flüchtlingen durch die Behörden versammelte sich eine aufgebrachte Menschenmenge vor dem Hotel Flamingo und griff das Gebäude mit Steinen an. Als Reaktion darauf brachten die Betreiber ein Schild mit der Aufschrift „Für Juden verboten“ an der Fassade an.
Am selben Tag gab es in Machatschkala und der Republik Karatschai-Tscherkessien unvorhergesehene pro-palästinensische Versammlungen. In Tscherkessk forderte eine Menschenmenge vor dem Verwaltungsgebäude, dass keine Israelis mehr in die Republik gelassen werden sollten. Die Kundgebung wurde schließlich aufgelöst, und von den mehreren hundert Teilnehmern wurden 30 Personen in Gewahrsam genommen.
Eine „Provokation des Westens“
Am 29. Oktober 2023 setzten Unbekannte in Naltschik, der Hauptstadt von Kabardino-Balkarien, ein im Bau befindliches jüdisches Kulturzentrum in Brand. Während Teile des Gebäudes in Flammen aufgingen, riefen die Angreifer „Tod Israel, Tod den Juden!“ Nachdem der Vorfall vorbei war, wurden antisemitische Parolen auf der Fassade hinterlassen.
Sowohl die Behörden von Dagestan als auch der Kreml erklärten den Vorfall als eine Provokation des Westens. Sergej Melikow, der Präsident Dagestans, äußerte die Ansicht, dass die Situation im Nahen Osten von jenen ausgenutzt wurde, „die versuchen, die Stabilität in unserem Land zu untergraben“. Obwohl Melikow die Ausschreitungen verurteilte, zeigte er Verständnis für die Teilnehmer: „Durch die Verbreitung von Falschmeldungen unserer Feinde gerieten sehr junge Menschen an den Rand der Legalität“
Kremlsprecher Dmitrij Peskow beschrieb die Unruhen als „Ergebnis ausländischer Einmischung“, einschließlich „Informationsmanipulation“. Am Abend des 30. Oktober 2023 lud Wladimir Putin die Leiter der Sicherheitsbehörden zu einem Treffen in Nowo-Ogarjowo ein, um die „Versuche des Westens“ zu besprechen, „die Geschehnisse im Nahen Osten zu nutzen, um die russische Gesellschaft zu spalten.“ Während einer Sitzung, die von föderalen Kanälen übertragen wurde, äußerte Putin vor den Zuschauern, dass „die Ereignisse in Machatschkala“ über soziale Medien „von Agenten westlicher Geheimdienste, die sich im ukrainischen Gebiet aufhalten“, inszeniert wurden. Er erklärte dies mit den Worten: „Die Vorfälle in Machatschkala wurden nicht zuletzt durch Agenten westlicher Geheimdienste, die sich im ukrainischen Gebiet aufhalten, angeheizt, auch über soziale Netzwerke.“
Die russischen Behörden scheinen Ilja Ponomarjow, einen ehemaligen Abgeordneten der Staatsduma, als den möglichen Drahtzieher der Unruhen zu betrachten. Ponomarjow wird in Verbindung gebracht mit dem Telegrammkanal „Utro Dagestan“, über den die ersten Aufrufe zur Besetzung des Flughafens Machatschkala verbreitet wurden. Zuvor soll dort das Video von einer Koranverbrennung erschienen sein. Ponomarjow lebt seit 2014 im Exil und hat sich in den letzten anderthalb Jahren als Unterstützer der ukrainischen Armee hervorgetan. Er rief russische Bürger aktiv zum bewaffneten Widerstand gegen die Führung ihres eigenen Landes auf und unterstützte beispielsweise Angriffe von ukrainischen Sabotagegruppen, die aus Russen bestanden, auf russische Gebiete.
Den Begriff Pogrom in die Diskussion zurückgebracht
Obwohl an jenem Wochenende in den sozialen Medien Berichte über die Ankunft eines „Fluges mit Flüchtlingen aus Israel“ kursierten, waren die Sicherheitskräfte in Dagestan nicht in der Lage, den Ausbruch von Gewalt zu verhindern. Dies war überraschend, da die Polizei in den nordkaukasischen Republiken normalerweise für ihre entschlossene Vorgehensweise in solchen Angelegenheiten bekannt sind.
Trotzdem konnte der aufgebrachte Mob am Abend des 29. Oktober den größten Flughafen der Region nahezu ungehindert besetzen und eine anti-jüdische Razzia durchführen. Diese Eskalation hat einen Begriff in die politische Diskussion Russlands zurückgebracht, den viele bereits vergessen hatten: das „Pogrom“ (russ.: Verwüstung, Verheerung), welches oft zur Beschreibung einer Reihe von anti-jüdischen Handlungen verwendet wird, die das Russische Reich um die Jahrhundertwende vom 19. zum 20. Jahrhundert heimsuchten. Während der Begriff eigentlich die Duldung von antisemitischer Gewalt durch den Staat impliziert, stellt sich die Situation im vorliegenden Fall anders dar.
So wird erneut offensichtlich, dass die Zentralregierung die Kontrolle über die Regionen verloren hat. Der Nordkaukasus ist eine Region, die von anhaltenden Krisen geprägt ist und seit dem Zerfall der UdSSR als ein Brennpunkt gilt. Allein im östlichen Teil gab es zwischen 1994 und 2008 drei Kriege.
Moskaus Versuche, den tschetschenischen Separatismus mit Gewalt zu unterdrücken, hatten erhebliche Auswirkungen auf die innere Sicherheit, nicht nur in der Region, sondern in der gesamten Russischen Föderation. Es kam zu terroristischen Anschlägen mit vielen Opfern. Als Reaktion darauf handelte der Kreml mit militärischer Strenge, wobei nicht nur nationale Eliten gewonnen, sondern auch umfassende Befugnisse zur Bekämpfung von Terroristen erteilt wurden.
Dies führte zur Errichtung eines Polizeistaats, insbesondere in Tschetschenien und Dagestan. Es ist erwähnenswert, dass Ramzan Kadyrow kürzlich gefordert hat, Randalierer nach der dritten Warnung durch einen Kopfschuss hinzurichten. Er meint damit Personen, die aufgrund des Konflikts in Palästina versucht haben, israelische Touristen anzugreifen. Diese Reaktion ist insofern widersprüchlich, als Kadyrow erst am 9. Oktober 2023 erklärte hatte, dass Tschetschenien bereit sei, auf Seiten Palästinas in den Konflikt einzutreten.
Kein wirkliches Interesse, den Randalierern im Weg zu stehen
Die Tatsache, dass eine Republik wie Dagestan trotz der starken Präsenz von Sicherheitskräften nicht in der Lage war, den Sturm auf den Flughafen durch aufgebrachte Zivilisten zu verhindern, ergibt keinen Sinn. Das ist umso verwirrender, als die Behörden im Vorjahr keine Schwierigkeiten hatten, Proteste gegen die teilweise Mobilisierung gewaltsam aufzulösen.
Dies führt zur Schlussfolgerung, dass die Ordnungskräfte kein wirkliches Interesse hatten, den Randalierern im Weg zu stehen. Überraschend ist das nicht, da der Islam in Dagestan tief verwurzelt ist und das Schicksal ihrer palästinensischen Glaubensbrüder tiefgreifend auf die lokale Bevölkerung wirkt. Zahlreiche Videos zeigen, wie einige Polizeibeamte den Randalierern sagen: „Brüder, wir stehen auf eurer Seite, aber lassen Sie uns Gewalt vermeiden!“
Tatsächlich bestehen enge Verbindungen zwischen den islamischen Einrichtungen der nordkaukasischen Republiken und der arabischen Welt. Tausende junge Islamstudenten reisen jedes Jahr in arabische Länder, um Arabisch zu lernen und die heiligen Texte ihrer Religion zu studieren. Bei ihrer Rückkehr bringen sie nicht nur das erworbene Wissen mit, sondern auch eine antisemitische Weltanschauung.
Zusätzlich wird in der muslimischen Gemeinschaft in den sozialen Medien die Erzählung verbreitet, dass Israel im Gazastreifen einen Krieg gegen den Islam führt und das Ziel verfolgt, so viele Muslime wie möglich zu töten. Die Hamas verstärkt diese Wahrnehmung, indem sie systematisch Filmmaterial von getöteten Zivilisten verbreitet, von denen einige gefälscht sind. In dieser Optik erscheint das Pogrom in Machatschkala vor allem als Effekt isamistischer Propaganda im Netz.
Im Jahr 2016 hatte das Levada-Zentrum im Auftrag des Russischen Jüdischen Kongresses eine umfassende soziologische Studie zum aktuellen Stand des Antisemitismus in Russland durchgeführt. Die Untersuchung ergab, dass, obwohl die Fremdenfeindlichkeit im Land zunahm, die Einstellung gegenüber Juden sich positiv veränderte. 1990 betrachteten beispielsweise nur 37 Prozent der Bevölkerung Juden als „ehrliche und anständige Menschen“, während 2016 bereits 54 Prozent der Befragten dieser Ansicht waren. Gleichzeitig stieg die Zahl derer, die glauben, dass „für Juden Geld und Profit wichtiger sind als menschliche Beziehungen“, von 40 auf 57 Prozent.
„Empörung, Unzufriedenheit, Lebensangst“
Dass antijüdische Gewalt im Zusammenhang mit der Eskalation des Nahostkonflikts nun in Dagestan eskalierte, ist kein Zufall. Ein Menschenrechtsaktivist aus dem Nordkaukasus sieht hierbei vor allem politische und soziale Ursachen als ausschlaggebend. Gegenüber der BBC erklärte er:
„Man kann nicht gegen die russischen Behörden vorgehen, die einen unterdrücken, und man kann nicht gegen die dagestanischen Behörden vorgehen. Aber hier hat man die Möglichkeit, seine Empörung, seine Unzufriedenheit, seine Lebensangst und seine Angst vor einem Krieg in der Ukraine zu kanalisieren – unabhängig davon, wie man dazu steht. Und das ist es, was explodiert ist.“
Diese Argumente sind stichhaltig. Tatsächlich ist die sozioökonomische Lage in der Republik weiterhin prekär. Im April 2019 betrug die Arbeitslosenquote in Russland insgesamt 4,9 Prozent, während sie im Föderationskreis Nordkaukasus mit 11,5 Prozent die höchste in Russland war und in Dagestan sogar 14,1 Prozent erreichte.
Bei jungen Menschen in Dagestan ist dieser Indikator noch höher. Laut den Ergebnissen einer soziologischen Untersuchung stehen wirtschaftliche Gründe an erster Stelle, wenn es um die Ursachen für Extremismus und Terrorismus in der Republik geht. Gleichwohl wäre es falsch, bei der Erklärung von militantem Antisemitismus religiöse Faktoren auszublenden.
So gibt es in Russland Statistiken zum Extremismus von Organisationen und Einzelpersonen. Diese sind in der sogenannten Liste „der Organisationen und Personen, über die Informationen über ihre Beteiligung an extremistischen Aktivitäten oder Terrorismus auf der Grundlage von Artikel 6 Absatz 2.1 des Föderalen Gesetzes Nr. 115-FZ vom 7. August 2001 „Über die Bekämpfung der Legalisierung (Geldwäsche) von Erträgen aus Straftaten und der Finanzierung der Terrorismusfinanzierung“ enthalten.
Diese Liste wird von Rosfinmonitoring erstellt. In diesem Zusammenhang sind folgende Regionen besonders signifikant: Dagestan, Tschetschenien, Inguschetien, Kabardino-Balkarien und Tatarstan. Auffällig ist, dass Dagestan mit einem Anteil von 32,6 Prozent nahezu ein Drittel der gesamten russischen Liste ausmacht. Dies übertrifft die Anteile der anderen Regionen erheblich (Tschetschenien – 8,7 Prozent; Kabardino-Balkarien – 5,4 Prozent; Inguschetien – 1,4 Prozent; Tatarstan – 1,1 Prozent).
Auch die Extremismusstatistiken nach 2016 geben keinen Anlass zu der Annahme, dass die extremistischen Aktivitäten von Dagestanern zurückgegangen sind. Stattdessen haben sie sich lediglich in ihrer Erscheinungsform verändert. Nach den Daten von Rosfinmonitoring wurden Dagestaner in einer der Listen von Personen aufgeführt, die in extremistische Aktivitäten und Terrorismus verwickelt waren. Diese Liste wurde Ende 2018 veröffentlicht und wies einen Anteil von 24,1 Prozent auf. In der Liste, die zu Beginn des Jahres 2019 veröffentlicht wurde, stieg der Anteil bereits auf 38,3 Prozent an.
Religion steht über den Gesetzen des Staates
Es ist wichtig zu beachten, dass ein Teil der muslimischen Bevölkerung nach wie vor stark von extremistischen Ansichten beeinflusst ist, was sich in den Daten von Rosfinmonitoring und in den Ergebnissen soziologischer Umfragen in Dagestan widerspiegelt. Laut einer solchen Umfrage in der Republik gaben 64 Prozent der Befragten an, dass sie Gesetze des Staates nicht befolgen würden, wenn diese ihren religiösen Überzeugungen widersprechen. Besonders Jugendliche, insbesondere die Altersgruppe zwischen 15 und 20 Jahren, lehnen die Einhaltung staatlicher Gesetze am vehementesten ab, wobei der oben genannte Indikator bei ihnen 70,4 Prozent beträgt („Gesetze nicht befolgen, wenn sie den religiösen Überzeugungen widersprechen“).
Zudem beantworteten 3,5 Prozent der befragten Jugendlichen die Frage, ob sie sich aus irgendeinem Grund auf die Seite von ISIS stellen würden, mit „Ja“. Bei denjenigen mit religiöser Bildung waren es 10,3 Prozent (bei säkularer Bildung 2,8 Prozent). Nur 72,3 Prozent der Befragten antworteten mit „Nein“. Diejenigen, die mit „Nein“ antworteten und diejenigen, die Schwierigkeiten hatten, die Frage zu beantworten, bilden eine ziemlich große Gruppe, die die Stabilität des öffentlichen Lebens in der Republik infrage stellt. Insgesamt lässt sich sagen, dass die antisemitischen Pogrome im Nordkaukasus in verschiedener Hinsicht erhellend sind.
Erstens offenbart sie die Unfähigkeit des Zentralstaats, diese Gewaltausbrüche effektiv einzudämmen. Wenn mehrere hundert Personen in der Lage sind, einen gesamten Flughafen zu besetzen und ungestört Razzien gegen die Passagiere durchzuführen, zeigt dies eindeutig, dass das staatliche Gewaltmonopol erheblich erodiert ist.
Darüber hinaus haben die regionalen Regierungen offensichtlich Schwierigkeiten, den islamistischen Extremismus in Schach zu halten. Die Pogrome deuten daraufhin, dass die Beteiligten jüdische Menschen als schutzlos ansehen und bereit sind, Gewalt anzuwenden, um sie zu töten. Dies wiederum bestätigt, dass die Ideologie des Islamischen Staates, insbesondere unter jungen Muslimen im Nordkaukasus, stark verbreitet ist.
Schließlich wird offensichtlich, dass Moskau offenbar nicht gewillt ist, die Ursachen antisemitischer Pogrome systematisch anzugehen. Gleiches gilt dafür, sie als Symptome struktureller Probleme zu identifizieren. Stattdessen wird Antisemitismus aus politischen Gründen im Rahmen der russischen Kriegspropaganda instrumentalisiert. Dieser Ansatz erinnert an Mechanismen aus der sowjetischen Zeit, in der die Figur des „ausländischen Agenten“ propagiert wurde, der heimlich subversive Aktivitäten plante, um eine Konterrevolution auszulösen. Diese Ideologie erlebte ihren Höhepunkt in den 1930er Jahren und darüber hinaus.
Es ist vielleicht eine ironische Fügung des Schicksals, dass die russische Politik fast ein Jahrhundert später wieder auf dieses Niveau zurückgefallen ist.
Dr. Christian Osthold ist Historiker mit dem Schwerpunkt auf der Geschichte Russlands. Seine Monographie über den russisch-tschetschenischen Konflikt ist in der Cambridge University Press rezensiert worden. Seit 2015 ist Osthold vielfach in den Medien aufgetreten.