Das Land Baden-Württemberg verbietet den Verkauf des Buches eines AfD-Politikers, eine Kästner-Lesung in Dresden wird untersagt, und bei der Diakonie soll nicht arbeiten, wer das Falsche wählt.
Don’t judge a book by its cover, rät der englischsprachige Volksmund. Das Landgericht Karlsruhe hat jetzt aber genau das getan: Es hat den Vertrieb eines Buches gestoppt – wegen des Fotos auf dem Cover. Dabei geht es um ein Werk des AfD-Europaabgeordneten Maximilian Krah, das den Titel Politik von rechts. Ein Manifest trägt. Krah geriet kürzlich in die Schlagzeilen, nachdem einer seiner Mitarbeiter verhaftet worden war, der anscheinend mit östlichen Geheimdiensten zusammengearbeitet hat – dem chinesischen und dem sächsischen. Das Buch des AfD-Spitzenkandidaten zur EU-Wahl erschien letzten Sommer mit einem Foto aus dem Kloster Maulbronn auf dem Titel, das eine Ansicht aus dem dortigen Laienrefektorium abbildet.
Das mittelalterliche Gemäuer gehört dem Land Baden-Württemberg, es „verträgt sich nicht mit dem Geist des Buches von Herrn Krah“, wie die staatliche Schlösser- und Gärten-Verwaltung urteilt. Das reicht natürlich nicht, den Verkauf zu untersagen, aber das Kretschmann-Ländle hat einen Trumpf im Ärmel: Fotos, die das Innere des Klosters zeigen, dürfen nicht ohne Genehmigung des Eigentümers veröffentlicht werden. Der neurechte Verlag Antaios, der Krahs Werk verlegt, hatte damit offenbar nicht gerechnet. Meist genügt ja auch, das Urheberrecht des Fotografen zu berücksichtigen. Der Verlag kündigt nun an, das Buch ab Mitte Mai mit neuem Einband zu liefern. Restexemplare der alten Auflage hat er mit schwarzem Cover als „Maulbronner Nachtausgabe“ feilgeboten.
Kein Kästner in Elbflorenz
Um einen rechtlichen Vorbehalt geht es auch bei einer wie Krah in Dresden aufgewachsenen, aber deutlich bedeutsameren Persönlichkeit, nämlich Erich Kästner. Aus dessen Theaterstück Die Schule der Diktatoren (1956) sollte bei einer Veranstaltung in der sächsischen Landeshauptstadt vorgelesen werden. Allerdings hat der Atrium-Verlag, bei dem die Rechte liegen, dem einen Riegel vorgeschoben (Achgut berichtete). Die Ausgangslage war ähnlich wie bei der Klemperer-Lesung, mit der wir uns vor genau einem halben Jahr beschäftigt hatten: Wieder lud die Stadtratsfraktion Freie Wähler/Freie Bürger ein, wieder war deren Stadtratsmitglied Susanne Dagen – eine örtliche Buchhändlerin – beteiligt, wieder sollten die Ex-Grüne Antje Hermenau und der Kabarettist Uwe Steimle zu Gast sein.
Der Atrium-Verlag, so die Fraktion, habe ihnen mitgeteilt, ein „geheimer Vorbehalt“ verbiete es, dass Kästner bei Veranstaltungen politischer Parteien – oder in diesem Fall: Wählervereinigungen – rezitiert wird. Die Dresdner Freien Wähler haben daraufhin recherchiert, dass in den vergangenen Jahrzehnten immer wieder Kästner-Lesungen bei Events von SPD und Grünen erfolgt seien. Sie wollten die Veranstaltung trotzdem stattfinden lassen, ohne Lesung, aber auch das scheiterte. Denn anschließend kündigte die Sächsische Zeitung die gemietete Örtlichkeit, das Haus der Presse, wie die Stadtratsfraktion mitteilt. Sie beklagt weitere Absagen von Räumen. So habe das Programmkino Ost einen „Mietvertrag […] gekündigt, nachdem dort ebenfalls Denunziationen stattgefunden hatten.“ In Kästners Schule der Diktatoren installiert man an der Spitze des Staates übrigens austauschbare Marionetten; es handelt sich daher mutmaßlich um ein „verschwörungsideologisches“ Machwerk zum Zwecke der „Staatsdelegitimierung“. Haldenwang, bitte prüfen!
Vosgerau bleibt
Als im Januar die Anti-Rechts-Bewegung so richtig losging, hatte ich Ihnen berichtet, dass die Uni Köln prüft, ob Ulrich Vosgerau seinen Privatdozenten-Titel dort behalten darf. Der habilitierte Jurist, der als Rechtsanwalt aktuell Björn Höcke (AfD) vertritt, hatte seinerzeit bei der Potsdamer Geheimplanschmiede über das Thema Briefwahl referiert. Als Ergebnis ihrer Prüfung teilt die juristische Fakultät nun mit: „Es gibt aus rechtlichen Gründen keinerlei Veranlassung, die Lehrbefugnis und damit den Status Privatdozent zu entziehen.“ Von der damit verbundenen ehrenamtlichen Lehrverpflichtung ist Vosgerau nach eigener Aussage seit einigen Jahren wegen hoher hauptberuflicher Belastung befreit.
Die Kölner JuSos, der Sozialistisch-Demokratische Studierendenverband (SDS) und der AStA kritisieren die Entscheidung, der örtliche „Arbeitskreis kritischer Jurist*innen“ (AKJ) zeigt sich sogar „wütend“. Am Montag fand an der Uni eine Demo dagegen statt. Der Berliner AKJ hatte 2022 eine wesentliche Rolle bei der Verhinderung eines Vortrags der Biologin Marie Vollbrecht gespielt. Der Kölner SDS will zwar Privatdozent Vosgerau den Titel entziehen, da dieser ihm „ein großes Ausmaß an Autorität“ verleihe, beschwert sich aber umgekehrt, dass die Uni Köln der israelfeindlichen Professorin Nancy Fraser eine Gastprofessur wieder abgesagt hat.
Wahlkreuzritter
Rüdiger Schuch, Chef der evangelischen Diakonie, hat nachgelegt. Verlangte er vor Wochen noch, dass sich Mitarbeiter seines Wohlfahrtsindustrie-Konzerns, insbesondere leitende, nicht „öffentlich aktiv als Funktionärin, Kandidatin oder Abgeordnete für [die AfD] einsetzen“, liegt die Hürde jetzt niedriger. „Wer die AfD aus Überzeugung wählt, kann nicht in der Diakonie arbeiten“, war am Dienstag von diesem Pfarrer zu erfahren. Wie er feststellen will, wo jeder seiner 600.000 angestellten und weiteren 700.000 ehrenamtlichen Mitarbeiter das Kreuzchen zu machen pflegt – und ob mit und oder Überzeugung –, bleibt sein Geheimnis. Anderen Arbeitgebern gibt Schuch auch etwas auf den Weg: „Jedes Unternehmen in Deutschland sollte […] seine Haltung überprüfen und sich fragen, ob es genug für den Erhalt der offenen Gesellschaft tut.“ Offen haben manche ein Körperteil, und nicht immer ist es der Mund.
Der Thüringer Landvoigt
Letzte Woche hat der Thüringer CDU-Chef Mario Voigt „verwirkbare Social-Media-Lizenzen für jeden Nutzer“ gefordert. „Hat Voigt sich diese Idee vom brillanten Führer in Pjöngjang geborgt?“, fragt Kollege Claudio Casula. In einer Landtagsrede rief der CDU-Spitzenkandidat außerdem nach weiteren Einschränkungen wie einem Klarnamenzwang. Empörte beruhigte er anschließend per Tweet: Niemand verfolge den Plan, „dass Usern der Zugang zu Social Media zugeteilt werden soll“. Seine Formulierung war vielmehr „falsch gewählt“. Und wenn in Thüringen „falsch gewählt“ wird, muss man das bekanntlich „rückgängig machen“. Voigt konnte kürzlich bundesweite Bekanntheit erlangen, indem er sich mit seinem AfD-Counterpart Björn Höcke zu einem Fernsehduell traf. Höcke darf gerichtlich abgesegnet als „Faschist“ bezeichnet werden – wie sollen wir Voigt dann nennen?
Neue Masche bei YouTube
Die Videoplattform YouTube verfügt über viele Knüppel, die sie unliebsamen Kanalbetreibern zwischen die Beine werfen kann. Typischerweise werden Videos demonetarisiert oder als nur eingeschränkt werbefreundlich eingestuft (Stichwort: „Youtube-Ampel“), so dass Werbeeinnahmen ganz oder teilweise ausbleiben. Sebastian Weber alias Weichreite, ein Youtuber mit AfD-Parteibuch, beklagte jüngst in einem Livestream nach Interviews: „Wir haben über Krieg gesprochen, wir haben über Corona gesprochen, das sind alles Sachen, da kannst du das vergessen, dass du da noch irgendeinen Cent hier bei YouTube siehst.“ So pauschal wird das nicht jeder bestätigen können. Für die Libertäre Carolin Matthié, die auch mal der AfD beitrat, ist das trotz ihrer Inhalte jedenfalls kein permanenter Zustand. Sie muss sich allerdings mit unzuverlässigen YouTube-Benachrichtigungen an ihre Abonnenten und anderen Reichweiteneinschränkungen herumschlagen. Der rechtsalternative Youtuber Gabba Gandalf muss nach eigenen Angaben sogar seit anderthalb Jahren jedes seiner Videos vor Veröffentlichung von dem Google-Videodienst manuell prüfen lassen. Das heißt: Bevor es online gehen darf, schaut erst mal ein Zensor darauf. Das dauere ein bis zwei Wochen.
Gabba Gandalf war jüngst wie viele vom neuesten Schrei der Plattform betroffen: Einige Tage lang wurde die Kommentarfunktion unter den Videos einschlägiger Kanalbetreiber automatisch deaktiviert, niemand konnte darunter etwas posten. Versuche, die Funktion eigenhändig wieder zu aktivieren, scheiterten. Betroffen waren u.a. der oppositionelle Arzt und Publizist Paul Brandenburg oder auch der Kanal Dr. Ludwig, auf dem traditionelles deutschsprachiges Liedgut zu hören ist. („Schwarzbraun ist die Haselnuss“ wurde mal von Facebook als „Hate Speech“ eingestuft.) Dem Kanalbetreiber zufolge könnte dies daran liegen, dass YouTube während der Kommentar-Deaktivierung das jeweilige Video auf seine Konformität mit den Richtlinien des Konzerns prüft. Das würde erklären, warum nur bestimmte Kanäle betroffen waren. Nach wenigen Tagen scheint dieses Problem gelöst worden zu sein, man kann wieder Kommentare posten. Bei einigen zum ‚falschen Zeitpunkt‘ veröffentlichten Videos sieht die Kommentarspalte allerdings mager aus, weil man sie tagelang nicht befüllen konnte.
Literaturhinweis
Prof. Michael Meyen kam bei uns schon als Betroffener vor. Gegen den an der LMU München lehrenden Kommunikationswissenschaftler wurde aus Anlass seiner publizistischen Tätigkeit gegen die Corona-Politik ein Disziplinarverfahren eingeleitet. Nach seinem Buch Wie ich meine Uni verlor hat er nun ein kleines Werk mit dem Titel Cancel Culture. Wie Propaganda und Zensur Demokratie und Gesellschaft zerstören vorgelegt. In dem Büchlein beschäftigt er sich mit der Zensur als andere Seite der Medaille Regierungspropaganda, den Hintergründen und Funktionsweisen der Cancel Culture. Außerdem nennt er exemplarisch mehrere Fälle, die ihm zu Ohren gekommen sind. Sie seien stellvertretend für viele, die nicht oder nicht rechtzeitig öffentlich bzw. mir bekannt werden und daher keinen Eingang in diese Kolumne finden.
So berichtet Meyen von einem oberbayerischen Gasthof, in dem bei Veranstaltungen ‚umstrittene‘ Referenten wie der libertäre Ökonom Markus Krall und der frühere AfD-Bundespräsidentschaftskandidat sowie ehemalige Werteunion-Chef Max Otte auftraten. Letzten Herbst war es deshalb zu Schmierereien gekommen, mutmaßlich aus der Antifa-Ecke, die allerdings von den Veranstaltern bereinigt wurden. Für den Gastwirt war damit alles in Ordnung, allerdings pachtet er sein Wirtshaus offenbar von der Gemeinde, und der Bürgermeister machte deutlich, dass man derlei Ärger im Ort nicht mehr wünsche. „Denk an Deinen Pachtvertrag, mein lieber Freund“, gibt Meyen die Botschaft wieder. Der Betreiber muss also künftig genau aufpassen, welche Veranstaltungen er in seinem Saal zulässt.
Ferner nennt der Wissenschaftler das Beispiel eines Doktoranden, der den „Verschwörungstheoretiker“ Dirk Pohlmann in sein Seminar eingeladen hat und deshalb an der Uni schief angeschaut wurde. Von einem Workshop wurde dieser Nachwuchswissenschaftler nach eigener Aussage ausgeladen, weil er auf Twitter die Ampel-Koalition und den behördlichen Rundfunk kritisiert hatte.
Die Mohren haben ihre Schuldigkeit getan
Kommen wir zum Dauerbrenner Straßenumbenennungen. Die Stadt Potsdam – bekannt von verschiedenen Konferenzen – hat letzten Monat der Straße „Zu den drei Mohren“ einen neuen Namen gegeben. „Der Begriff Mohr wird seit mehr als 70 Jahren öffentlich wegen seines rassistischen und stereotypen Gehaltes kritisiert“, hatte die linke Fraktion „Die Andere“ zur Begründung angeführt. Ein reizvoller Alternativvorschlag, nämlich „Zu den drei Mooren“, fand allerdings keine Mehrheit. Als neue Namensgeberin fungiert vielmehr eine Keramikkünstlerin namens Carola Buhlmann. Amir Makatov bemängelt im Gegenzug bei Nius, dass viele Straßen der brandenburgischen Landeshauptstadt weiterhin kommunistische Bezeichnungen tragen. Selbst der Platz der Einheit bezieht sich nicht auf die Wiedervereinigung, sondern auf die Gründung der Sozialistischen Einheitspartei.
N-Wörter und Penisse
Bleiben wir beim Thema. Rapper neigen dazu, sich gegenseitig zu „dissen“, also einander mangelnde Wertschätzung (disrespect) entgegenzubringen, indem sie per Sprechgesang Schmähkritik ausstoßen. Der niederländische Rapper Ronnie Flex hat kürzlich ein solches Stück veröffentlicht, in dem er mehrfach Personen als „Nigger“ bezeichnet. Jemandem mit einem schwarzen Elternteil lässt man so etwas durchgehen. Aber wenn zwei das Gleiche tun, ist das noch lange nicht das selbe. Das musste Sängerin Anouk erfahren, die in dem Stück zwar nicht angesprochen, aber erwähnt wird, und daher reagierte. Anouk gehört seit Jahrzehnten zu den Topstars im niederländischen Sprachraum und konnte sich mit ihrer Musik vereinzelt auch in den deutschen Charts platzieren.
Sie singt auf Englisch, und antwortete dem Rapper Ronnie Flex in dieser Sprache, bezeichnete ihn auf Instagram als „little cryin‘ broke bitch niggah“, also mit einem sogenannten N-Wort am Ende. Daraufhin hagelte es Kritik und Anouk änderte die Formulierung. In der Konsequenz zog sich ein ebenfalls schwarzer Rapper namens Sor aus dem Vorprogramm von zwei Anouk-Konzerten zurück, in denen er hätte auftreten sollen. Es geht offenbar darum, dass einer Hellhäutigen wie der Sängerin der Gebrauch bestimmter Wörter nicht zustehe, die andere ohne weiteres benutzen dürfen. Denn eine Abneigung gegen Schwarze dürfte man Anouk nämlich kaum nachsagen können, die 49-Jährige hat sechs Kinder von dunkelhäutigen Vätern verschiedener Schattierung. Als Anforderung für den Geschlechtsakt mit ihr gibt sie übrigens eine Penislänge von 21 bis 23 Zentimetern vor. Apropos Gemächt: Im Februar erst hatte sie mit der Äußerung „Den Pillemann abzuhacken, macht einen nicht zur Frau“ einen Sturm der Entrüstung entfesselt. Sie blieb standhaft und ruderte nicht zurück.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
Ein Archiv der Cancel Culture in Deutschland mit Personenregister finden Sie unter www.cancelculture.de. Um auch weniger prominente Betroffene aufnehmen zu können, sind die Betreiber der Website auf Hinweise angewiesen. Schreiben Sie ihnen gerne unter cancelculture@freiblickinstitut.de.
Christoph Lövenich ist Novo-Redakteur und wohnt in Bonn. Er hat zum Sammelband „Sag, was Du denkst! Meinungsfreiheit in Zeiten der Cancel Culture“ beigetragen.
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