Seit Elon Musk die Plattform X, früher Twitter, übernommen hat, weht dort ein viel liberalerer Wind. Das passt so manchem Tugendwächter nicht. Die EU-Kommission unterstellt X den höchsten Grad an Desinformation. Und der Grüne-Jugend-Bundessprecher fordert auf Musks Plattform sogar dessen Enteignung.
Noch ist unklar, ob es einen tätlichen Angriff auf den AfD-Chef Tino Chrupalla bei einem Wahlkampfauftritt in Ingolstadt gegeben hat. Am Mittwoch hatte sich der Politiker in intensivmedizinische Behandlung begeben (Achgut berichtete). Zweifler sprechen von einem Schwächeanfall oder Ähnlichem ohne Fremdeinwirkung, parteinahe Kreise spekulieren über eine Spritze, die man dem Partei- und Fraktionsvorsitzenden vielleicht beim Selfieschießen verabreicht haben könnte. Die Kripo ermittelt, „eine oberflächliche Rötung bzw. Schwellung“ an Chrupallas Oberarm wurde behördlicherseits bereits bestätigt. Nachdem die AfD-Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch mit Kot beschmiert worden war und angesichts einer der Partei feindlich gesonnenen Antifa, die schon Gegnern der Corona-Politik Parolen wie „Wir impfen euch alle“ zugeschrien hat, liegt ein solches Szenario nicht außerhalb des Vorstellbaren.
Chrupallas Doppelspitzen-Kollegin Alice Weidel nahm am Vortag einen wichtigen Auftritt im bayerischen Landtagswahlkampf nicht wahr. Am Nationalfeiertag hätte sie in Mödlareuth, an der ehemaligen innerdeutschen Grenze, bei einem Termin ihrer Partei sprechen sollen. Stattdessen meldete sie sich nur per Video. Sie befand sich auf Mallorca, wohin sie aus Sicherheitsgründen ausgewichen war. Am 23. September war sie mit ihrer Familie, wie Weidels Sprecher ausführt, von der Polizei aus ihrem Schweizer Wohnsitz geholt und eine Nacht anderweitig untergebracht worden. Offenbar befürchtete man einen Anschlag. Das deutsche Bundeskriminalamt bestritt zwar, speziell von der Wahrnehmung des Termins in Mödlareuth abgeraten zu haben; die Warnungen, denen die AfD-Vorsitzende gefolgt ist, könnten jedoch von der Schweizer Polizei oder von anderer Seite ausgesprochen worden sein.
Wenn Politiker wegen Attentatsgefahr ihrer Tätigkeit nicht in vollem Umfang nachgehen können, schränkt das die Funktionsfähigkeit unserer ohnehin stark dysfunktionalen Demokratie weiter ein. In den Niederlanden konnten nach der Ermordung des Regisseurs Theo van Gogh durch einen marokkanischstämmigen Islamisten 2004 zwei Abgeordnete eine Weile nicht einmal ihre Parlamentstätigkeit ausüben: Geert Wilders wurde unter anderem in Kasernen versteckt, darunter in Zellen, wo früher die libyschen Angeklagten des Prozesses um den Lockerbie-Anschlag inhaftiert waren. Achgut-Gastautorin Ayaan Hirsi Ali, die mit van Gogh an einem islamkritischen Film gearbeitet hatte, isolierte man monatelang auch in den USA und Deutschland, bevor sie ihre Arbeit als Parlamentsabgeordnete in Den Haag wieder aufnehmen konnte. Wurden gegen Wilders und Hirsi Ali noch Fatwen ausgesprochen, geht die Gefährdung von AfD-Politikern – folgt man der Argumentation des kritischen Journalisten Boris Reitschuster – nicht zuletzt auf eine berüchtigte Rede von Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier (SPD) zurück.
Banken-Schranken
Vor über zwei Wochen war Beobachtern bereits der sehr präsente Personenschutz für Tino Chrupalla bei einem Wahlkampfauftritt in Nordhausen aufgefallen. Dieser begegnet uns heute aber auch noch aus einem anderen Grund. Chrupalla wurde nach eigener Darstellung kürzlich sein Konto bei der Postbank gekündigt – wegen seiner Parteizugehörigkeit. Das zur Deutschen Bank gehörende Kreditinstitut will das unter Verweis auf das Bankgeheimnis nicht ausdrücklich bestätigen. Das erinnert an den hier schon behandelten Fall Nigel Farage in Großbritannien und natürlich an den Fall des erwähnten Boris Reitschuster. Dieser weist darauf hin, dass die Kündigung von Farages Konto im Vereinigten Königreich große Medienaufmerksamkeit generierte und die Regierung veranlasste, tätig zu werden. In Deutschland, wie er beklagt: Fehlanzeige. Chrupallas AfD als Organisation hingegen dürfte solches nicht drohen, da Parteien sich auf besonderen grundgesetzlichen Schutz berufen können: Selbst die linksextreme MLPD darf ihre Konten bei – ausgerechnet – der Deutschen Bank behalten.
Brandmaueropfer
Vergangene Woche habe ich Ihnen vom Rücktritt Andreas Rödders als Vorsitzender der CDU-Grundwertekommission berichtet. Sowohl ihm als auch dem Augsburger Bischof Bertram Meier schlug der Wind ins Gesicht, weil sie keine totale Brandmauer gegenüber der AfD ziehen. Gleich danach erwischte es den Landesvorsitzenden der CDU in Bremen, Carsten Meyer-Heder. In einem Fernsehinterview hatte er vorgeschlagen, Zusammenarbeit mit der AfD auf kommunaler Ebene nicht völlig auszuschließen. Er habe vor der Linkspartei in der Bremer Bürgerschaft „mehr Angst als vor manchen Leuten in der AfD“. Kurz darauf verkündete Meyer-Heder am letzten Freitag seinen Rücktritt „in Abstimmung mit der Partei“. Er sei missverstanden worden und stehe der blauen Oppositionspartei keineswegs nahe. Sein Landesverband lobt ihn zum Abschied dafür, „den Weg für eine paritätische Liste und mehr Diversität 2023 geöffnet“ zu haben.
X-Propriation
„Elon Musk ist eine Gefahr für die Demokratie“, schreibt Grüne-Jugend-Bundessprecher Timon Dzienus. „Er gehört enteignet.“ Dzienus darf dies auf Twitter, der Plattform des afroamerikanischen Multimilliardärs, veröffentlichen. Letzterer darf aber offensichtlich nicht äußern, was er will, ohne solche Reaktionen hervorzurufen. Den Anlass für diesen Vorstoß bot Musks Retweet in Sachen Mittelmeer-Schlepperei (Achgut berichtete), den er mit der Frage versah, ob der deutschen Öffentlichkeit bekannt sei, dass Schleuser mit deutschen Steuergeldern subventioniert werden. Im Anschluss stellte Musk unter anderem in den Raum, ob die deutsche Regierung nicht gegen die Bevölkerungsmehrheit handle und abgewählt gehöre. Der Twitter-Eigner ist nicht das deutsche Volk, daher braucht er eine mögliche Enteignung weniger zu fürchten.
Auch in Brüssel hat man wenig für Musk übrig. Unter sechs großen sozialen Medien fände sich bei Twitter der höchste Grad an Desinformation, so kürzlich die EU-Kommission (Achgut berichtete). Kommissarin Věra Jourová verlangte Gesetzeseinhaltung und betonte, man beobachte das Unternehmen. Unverhohlene Drohungen der Eurokraten an Musks Adresse sind nichts Neues: Jourovás Kollege Thierry Breton hatte dem Twitter-Chef erst vor wenigen Monaten zu verstehen gegeben: „Man kann weglaufen, aber man kann sich nicht verstecken.“
Nachdem der Südafrikanischstämmige Ende letzten Jahres den Kurznachrichtendienst übernommen hatte, hofften einige seiner deutschen Gegner, in Mastodon eine Alternative gefunden zu haben. Offenbar mit begrenztem Erfolg, denn jetzt klammert man sich schon an den nächsten Strohhalm. BlueSky heißt der neue Anbieter, bei dem sich unter anderem die SPD-Politikerin Sawsan Chebli tummelt. Als „eine Art ‚Gated Community‘ der linken Schickeria“ sieht ihn Apollo News. Hauptsache, man bleibt dort von der Kritik Andersdenkender verschont – und am besten von der Realität insgesamt.
YouTube-Ampel
Wer von den Werbeeinnahmen seiner YouTube-Videos leben will, ist darauf angewiesen, dass die Plattform möglichst viele dieser Videos als werbefreundlich (grün) einstuft. Mit eingeschränkt werbeunfreundlichen (gelben) Filmen generiert man viel weniger Umsatz, mit ungeeigneten (roten) gar keinen. Manche YouTuber, die mit politischen Inhalten „anstoßen“, können ein Lied von willkürlich wirkenden Einschränkungen dieser Art singen. Einen kuriosen Fall meldete jüngst Alexander Raue alias Vermietertagebuch. Sein Video „Taiwan meldet 18-fachen Anstieg von Impfschäden“ über die Corona-Spritze wurde, nachdem es bereits 120.000-mal aufgerufen worden war, auf gelb zurückgestuft, und später wieder auf grün gestellt. Der Vorgang wiederholte sich in den nächsten Tagen. Diese – für Zuschauer der Videos nicht unmittelbar erkennbare – Veränderung führt Raue darauf zurück, dass Beschwerden gegen seinen Inhalt bei der automatischen Prüfung durch den Algorithmus zu je unterschiedlichen Resultaten geführt hätten – „trotz derselben Regeln“.
Faktenchecker unter sich
Raue ist auch auf Facebook unterwegs und hat dort mit Faktenchecker-Zensur zu tun. Deutschsprachige Faktenchecker trafen sich letzte Woche in Wien zu einer Tagung. Wie Magnus Klaue in der Welt berichtet, stach ausgerechnet eine YouTube-Lobbyistin mit der exzentrischen Forderung nach einem „offenen Internet“ hervor. Die übrigen Teilnehmer präsentierten sich „nicht als distanzierte Beurteiler der Nachrichten- und Meinungslage, sondern als Kriegsteilnehmer“ in einem Infokrieg. Sie werfen anderen vor, sich in ihrer Kommunikation abzuschotten, sind aber selbst, so Klaue, „Bewohner einer Blase […], die ihre Gewissheit, im Recht zu sein, der andauernden Wiederholung immergleicher Schlagworte und der Weigerung verdanken, sich mit der Welt außerhalb ihres eigenen Zirkels auseinanderzusetzen“.
True colours
Dass, wer wie weiland Martin Luther King für „Farbenblindheit“ im Umgang von Menschen unterschiedlicher Hautfarbe plädiert, den Zorn der Anhänger der „kritischen“ Rassenlehre auf sich zieht, war vergangene Woche bei uns Thema. Dies widerfuhr auch Sean Corby (hier mit seiner Frau). Der Angestellte hatte im Intranet seines Arbeitgebers, einer britischen Behörde, den Ansatz der Black-Lives-Matter-Bewegung (BLM) kritisiert. Daraufhin erklärten einige Kollegen, sich in seiner Gegenwart „unsicher“ zu fühlen. Gegen Corby wurde sogar eine Untersuchung eingeleitet, was den Betroffenen an „Ostdeutschland“ erinnerte – er meinte wohl die DDR. Zwar wurden die Beschwerden gegen ihn abgewiesen, Corby aber aufgefordert, seine Posts zu löschen. Dem kam er nicht nach und brachte den Fall vors Arbeitsgericht. Dort erzielte er jüngst einen Erfolg: Seine Ablehnung der woken Rassenlehre gilt als gesetzlich geschützter „philosophischer Glaube“, aufgrund dessen er nicht diskriminiert werden dürfe.
Kritische Rassenreligion
Jenseits des Großen Teichs, im Black-Lives-Matter-Mutterland, sind jetzt sogar einschlägige Kirchenfenster eingeweiht worden. Anstelle zweier 2017 entfernter gläserner Darstellungen von Südstaatengeneralen zieren die Washington National Cathedral nun Abbildungen einer Protestaktion Schwarzer, die – wie Apollo News zu Recht schreibt – „verdächtig an die ‚Black Lives Matters [sic!]‘-Bewegung erinnern“. Das Gotteshaus in der US-Hauptstadt gehört zur Episkopalkirche, einer anglikanischen Glaubensgemeinschaft. Mittels der Fenster möchte sie sich den „Erbsünden des Rassismus und der Sklaverei“ widmen. Dabei stört es Dompropst Randolph Hollerith gar nicht, dass die neuen Kunstwerke – im Gegensatz zu den alten an gleicher Stelle – kein christliches Kreuz mehr enthalten. Das Thema Rassismus selbst sei religiös genug. Die Außenfassende der Kathedrale schmückt übrigens ein Darth-Vader-Kopf.
Studenten wollen canceln
Fälle von Veranstaltungen an Hochschulen, die im Vorfeld gecancelt oder in ihrem Ablauf gestört werden, weil einigen ihr Inhalt oder die Person eines Redners missfällt, tauchen öfters in dieser Kolumne auf. Eine Studie der Universität Konstanz bietet nun Datenmaterial zu diesem „De-Platforming“. Studenten sollten angeben, welches Vorgehen sie gegen bestimmte Vortragsredner an der Uni für akzeptabel halten. Die Auffassungen der Redner, zu denen dies abgefragt wurde, lauteten: Migration sollte begrenzt werden, es gibt nur zwei biologische Geschlechter, Einkommensunterschiede in einer Gesellschaft motivieren zu harter Arbeit.
Jeweils die Mehrheit der Befragten findet das Entfernen von Werbung für solche Vorträge (Flyer, Aushänge) absolut, eher oder vielleicht akzeptabel (bei allen drei Themen). Zum Teil erhebliche Minderheiten bewerten das Blockieren des Zutritts zum Vortrag, das Niederschreien des Redners oder sogar die Anwendung von physischer Gewalt genauso. „Aggressive Formen des Protestes lehnt die große Mehrheit der Studierenden ab“, schreiben zwar die Studienautoren, Welt-Wissenschaftsredakteur Axel Bojanowski macht sich jedoch einen anderen Reim darauf. Er rechnet die Zahlen der – allerdings nicht repräsentativen (!) – Studie auf alle deutschen Studenten hoch und gelangt so zu dem Ergebnis, „dass knapp 300.000 Studenten an deutschen Hochschulen physische Gewalt tolerieren könnten, um akademische Vorträge über legitime Thesen an ihrer Uni zu verhindern.“
Das Klima an der Uni
Manchmal will man auch einen Professor gleich ganz loswerden. Eric Kaufmann, der Politikwissenschaft am Birkbeck College der Universität London lehrt, wechselt deshalb jetzt die Universität. Der Kanadier versteht sich als nationalkonservativ und befindet sich in Gegnerschaft zu den Woken. Einige Studenten und Kollegen an seiner Hochschule hätten in den vergangenen fünf Jahren – vorher habe er seine Ansichten weniger offen vertreten – regelrecht Jagd auf ihn gemacht. Dem Demographie-Experten mit europäisch-jüdischen, chinesischen und lateinamerikanischen Vorfahren wurde Nähe zu weißem Rassismus unterstellt, zu seiner Entlassung wurde aufgerufen, eine Mitarbeiterin erklärte öffentlich, wegen der „Rechtsaußen“-Orientierung Kaufmanns gekündigt zu haben, der sich sogar erdreiste, den „antisemitischen Begriff des ‚Kulturmarxismus‘“ zu verwenden.
Der Angegriffene befürchtet für die Zukunft eine Zunahme solchen Ärgers und tritt daher lieber eine Stelle an der privaten Universität Buckingham an, die der konservative Intellektuelle Roger Scruton mal als „am wenigsten politisch korrekte Universität in Europa“ apostrophiert hat. Kaufmann rechnet auch dort mit einer linken Mehrheit, sieht die Uni aber gut aufgestellt in Sachen Meinungsfreiheit; in der Universitätsspitze seien dort traditionell auch Konservative und Liberale vertreten. Er betont, dass es ihm um einen „ausgewogenen Freiraum“ geht. Außerdem möchte er ein „nicht-linkes“ Forschungszentrum einrichten. In Deutschland hatten wir dieses Jahr den Fall eines Professors zum Thema, der sich vom Wechsel von der Uni Marburg an die Uni Saarbrücken ein weniger ideologisches Klima verspricht.
Pass auf, was du postest
Die Tulane University in New Orleans hat eine lange Latte an Benimmregeln aufgestellt, was die Nutzung der anstaltseigenen IT-Infrastruktur angeht. Studenten dürfen sich zum Beispiel kein pornographisches, diskriminierendes oder potenziell jemanden belästigendes Material anschauen oder verbreiten. Das könne bereits das Surfen im W-LAN der Uni betreffen, befürchtet die Bürgerrechtsorganisation FIRE. Ansonsten drohen Strafen, bis hin zur Exmatrikulation. FIRE sieht in den Regelungen einen inakzeptablen Aufruf zur Selbstzensur.
Namen sind Dramen
Zuletzt geht es nach Spanien. Der Fußballverein FC Getafe benennt sein Stadium um. Bisher hieß es Coliseum Alfonso Pérez, künftig soll die Bezeichnung nur noch Coliseum lauten. Denn der Namensgeber Alfonso Pérez, ein früherer Fußballspieler, habe sich „sexistisch“ geäußert. Findet er, dass Frauen an den Herd gehören? Dass man ungehorsame Ehegattinnen schlagen soll? Oder gar, dass nur Männer Fußball spielen können? Nein, Pérez hat öffentlich die Meinung vertreten, dass es richtig sei, wenn im Frauenfußball niedrigere Gehälter an die Spielerinnen gezahlt werden als im Männerfußball, weil er weniger Aufmerksamkeit und weniger Geld generiert. Nach den Vorgängen um einen Kuss des früheren Verbandspräsidenten Rubiales liegen wohl die Nerven blank.
Und so endet der allwöchentliche Überblick des Cancelns, Framens, Empörens, Strafens, Umerziehens, Ausstoßens, Zensierens, Denunzierens, Entlassens, Einschüchterns, Moralisierens, Politisierens, Umwälzens und Kulturkämpfens. Bis nächste Woche!
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